BDI-Präsident Russwurm warnte beim Polit-Talk von Maybrit Illner vor den katastrophalen Auswirkungen eines russischen Gaslieferstopps auf die deutsche Industrie. Journalist Robin Alexander bekam sich mit Verteidigungsministerin Lambrecht in die Wolle und griff den Russland-Kurs Merkels an. Die Kritik an der zögerlichen deutschen Unterstützung für die Ukraine fiel harsch aus.
Der russische Überfall auf die Ukraine und seinen Folgen für Deutschland, Europa und die Welt sind seit Wochen das bestimmende Thema. Auch Maybrit Illner sprach mit ihren Gästen am Donnerstagabend über den "Krieg in der Ukraine – Zeitenwende für Deutschland?".
Das waren die Gäste
Siegfried Russwurm: Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hat große Angst vor einem Lieferstopp von russischem Gas, der katastrophale Auswirkungen haben würde. "Die Sorge ist sehr groß und lässt sich nicht allein in Geld ausdrücken", sagte Russwurm. Das Argument, dass auch die Deutschen einen Preis dafür zahlen müssten, um den russischen Präsidenten
Roderich Kiesewetter: Der CDU-Bundestagsabgeordnete begrüßte den Paradigmenwechsel der Bundesregierung bei der besseren Ausstattung der Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ausdrücklich – und hofft auf bessere Beschaffungsstrukturen bei der Truppe. In der Ukraine sieht er eine große Gefahr, dass Russland aktuell nur Umgruppierungen durchführt und diese Operationen "als Rückzug deklariert". Man müsse aufpassen, "dass Putin uns nicht an der Nase herum" führt.
Jana Puglierin: Auch die Politikwissenschaftlerin vom European Council on Foreign Relations fürchtet Umgruppierungen der russischen Armee, um dann im Donbass verstärkt anzugreifen. Puglierin sprach sich für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus. "Was Luftabwehr betrifft, könnte man mehr tun". Und sie kritisierte den bislang vergleichsweise geringen Beitrag Deutschlands. Die Esten würden im Wert von 220 Millionen Euro liefern wollen, die USA im Wert von 800 Millionen. "Ich hätte mir ein deutlich beherzteres Vorgehen von Deutschland durchaus gewünscht", sagte die Expertin.
Das war der Moment des Abends
Der gehörte Welt-Journalist Robin Alexander, der mit seinen bitterbösen Analysen immer wieder für rhetorische Highlights sorgte: "Wenn die Ukraine sich auf uns verlassen hätte, hätte Putin wahrscheinlich schon gewonnen". Deutlicher kann man die Kritik am zunächst zögerlichen Vorgehen der Bundesregierung in Sachen Waffenlieferungen und an deren Umfang nicht formulieren.
Das war das Rededuell des Abends
Alexander Teil II: Der Welt-Reporter empörte sich über die aus seiner Sicht mangelnden Auskünfte Christine Lambrechts über die Waffenlieferungen. Er warf ihr vor, sie stelle Journalisten als "verantwortungslos" dar, dabei wollten diese ja gar nicht über die Wege der Waffen in die Ukraine berichten, sondern nur über deren Umfang. "Das ist etwas ganz anderes" und danach zu fragen sei völlig normal. "Ich verstehe nicht, warum diese Fragen immer so skandalisiert werden", empörte sich Alexander.
Lambrecht ließ die Kritik an sich abtropfen und antwortete cool: "Ich habe sehr wohl solche Anfragen gehabt. Wann wird was geliefert? Wann geht der Transport raus?", sagte die Ministerin und bat um Verständnis. "Das ist eine Gefährdung, wenn man darüber redet".
Dabei wollte Alexander, der bei ihrer Antwort mehrfach mit dem Kopf schüttelte, genau das ja gar nicht wissen. Ihm ging es um die Größenordnungen. Die Ministerin und der Journalist wurden an diesem Abend keine Freunde mehr.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Es war ein Abend, an dem sich die Gastgeberin bei ihren Gästen ein wenig die Zähne ausbiss. Trotz Nachfrage um Nachfrage wollte Christine Lambrecht auch
Das ist das Fazit
Auffällig war zunächst, dass die Fragestellung im Titel der Sendung ("Zeitenwende in Deutschland?") gar nicht beantwortet wurde. Ohnehin sind die Folgen des Kriegs bei uns im Moment, von den steigenden Preisen und den vielen geflüchteten Menschen abgesehen, noch überschaubar. Die Zeitenwende erleben die Menschen in der Ukraine, die ausgebombt, zur Flucht gezwungen, verletzt oder getötet werden. "Es wird nicht wieder wie vorher sein", stellte BDI-Präsident Russwurm fest. Es werde lange dauern, bis diese Narben verheilt sind - "wenn es überhaupt möglich ist." Das war auch im Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen gemeint – aber nicht nur.
Robin Alexander überraschte mit seiner Prognose, wie es mit den Gaslieferungen weitergehen könnte. Deutschlands Regierung sei es lieber, dass Putin das Gas abdrehe als andersherum, so der Experte. "Dann gibt es Demonstrationen vor der russischen Botschaft". Im anderen Fall vor dem deutschen Wirtschaftsministerium – letzteres wäre für die Regierung unangenehmer.
In den Augen Lisa Neubauers geht es nun ohnehin darum, den Gasverbrauch so weit herunter zu drehen wie es irgendwie geht. Von einer fossilen Abhängigkeit in die andere zu kommen – eine Anspielung auf die Geschäfte mit Katar – ist für sie keine Option. Wie es schon Altbundespräsident Joachim Gauck vor ein paar Wochen formulierte: "Wir können auch einmal frieren für die Freiheit". Gut, dass die kalten Tage bald fürs Erste vorbei sind.
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