Weltrettung ja, aber etwas dafür tun lieber nicht? Am Donnerstagabend sezierten Maybrit Illner und ihre Gäste den Wahlkampf zur Bundestagswahl. Der Tenor: Keine Partei erklärt dem Wähler den Ernst der Lage bei der Klimakrise und was auf ihn zukommen wird. Und der will es auch gar nicht wirklich hören.
Wenn eine Runde von Journalisten und Politikbeobachtern wenige Tage vor einer Wahl eine Vorab-Analyse unternimmt, dann ist das oft genug ein Abarbeiten von Floskel. An diesem Donnerstagabend jedoch nicht, denn diesmal wurde bei "
Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:
- Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der "Welt"
- Markus Feldenkirchen, Politik-Redakteur beim "Spiegel"
- Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing
- Albrecht von Lucke, Politologe und Publizist
- Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington (zugeschaltet)
- Matthias Jung, Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen e. V. (zugeschaltet)
Darüber diskutierte die Runde bei Maybrit Illner:
Nein, ein Aufhalten mit Vorgeplänkel kann man Maybrit Illner an diesem Donnerstag wirklich nicht vorwerfen. Angesichts der Bedeutung dieser Bundestagswahl geht die Moderatorin gleich in die Vollen: "Alle Kandidaten sagen, die neue Regierung müsse echte Jahrhundertaufgaben stemmen. Da ist es besonders erstaunlich, wie viele teure Versprechen in Wahlprogrammen und Reden auftauchen. Deutschland muss sich neu erfinden, aber spüren sollen die Bürger davon irgendwie nichts", eröffnet Illner ihren Donnerstagstalk und fasst damit gleich zu Beginn bereits das ganz große Dilemma zusammen, um das es in den folgenden Minuten gehen sollte: Realität und Realitätsverweigerung.
"Wer immer die Wahl gewinnt, muss danach die Welt retten", skizziert der Off-Sprecher in einem Einspieler die Herkulesaufgabe, die angesichts der Klimakatastrophe vor der neuen Bundesregierung liegt.
Ursula Münch sieht die zu bewältigenden Aufgaben aber nicht nur bei der Bundesregierung. Zum einen habe die kommende Regierung wirklich Großes zu stemmen, gleichzeitig sei "nur ein Teil der Bevölkerung bereit, die Konsequenzen daraus zu ertragen und das mitzutragen. Der künftigen Regierung wird es tatsächlich schwer gemacht, weil wir ihr im Grunde dann durchaus in den Rücken fallen und sagen: Wir wissen eigentlich, dass man viel tun müsste, aber wirklich wünschen tun wir’s uns nicht und tragen es auch nur bedingt mit."
Mit anderen Worten: Weltrettung ja, aber bitte ohne Einschränkungen. Dass das nicht funktionieren kann, scheint klar, aber wie sagt man das dem Bürger? Vor diesem Dilemma sieht Albrecht von Lucke alle Parteien: "Das sind enorme Zumutungen, die sich selbst die Grünen in diesem Wahlkampf kaum trauen auszusprechen."
Während Christian Linder auf Innovationen nach dem Motto "wir erfinden uns raus" setze und Laschet "die andere klassische Antwort: wir wachsen uns raus" habe, hätten selbst die Grünen Angst gehabt, "dieses große gesellschaftliche Projekt deutlicher auszuformulieren." Von Luckes Fazit: Die Frage, wie man von einer Wachstumsideologie wegkommt, hat keine der Parteien angesprochen. Gleichzeitig gebe es "eine Bevölkerung, die sich zwar einerseits in Worten zum Klimaschutz bekennt, aber ihn in der Tat nicht umsetzt."
Markus Feldenkirchen erkennt aber auch einen völlig unangemessenen Umgang der Parteien mit der Klimakrise: "Sowohl die Programmatik, was die Parteien anzubieten haben, als auch wie der Wahlkampf geführt wird, ist ein Zeichen von Unreife und mangelnder Ernsthaftigkeit. Das Versäumnis der deutschen Politik im Umgang mit dem Klimawandel der vergangenen Jahrzehnte wurde quasi in diesem Wahlkampf fortgesetzt, indem die Größe der Aufgabe nicht erkannt wird. Und ehrlich gesagt, sind da Bürger und wir Beobachter, Journalisten Teil von dem Ganzen, wenn wir vergleichsweise Nebensächlichkeiten eine ganz große Aufmerksamkeit verleihen und das, was wirklich die Mega-Aufgabe unserer Generation ist, für die Generation, die da kommt, dem so wenig Raum beimessen."
Für die Grünen sieht Ursula Münch hier ein besonderes Problem, denn die anderen Parteien hätten sich das Kernthema der Partei, die Bewahrung der Schöpfung, gegriffen und böten nun leicht verdaulichere Feigenblatt-Lösungen an: "Es gibt inzwischen schlicht und ergreifend andere Parteien, die es einem ein bisschen komfortabler anbieten. Die sagen: 'Geht doch auch mit Innovationen, ich muss mich doch nicht ändern.'"
Die klarste Aussage des Abends:
Dagmar Rosenfeld rechnet überschlagsartig vor, welche Kosten Klimaschutzpolitik bereits jetzt kostet und kommt zu dem Schluss: "Mir fehlt die Phantasie wie das bezahlt werden soll."
Als Maybrit Illner hier die Kosten der Deutschen Einheit als Vergleichsgröße anführt, stellt Markus Feldenkirchen die Gegenrechnung auf: "Alles Geld, was wir zur Eindämmung der Erderwärmung jetzt investieren, ist das bestinvestierte Geld. Es ist mindestens so gut investiert wie in die deutsche Einheit, weil ansonsten all die politischen Punkte, die wir für bedeutsam halten – wie unser Rentensystem, wie unser Renteneintrittsalter ist, wie unsere Schulbildung aussieht – irgendwann keine Rolle mehr spielen.“
Mit anderen Worten: Es geht um alles oder nichts, wenn wir unseren Kindern einen Planeten hinterlassen wollen, auf dem auch sie noch einigermaßen gut leben können. Und dafür, so Feldenkirchen, müsse man eben jetzt Geld in die Hand nehmen: "Wenn wir den Punkt erreichen, wo die sogenannten klimatischen Kipppunkte erreicht sind. Wo Prozesse in Gang geraten, die unkontrollierbar sind und die große Teile unseres Planeten vernichten können, brauchen wir über all das, worüber wir in diesen Runden immer diskutiert haben, irgendwann nicht mehr diskutieren. Insofern: Jede Kreativität und jede Bereitschaft, dafür auch Geld – sinnvoll investiert – aufzubringen, ist, glaube ich, sehr, sehr sinnvoll."
So schlug sich Maybrit Illner:
Gut. Denn wie ihre Gäste, nahm auch die Moderatorin keine falsche Rücksicht und stellte die Fragen, die angesichts der Bedrohung durch die Klimakrise wirklich angemessen sind.
Das Fazit:
Dass wir durch die Klimakrise vor radikalen Herausforderungen stehen, sollte jedem inzwischen klar sein. Dass es für diese radikalen Herausforderungen aber auch radikale Lösungen braucht, davon ist im aktuellen Bundestagswahlkampf kaum etwas zu hören. Daher war der Donnerstagabend bei Maybrit Illner ein guter Abend, der sich von den üblichen Vor-Wahl-Talks abhob. Weil er endlich die Probleme beim Namen nannte und klarmachte, dass niemand um Einschnitte herum kommt – ganz egal, was welche Partei auch verspricht.
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