Es sind handfeste Probleme, vor denen Unternehmen und Verbraucher momentan angesichts der steigenden Energiekosten stehen und genauso handfest müssen auch die Lösungen ausfallen. Welche das am besten sein sollen, darüber diskutierte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen. Und auch wenn am Ende nicht die eine, die beste Lösung dabei heraussprang, machte ein Gast darauf aufmerksam, dass man bei der Suche nach dieser Lösung einmal tiefer graben sollte.
Entlastungspakete, schnellerer Umbau der Energieversorgung durch Erneuerbare, Verstaatlichung von Uniper und Gazprom und nun der Flüssiggas-Deal mit den Saudis: Die Bundesregierung geht verschiedene Wege, um mit der Energiekrise und den damit verbundenen Kosten für die Bürger umzugehen. Dementsprechend fragt
Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will
- Julia Friedrichs: Die Journalistin bringt die Perspektive der Menschen in die Diskussion ein, denen das Wasser bis zum Hals steht. Friedrichs fordert neben Unterstützung eine Verlässlichkeit für die Bürger, denn sie sagt: "Die Leute stehen vor dem Herbst und wissen nicht, was passieren wird."
- Clemens Fuest: Fuest ist Präsident des ifo-Instituts und hält Maßnahmen wie etwa die Gaspreisbremse für zu bürokratisch. Stattdessen solle man zum einen Menschen, die es wirklich brauchen, entlasten und zum anderen gleichzeitig Anreize zum Energiesparen setzen.
Christian Lindner (FDP): Der Bundesfinanzminister spricht sich dafür aus, "die ganze Bandbreite der Maßnahmen" zu nutzen, sagt aber auch: "Eine Gaspreisbremse ist für mich kein Anlass, wieder eine Ausnahme von der Schuldenregelung für den Bundeshaushalt zu machen."Karl-Josef Laumann . Laumann ist Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales von Nordrhein-Westfalen. Er ist der Meinung, dass sich der Staat mit seinen Hilfen auf die Menschen konzentrieren solle, die diese Hilfe auch wirklich brauchen: "Leute, denen es gut geht, müssen selber sehen, dass sie mit dieser Situation fertig werden."
Über diese Themen diskutierte die Runde
Natürlich über die Frage, welche Maßnahmen am wirkungsvollsten in der Energiekrise sind. Da hat Christian Lindner ebenso klare wie unklare Vorstellungen. Klar ist für ihn, dass man die Krise mit der ganzen "Bandbreite der Maßnahmen" angehen müsse. Dazu zählen für ihn die Entlastungspakete genauso dazu wie das Wiedereinbringen des bislang gespeicherten Gases, um den Preis zu drücken oder der kurzfristige Weiterbetrieb von Kohle- und Kernkraftwerken.
Klar ist Lindner auch in dem, was er nicht will: "Eine Gaspreisbremse ist für mich kein Anlass, wieder eine Ausnahme von der Schuldenregelung für den Bundeshaushalt zu machen." Er bekomme täglich neue Forderungen, allerdings müssten Schulden irgendwann zurückgezahlt werden. "Dann drohen uns im Zweifel sehr hohe Belastungen, auch Steuererhöhungen, wenn wir das jetzt nicht seriös machen", so Linder.
Was Lindner hingegen möchte, ist eine Gaspreisbremse. Dazu habe er bereits eine "Vorstellung, in welche Richtung das geht." Wie das Ganze aber am Ende aussehen soll, dazu möchte der Finanzminister noch keine Details verraten. Einen Ausblick auf die Energiepreise wagt Lindner aber. "Es wird auf mittlere Sicht wieder ein niedrigeres Preisniveau geben. Ich fürchte, niemals wieder so niedrig wie vor dem Ukraine-Krieg, aber es wird sich auf einem höheren Niveau normalisieren. Und bis dahin werden wir eine Brücke bauen."
Eine Gaspreisbremse sieht ifo-Präsident Fuest hingegen problematisch. "Wir müssen bedenken: Es geht nicht nur um Gas, es geht auch um Strom", gibt der Wirtschaftsforscher zu bedenken und sieht die Gefahr, "dass die untere Mittelschicht durch den Rost fällt, weil sie nicht profitiert von der Mindestlohnerhöhung." Deshalb müsse man sich zum einen auf "die wirklich Bedürftigen konzentrieren" und sich fragen, ob diese Menschen mit den Maßnahmen erreicht werden oder ob das Geld auch an andere geht. Aus diesem Grund sagt Fuest: "Die Gaspreisbremse halte ich für grundfalsch."
Überzeugender findet Fuest hier eine Energiepauschale, die so aussehen müsse, "dass sie Menschen mit höheren Einkommen nicht so zugute kommt. Die müssen mehr selbst tragen, aber Menschen, die es wirklich brauchen, die müssen über den Winter kommen." Außerdem brauche es eine Lösung für die Altverträge. Hier müsse man Sparanreize setzen.
In eine ähnliche Richtung denkt Karl-Josef Laumann. Man müsse sich stärker als bisher auf das untere Drittel der Mittelschicht konzentrieren, aber mit Bedacht, denn "alles das, was man an steuerlicher Hilfe gibt, hilft unten nix." Bei der Hilfe will Laumann nach dem Sozialstaatsprinzip vorgehen, wonach man sich zuerst selbst helfen müsse, erst dann greife die Solidarität: "Leute, denen es gut geht, müssen selber sehen, dass sie mit der Situation fertig werden."
Hilfe brauche auch die Wirtschaft, so Laumann, denn: "Wenn wir nichts machen, befürchte ich, dass wir in zwei Jahren keine Bäcker mehr haben." Bei Unternehmenshilfen verweist Fuest allerdings darauf, dass die meisten Unternehmen Rücklagen für schlechtere Zeiten bilden. Daher sollten Unternehmen lieber Kredite aufnehmen als Wirtschaftshilfen bekommen. Die solle es nur für Härtefälle geben.
Als Christian Lindner aufzählt, welche Maßnahmen die Regierung bereits ergriffen habe, bekommt er Gegenwind von Laumann und Friedrichs. Laumann verweist auf die ähnliche Corona-Prämie, die in der Regel nur Menschen mit Tarifverträgen bekommen hätten. Friedrichs ergänzt aus dem Alltag der Menschen: "All diese Prämien, all diese Sonderzahlungen – das häuft sich bei denen, die ohnehin schon gute Einkommen haben." Stattdessen wünschten sich die Menschen eine Sicherheit im Alltag: "Die wollen nicht mehr jeden Monat Angst haben, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können."
Der Schlagabtausch des Abends
Bei der Frage, wie man die höheren Energiekosten oder die Entlastungen finanziert, bringt Anne Will die Reichensteuer in Spiel. Christian Lindner führt hier die bekannten Argumente an, in Deutschland gebe es ohnehin schon sehr hohe Steuern und auch noch eine "wirtschaftliche Abkühlung"; bei hohen Erben sei das Erbe vor allem in Betrieben gebunden und außerdem stelle eine Vermögenssteuer die internationale Wettbewerbsfähigkeit infrage.
Friedrichs hingegen will das Ganze noch nicht einmal Reichensteuer nennen, sondern gibt Christian Lindner Allgemeineres zu bedenken: "Ob man das über eine Sonderabgabe macht, über Erbschaftssteuern […] das ist am Ende ihr Job, nicht meiner als Reporterin. Wer bin ich, dass ich hier Steuertipps gebe. Aber dass man sagt: Es gibt in Deutschland große Vermögen, es gibt große Erbschaften und dass das jetzt vielleicht mal der Moment ist, wo man auch mal was zurückgibt an ein Land, dem man ja eine sehr, sehr gute Finanzlage auch verdankt, finde ich einen Appell, den man jetzt mal machen könnte."
So schlug sich Anne Will
Sehr gut. Weil sie nichts durchgehen lässt – zumindest, soweit es ihr möglich ist. Am deutlichsten bekam das am Sonntagabend Christian Lindner zu spüren. Der wird von Anne Will mit seiner jüngsten Aussage konfrontiert, die Gasumlage könne weg, weil sie das Gas teurer mache. Da will Will wissen, was passiert ist, dass ihm dieser Umstand über Nacht eingefallen ist. Lindner erzählt, dass er bereits vor einiger Zeit in seinem Ministerium einen Arbeitsstab unter dem Titel "Gaspreisbremse" eingerichtet habe.
Außerdem, so Lindner dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Gasumlage die einzige Antwort auf die steigenden Preise ist. "Deshalb haben wir eine Gas-Kommission eingerichtet als Bundesregierung, schon vor einiger Zeit", erklärt Lindner, doch Anne Will hat das alles ein bisschen anders in Erinnerung: "Ich glaube, diese Kommission, von der Sie sprechen, der Arbeitsstab, den haben Sie vor einer Woche erst eingerichtet oder vor zwei Wochen, aber länger nicht. Das fällt Ihnen jetzt erst auf, dass die Gasumlage tatsächlich für Gaskundinnen und Gaskunden echt teuer wird?"
Wenig später möchte Will wissen, warum er seine Aussage über die Gasumlage bei der "Bild am Sonntag" gemacht und nicht mit Robert Habeck erst einmal hinter den Kulissen besprochen hat, um deren Ende dann gemeinsam zu verkünden. Statt eine Antwort zu geben, spielt Lindner den Ball an alle anderen Parteien zurück, die sich ebenfalls schon zur Gasumlage geäußert haben – warum dann nicht also auch er. Außerdem habe die Bundesregierung bereits vor einiger Zeit gesagt, "dass wir beim Gas etwas tun."
Dass Lindner der einzige Bundesfinanzminister in Deutschland ist und sein Wort daher ein besonderes Gewicht hat, übersieht der FDP-Politiker dabei, ebenso wie den Umstand, dass "beim Gas etwas tun" ein bisschen unkonkreter ist als die Aussage, die Gasumlage könne weg. Diese Unwucht in der Kommunikation fällt auch Will auf und sie konfrontiert Lindner an diesem Abend immer wieder, wenn ihr Widersprüche auffallen. Etwa, als Lindner eine Vermögenssteuer mit dem Argument ablehnt, Deutschland sei ohnehin schon ein Höchststeuerland. Da fällt Will Lindner gleich zweimal ins Wort: "für Arbeit."
Das Fazit
Nicht nur einmal an diesem Abend erklärt Julia Friedrichs, die Koalition müsse viele Dinge lösen, "die wir sträflich vernachlässigt haben" und fragt: "Warum hat die untere Hälfte in unserem Land so wenig Reserven, so wenig Rücklagen? Auch Menschen, die die ganze Zeit arbeiten? Warum haben wir es nicht geschafft, dass die einen größeren Anteil am Wohlstand haben? Das fällt uns jetzt auf die Füße."
Es sind Statements wie dieses, die den eigentlichen Wert der Diskussion bei "Anne Will" ausmachen. Denn dass die eigentliche Frage des Abends, ob die Bundesregierung ihr Versprechen halten kann, dass niemand im Winter hungern und frieren muss, keine Antwort finden wird, war eigentlich klar. Zum einen, weil man immer erst im Nachhinein feststellen kann, ob ein Versprechen gehalten wurde und zum anderen, weil das Finden einer Lösung für die Energiekrise in einer Talkshow maximal eine Annäherung sein kann.
Und so hat die Frage Friedrichs nach den Hintergründen der aktuellen Krise auch nach der Diskussion am Sonntagabend Bestand, denn man könnte diese Gründe noch erweitern. Zum Beispiel um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, insbesondere aus Russland. Oder dass der Glaube an grenzenloses Wachstum in einer Welt endlicher Ressourcen vielleicht doch nicht der beste Weg ist.
Oder dass der Wohlstand, den man sich als westliche Gesellschaft aufgebaut hat, schön ist, wenn man ihn hat – sofern man die Schäden, die er verursacht, ignorieren kann – aber eben auch gehalten werden will.
All diese Überlegungen helfen Menschen in finanzieller Not jetzt natürlich nicht, aber sie jetzt anzustellen, so wie Friedrichs es macht, ist dennoch richtig. Denn dass es nach Jahrzehnten des steigenden Wohlstands immer mehr knirscht und knackt im System, ist nicht mehr zu übersehen. Jetzt die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, ist daher nötig, Die nächste Krise kommt bestimmt.
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