Bei Anne Will ging es am Sonntagabend (26.11.) wieder einmal um die Finanzpolitik der Ampel. Die Sendung kreiste um die Fragen: Schuldenbremse Hop oder Top? Und: Ist das Ausrufen einer weiteren Notlage die alleinige Antwort? Während SPD-Chef eindringlich warnte, bei Sozialausgaben zu kürzen, sprach Journalistin Julia Löhr von einer "Mär". Sie beklagte: "Wir schwimmen in Geld, die Regierung gibt es mit beiden Händen aus!"

Eine Kritik
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Knapp anderthalb Wochen ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung die Finanzpolitik der Ampel zerschlagen hat. Seitdem steht die Frage im Raum: Wie soll es weitergehen? Die Ampel will auch für 2023 nachträglich eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen, um eine rechtlich saubere Grundlage für ihren Haushalt zu erreichen. Aber kann das schon die Antwort auf alles sein?

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Bei Anne Will ging es am Sonntagabend um die Frage: "Regierung in Geldnot – Wie hart trifft es Deutschland?" Im Fokus standen die Unsicherheiten in der Wirtschaft, potentielle Kürzungen bei Bürgergeld, Kindergrundsicherung und Co. sowie eine grundlegende Reform der Schuldenbremse. Außerdem ging’s um die Fragen: Wackeln Milliardenförderungen etwa für Chip-Werke? Und: Schadet die Ampel mit ihrer Haushaltspolitik den Unternehmen sowie den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland?

Das sind die Gäste

Lars Klingbeil (SPD): Über die Stimmung in der Wirtschaft sagte der Parteivorsitzende: "Alle fragen sich: Kommen die Investitionen? Und wir können da nicht stoppen, weil es am Ende ein riesiger Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland wäre, für die Arbeitsplätze der Zukunft." Dennoch müsse jeder Minister schauen, wo man einsparen könne. Den Sozialstaat herunterzufahren sei jedoch ein Irrweg und das mache die SPD auch nicht mit.

Reiner Haseloff (CDU): Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt meinte: "Wir brauchen so schnell wie möglich einen Bundeshaushalt. Es darf nicht sein, dass aus dieser Haushaltsnotlage eine Staatskrise wird." Deutschland könne es sich nicht leisten, die zugesagten Investitionen, etwa in Magdeburg oder Dresden, wieder fallen zu lassen. "Das wäre ein Reputationsschaden, ein strategischer Schaden, der wäre nicht wiedergutmachbar", so Haseloff.

Marcel Fratzscher: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin sagte: "Dass, was das Bundesverfassungsgericht offenbart ist, dass die Politik sich ehrlich machen muss." In den letzten Jahren habe der Staat Geld mit dem Gießkannen-Prinzip verteilt. "Es gibt kaum ein Land in der Welt, wo die Regierung so großzügig Hilfen ausgegeben hat", erinnerte Fratzscher. Jetzt realisiere man, dass man das Geld nicht mehr mit beiden Händen ausgeben und gleichzeitig keine Steuererhöhungen versprechen könne.

Julia Löhr: "Die Kommunikation ist grottig, vor allem auch, weil sie so unterschiedlich ist", kritisierte die Wirtschaftskorrespondentin von der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Der Kanzler schweige, der Wirtschaftsminister rede sich um Kopf und Kragen und die Statements vom Finanzminister müssten im Nachgang erst übersetzt werden. Später sagte sie: "Die SPD ist immer schnell dabei, den armen Rentner, die arme Alleinerziehende vorzuschicken, um jede Kürzung im Sozialbereich abzublocken."

Ann-Kathrin Büüsker: Die Hauptstadtkorrespondentin meinte: "Den wenigsten Leuten ist klar, was da im Moment alles auf dem Spiel steht." Vom 60-Milliarden-Loch seien extrem viele Förderprogramme betroffen, auch im Naturschutzbereich. "Da steht ein großes Fragezeichen drüber", so Büüsker. Das sorge für enorme Verunsicherung.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Es stimme nicht, dass sich Deutschland kaputtspare, sagte Journalistin Löhr. "Wir haben einen Haushalt, das sind 450 Milliarden Euro, die im Jahr ausgegeben werden", sagte sie. Im Sondertopf seien immer noch 150 Milliarden Euro für 4 Jahre übrig. "Wir schwimmen in Geld, die Regierung gibt es mit beiden Händen aus", kritisierte sie. Es sei nicht so, dass im Finanzministerium oder im Kanzleramt ein Gelddrucker stehe. "Das ist unser Steuergeld und die Politik sollte damit verantwortungsvoll und vor allem sorgsam umgehen", forderte sie. Das Subventions-Feuerwerk der vergangenen Jahre gehe so nicht.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Klingbeil stellte klar: "Nicht zu investieren halte ich für einen ganz schlechten Weg." Man dürfe sich hierzulande nicht darüber freuen, dass man die Haushaltsregeln einhalte, aber gleichzeitig Investitionen abwürge. Es sei gefährlich, wenn Deutschland bei Themen wie grüner Stahl, Halbleiter und Wasserstoff nur zugucke. "Dann wird dieses Land einen enormen wirtschaftlichen Schaden nehmen", warnte Klingbeil. Man müsse deshalb über eine Reform der Schuldenbremse reden.
"Es ist eine Mär, dass im Moment kein Geld zum Investieren da ist", schaltete sich Journalistin Löhr ein. Auch abzüglich der 60 Milliarden Euro würden im Klima-Transformations-Fonds noch immer 150 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre zur Verfügung stehen. "Im Vergleich zu unserer Größe machen wir jetzt schon so viel mehr, auch ohne diese 60 Milliarden", erinnerte Löhr im Vergleich zu den USA. Es gehe darum, das Geld hierzulande sinnvoller einzusetzen und besser zu priorisieren und nicht nach weiteren Tricks zu suchen, weitere Schulden zu machen.

So hat sich Anne Will geschlagen

So richtig kam die Sendung nicht in Schwung. Anne Will stichelte zwar ein paar Mal: "Ist das die Form von Krisenkommunikation, die das Land jetzt braucht?", "Macht Olaf Scholz es richtig in so einer Phase wenig bis gar nichts zu sagen?" oder "Ist das jetzt die neue Haushaltspolitik sich von Notlage zu Notlage zu hangeln?", aber so richtig sprang niemand drauf an. Hitziger wäre es bestimmt geworden, wenn Will über konkrete Kürzungen und Einsparmaßnahmen hätte debattieren lassen.

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Finanzpolitik ist komplex, oftmals trocken und theoretisch – und deshalb nicht das geeignetste Thema für eine Talkshow am Sonntagabend. Oft fiel es schwer, den wirtschaftstheoretischen Auslassungen zu folgen. Hier wäre die Runde besser beraten gewesen, die Zuschauer in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen – die sich unter Begriffen wie "KTF", "Sondervermögen" und einem Haushaltsvolumen von 450 Milliarden vermutlich wenig Greifbares vorstellen können. Schuldenbremse Hop oder Top? Darüber war sich die Runde am Ende auch nicht einig.

Verwendete Quellen:

  • ARD: Sendung "Anne Will" vom 26.11.2023



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