Das deutsche Grundgesetz feiert aktuell 75 Jahre. Bei "Markus Lanz" erläuterte Schriftstellerin Juli Zeh, warum die darin garantierte freie Meinungsäußerung in Gefahr ist und was dies mit der Gesellschaft macht.
Das Gefühl, "Man darf heute wirklich nichts mehr sagen", scheint viele Menschen in Deutschland heimzusuchen. Bei "
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Das deutsche Grundgesetz wird in diesem Jahr 75 Jahre alt, doch es scheint, als seien besonders die Freiheiten aus Artikel 5 in Gefahr. Aus einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach und des Medienforschungsinstituts Media Tenor geht hervor, dass nur noch 40 Prozent der Menschen in Deutschland das Gefühl haben, ihre politische Meinung frei äußern zu können.
Ganze 44 Prozent der Befragten sind derweil der Meinung, mit ihrer freien Meinungsäußerung vorsichtig sein zu müssen. Laut Autoren der Studie handelt es sich hierbei um einen "historischen Tiefpunkt". Markus Lanz debattierte deshalb am Mittwoch mit seinen Gästen über das Thema Meinungsfreiheit.
Das sind die Gäste
Juli Zeh , Schriftstellerin: "Ich habe das Gefühl, mein ganzes Leben diesem Grundgesetz zumindest mitzuverdanken."- Kai Ambos, Rechtswissenschaftler: "Gerade, wenn Meinungen als Machtkritik verstanden werden, dann müssen wir das aushalten."
- Nora Markard, Juristin: "Es braucht nicht viel für den Umbau einer Demokratie in eine Autokratie oder gar in eine Diktatur."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Mit Blick auf das 75-jährige Jubiläum des deutschen Grundgesetzes sprach Markus Lanz offen das Thema Meinungsfreiheit an. Der ZDF-Moderator zitierte aus der oben erwähnten Umfrage, dass mittlerweile nur 40 Prozent der Deutschen überzeugt davon seien, dass man seine Meinung noch frei äußern dürfe. Schriftstellerin Juli Zeh nickte nachdenklich: "Man hat ja momentan das Gefühl, (...) dass wir in so eine Situation kommen, wo man es nicht nur unerträglich findet, wenn jemand wirklich Grenzen überschreitet, (...), sondern schon dann, wenn Meinung zu stark abweicht."
Die Schriftstellerin warnte deshalb: "Das ist natürlich eine Situation, in der Demokratie, so wie sie aufgestellt ist, in Schwierigkeiten kommt. Weil das ganze System ja eines ist, was auf das Aushandeln von verschiedenen Interessen, von verschiedenen Meinungen, fußt. Und wenn wir diesen Prozess nicht mehr frei und auch relativ hemmungslos betreiben dürfen, glaube ich, kommen wir tatsächlich an einen Punkt, wo sich das mit der Staatsform nicht mehr so hundertprozentig verträgt."
Lanz stimmte zu: "Offensichtlich passiert da was!" Juristin Nora Markard wiegelte jedoch ab und sagte, es sei "wichtig, zu unterscheiden: Was sind staatliche Beschränkungen (...) der Meinungsfreiheit und was ist Kritik, die mir entgegenschlägt? Die Meinungsfreiheit ist ja kein Recht, meine Meinung unwidersprochen zu äußern". Markard erklärte weiter, dass die Gesellschaft wieder erlernen müsse, die Kritik auch auszuhalten, denn: "Kritik gehört eben zur Demokratie dazu und gehört zur Meinungsäußerungsfreiheit dazu."
Juli Zeh sah dies zwar ähnlich, erklärte jedoch, dass sie die Problematik an einer anderen Stelle sehe: Es gebe ein Diskurs-Klima, das Menschen den Eindruck vermittelt, "dass man viel schneller Gefahr läuft, in kontroversen Meinungssituationen nicht mehr respektiert zu werden mit einer bestimmten Auffassung und ausgesondert zu werden aus dem Kreis der (...) Gerecht-Denkenden." Laut Zeh sei dies "wirklich eine Ursache für die 40 Prozent", die nur noch glauben, dass sie ihre politische Meinung frei äußern können.
Zeh gab in dem Zusammenhang ein konkretes Beispiel und sagte, dass sie immer öfter höre, dass Leute tatsächlich auch langjährige Freundschaften abbrechen - wegen unterschiedlicher Auffassungen zu Corona-Maßnahmen oder zur Ukraine-Frage. "Die Schnelligkeit, mit der man sozusagen bereit ist, zu sagen: 'Du als Person gehst jetzt nicht mehr' (...), das ist schon ein Phänomen, wo ich sagen muss, das ist mir in den zwei bis drei Jahrzehnten davor nicht in so einer Inflation begegnet wie in den letzten Jahren", so die Schriftstellerin mit sorgenvollem Blick.
Sie fügte hinzu, dass auch Menschen des öffentlichen Lebens nicht davon verschont blieben. Im Gegenteil: "Man erlebt, wie Menschen darunter zusammenbrechen", so Zeh. "Ich glaube, diese Art von öffentlicher, sozialer Dekonstruktion, die macht jeden krank!"
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Markus Lanz schaffte es, mit seinen Gästen tief in das Thema Meinungsfreiheit einzutauchen und auch die juristische Seite zu beleuchten. Am Ende der Sendung gab er zu: "Man hat das Gefühl, es ist komplex, aber es ist nicht das schlechteste System, in dem wir leben."
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Bei "Markus Lanz" ordnete Rechtswissenschaftler Kai Ambos ein, wie die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verstehen seien: "Ich darf alles sagen, solange es nicht strafbar ist." Als strafbar gelte laut Ambos "natürlich nicht nur die Volksverhetzung", sondern auch gewisse Beleidigungen: "Die Strafbarkeitsgrenze ist da." Dennoch stellte der Experte klar: "Meinungen, die man ablehnt, die sich aber noch im Rahmen der Verfassung bewegen, müssen wir aushalten."
Juli Zeh sah in der Äußerung kontroverser Meinungen sogar eine Chance und zeigte sich "zutiefst optimistisch", als sie sagte: "Die Kunst besteht doch darin, auch dem einen gewissen Freiraum zu geben, was uns eigentlich angreift." © 1&1 Mail & Media/teleschau
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