50 Jahre nach 1968 fragt Frank Plasberg nach der Wirkung dieser Zeit. Was eine Diskussion über den Einfluss der 1968er werden sollte, war über weite Strecken ein Streit über die richtigen Begrifflichkeiten. Vor allem, weil ein entscheidender Gast fehlte.
1968. Dieses Jahr scheint auch fünfzig Jahre später noch die Gemüter zu erhitzen und die Herzen zu spalten.
Für die einen ist es das Jahr der langhaarigen Gammler, für die anderen das Jahr der Freiheit und Befreiung. Dazwischen scheint es nichts zu geben.
Aber was haben die 1968er tatsächlich bewegt? "Unter grauen Haaren der Muff von 50 Jahren - Streit ums Erbe der 68er" titelt
Für das konservative Lager angetreten war
Ihr zur Seite stand Journalist Jan Fleischhauer, der eine Marktlücke als konservativer Publizist gefunden hat und seitdem gegen einen vermeintlich linken Zeitgeist anschreibt.
Die Rolle der 1968er-Fürsprecher vertraute die Plasberg-Redaktion Schauspielerin
Wirft man einen flüchtigen Blick auf die Gästeliste, wird schnell klar, dass unter den Geladenen kein ausgewiesener Historiker ist. Ein Umstand, der angesichts des Themas nicht nur verwundert, sondern sich in der Diskussion auch noch permanent rächen sollte.
Bär: "Die 1968er hat's null gebraucht"
Denn so bewegte sich die Diskussion bisweilen entweder auf der Ebene persönlicher Erfahrungsberichte oder platter Behauptungen. Bei der historischen Einschätzung des Einflusses der 1968er hörte man zum Beispiel von Dorothee Bär Sätze wie "Die 1968er hat's null gebraucht."
Eine solche Behauptung war nicht nur wegen ihrer Undifferenziertheit erstaunlich, sondern vor allem deshalb, weil zu diesem frühen Zeitpunkt der Diskussion noch überhaupt nicht geklärt war, wer "die 1968er" denn nun überhaupt sind.
Stefanie Lohaus unternahm kurz darauf eine Annäherung: "Wenn ich von 1968ern rede, dann meine ich eine breite gesellschaftliche Bewegung."
Aber spätestens hier hatte Bär Fahrt aufgenommen und berichtet von ihrem Vater, der von "durchgeknallten Linksextremen" seinerzeit daran gehindert wurde, sich in Nürnberg CSU-Granden anzuhören.
"Es ist eine soziale Bewegung, es gibt verschiedene Strömungen. Sie können doch nicht alles in einen Topf werfen. Dann können wir auch sagen, die 1968er, das wäre die RAF", versuchte Lohaus Bär daraufhin die Komplexität eines Zeitgeists zu erklären.
Die "konservative Revolution" des Alexander Dobrindt
Wie sehr die Diskussion eine unabhängige Instanz nötig gehabt hätte, zeigte sich auch, als es um die vermeintliche linke Meinungsvorherrschaft und die "konservative Revolution" ging, die Bärs CSU-Kollege
Bär fand an der Diskussion nach Dobrindts Artikel das Spannende, "die typische Schnappatmung in allen Redaktionen. Alleine die Reaktion auf diesen Artikel zeigt schon, dass er völlig ins Schwarze getroffen hat."
Auch hier war es wieder Lohaus, die versuchte, für Bär die Begrifflichkeiten einzuordnen: "Die Schnappatmung kam aus einem ganz anderen Grund. Sie kam daher, dass es ein rechtsextremer Begriff aus der Weimarer Republik ist. Es geht um Nationalismus, Militarismus und eine starke hierarchische Gesellschaft."
"Um Gottes Willen, jetzt wird es ganz hanebüchen", wehrte Bär ab und als Frank Plasberg mit den Worten dazwischen ging "In der Tat gibt es da Wurzeln, wir haben es recherchiert", hatte man kurz die Hoffnung, dass wenigstens die Redaktion die Arbeit des fehlenden Historikers gemacht hat.
Doch das war Plasberg offenbar schon genug der Einordnung: "Frau Lohaus, wir verlassen mal ganz kurz die historische Forschung, was den Begriff angeht", würgte der Moderator diese wesentliche Frage ab.
Stattdessen war es diesmal Journalist Jan Fleischhauer, der bei Dorothee Bär dazwischen grätschte. Als Bär über die Zusammenhänge zwischen Bürgerlichkeit und Grünen-Wählern ausholte, wurde sie von Fleischhauer knallhart unterbrochen: "Ich glaube, Frau Bär, Herr Dobrindt ist da nicht zu retten. Das ist natürlich auch großer Unsinn. Es hilft ja nichts, so zu tun, als ob die 1968er durchregiert hätten. Die 16 Jahre Kohl sind Herrn Dobrindt entgangen. So geht's ja auch nicht."
So geht's ja auch nicht - ein schönes Fazit für die jüngste Ausgabe von "Hart aber fair".
Natürlich kann man verschiedene Gäste, die 1968 erlebt oder eine Meinung dazu haben, einladen. Dann bekommt man, wie geschehen, eine Runde, die aus ihrem ganz persönlichen Erfahrungsschatz plaudert.
Dann weiß man, dass Michaela May wegen der Verdrängung der Nazi-Zeit ihrer Eltern rebelliert hat, warum der aus einem liberalen Elternhaus stammende Fleischhauer eine konservative Wende vollzogen hat oder wie das damals mit der vermeintlich freien Liebe bei Rainer Langhans wirklich war. Eine Antwort auf die Frage nach dem Einfluss der 1968er bekommt man so aber nicht.
Kalkulierter Zoff
Und so mag man angesichts der Gäste der Redaktion unterstellen, nicht an einer höheren Erkenntnis, sondern eher an dem zu erwartenden Zoff interessiert gewesen zu sein.
Dorothee Bär und Rainer Langhans über 1968 diskutieren zu lassen - das ist so originell, wie bei einem Bundesligaspiel auf den FC Bayern München zu wetten.
So bleibt von einer eigentlich spannenden Ausgangsfrage am Ende nicht wesentlich mehr übrig als eine Reihe plakativer Zitate. Hier eine Auswahl:
"Ich glaube, dass die AfD oder die neue Rechte auch deshalb so erfolgreich sind, weil sie von den 1968ern ganz viel kopiert haben." Jan Fleischhauer über Demos, Gegenpresse und der "Vorstellung des Volkes als reinigende Kraft".
"Sie schmeißen alles, was Ihnen nicht passt, in einen Topf, sagen, die 1968er sind schuld und weg damit. Wir machen die konservative Revolution und dann ist die Welt wieder schön." Stefanie Lohaus zu Dorothee Bär.
"Was haben Sie denn jemals fürs Allgemeinwohl in Deutschland geleistet?" Dorothee Bär zu Rainer Langhans.
"Den liberalen gesellschaftlichen Einfluss der 1968er zu leugnen, ist doch völlig abstrus. Wenn ich mich auf derselben Ebene bewegen würde, würde ich sagen: 'Frau Bär mit ihrem Gesellschaftsbild dürfte dann gar nicht mehr hier sitzen als Staatsministerin, sondern würde zuhause den Haushalt machen.'" Klaus Wowereit.
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