Der Sozialstaat sei auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten, wenn man Transferleistungen für Arbeitslose ausweite – so die Meinung des Junge-Union-Politikers Johannes Winkel im ZDF-Polittalk "Markus Lanz". SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hielt dagegen – und ging hart mit CDU-Chef Merz ins Gericht.
Einerseits wohltuend ruhig, andererseits unbefriedigend, unergiebig und langatmig gestaltete sich der Mittwochstalk bei
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Angekündigt war so blumig wie vage eine Diskussion um die sozial- und steuerpolitische Zukunft Deutschlands. In der Sendung ging es zunächst um die SPD-parteiinterne Uneinigkeit in Sachen Industriestrompreis, dann um die Steuererhöhungs-Überlegungen des CDU-Parteichefs
Das sind die Gäste
Kevin Kühnert , SPD-Generalsekretär: "Gefühle sind wichtig in der politischen Diskussion, und man sollte auch nicht über sie hinweggehen, aber es gibt eben auch Realitäten, mit denen man handeln muss."Robin Alexander , stellvertretender Chefredakteur der WELT: "Es stellt sich heraus, dass ein Großteil der Leute, die einen Anspruch hatten, für ihr Kind was vom Amt zu kriegen, das nicht beantragt haben."- Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union: "Wenn ich mich als Arbeitsfähiger in einem arbeitsfähigen Alter dauerhaft verweigere, dann müssen halt Transferleistungen auch gekürzt werden. Ich finde das ehrlicherweise null skandalös."
- Sabine Adler, Osteuropa-Expertin beim Deutschlandfunk: "Alleinerziehende sind darauf angewiesen, dass die Kinder betreut werden. Und wenn diese Kinderbetreuung nicht allumfassend gesichert ist, dann ist es eben auch ein großes Problem, tatsächlich arbeiten zu gehen."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Zunächst stellt Robin Alexander klar, was man vorab "wissen sollte: Seit über 20 Jahren wird keine Steuerpolitik mehr gemacht". Merkel habe das "nicht gemacht,
Merz' Pläne beinhalten zwar, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, ihn gleichzeitig aber in der Mitte abzuflachen, was unterm Strich bedeute, so Alexander: "Alle zahlen weniger – sogar die oben. Außer die über 1,2 Millionen im Jahr – die nicht." Diese Pläne seien jedoch "nicht aufkommensneutral" und würden eine Lücke von 30 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt reißen, es gehe also vor allem um die Frage: "Wer soll's bezahlen?"
"Vom Grundkonstrukt her" entspreche Merz' "Privatvorschlag" dem, "mit dem die SPD jetzt schon seit einigen Jahren unterwegs ist", fand Kühnert. Menschen aus dem liberalkonservativen Spektrum hätten Merz bereits gewarnt, dass er und Kühnert dasselbe Steuerkonzept hätten. "Aber Sie haben nicht dasselbe Steuerkonzept!", warf Alexander ein, was Kühnert zu Lanz' Amüsement bestätigte.
Alexanders journalistische Zuspitzung der uneinigen Einigkeit lautete: "Herr Merz möchte die in der Mitte entlasten, und zähneknirschend nimmt er in Kauf, dass oben mehr gezahlt werden muss. Herr Kühnert möchte die ganz oben mehr belasten und nimmt zähneknirschend in Kauf, dass in der Mitte dafür entlastet werden müsste. Und in einer idealen Welt könnte man sich in einer Koalition treffen." Fand Kühnert nicht: "In einer idealen Welt bin ich nicht mit Friedrich Merz in einer Koalition."
Die Ablehnung von Merz' Ideen wurde besonders klar, als sich Kühnert über die jüngsten Äußerungen des CDU-Chefs im Bundestag echauffierte. Der hatte am Mittwoch befürchtet, Menschen in Deutschland würden eine Erhöhung des Bürgergelds als Anlass sehen, nicht mehr zu arbeiten. Diese Wortmeldung ordnete Kevin Kühnert als "Grenzüberschreitung, die ich von ihm bisher nicht gehört habe" ein. Statt einen persönlichen Eindruck von Menschen in Deutschland zu vermitteln, habe Merz es als Tatsache hingestellt, beklagte Kühnert: "Er hat gesagt: 'Es lohnt sich nicht, arbeiten zu gehen'."
Zudem habe Merz die These vertreten, Menschen mit staatlichen Transferleistungen stünden am Ende mit mehr Geld da als so mancher Arbeitnehmer. "Und das ist, man muss das so deutlich sagen, einfach eine glatte Lüge", ärgerte sich der SPD-Generalsekretär. Gleichzeitig nutzte er die Möglichkeit, um klarzustellen, dass der deutsche Sozialstaat das Grundkonstrukt habe, "dass es immer – auch die Bürgergeldreform im letzten Jahr – einen Anreiz hin zur Arbeit" gebe.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Große Duelle blieben diesmal aus – statt hitziger Debatten legten die Gäste ruhig (und bisweilen etwas ungenau) ihre Standpunkte dar, die nicht allzu weit auseinander zu gehen schienen – außer vielleicht, als Johannes Winkel immer wieder darauf beharrte, dass Menschen, die Arbeit verweigern, die Transferleistungen gekürzt werden sollten, das betreffe sowohl Deutsche als auch Migrantinnen und Migranten.
Es gebe doch bereits Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld, argumentierte Kühnert: "Bis zu 30 Prozent. Alles darunter ist nach der geltenden Rechtssprechung nicht sanktionierbar, weil es eben das Existenzminimum berührt." Darum laufe Winkels Appell seiner Ansicht nach ins Leere: Er sei "ein bisschen irritiert", dass einerseits die Forderung im Raum stehe, Arbeit müsse sich lohnen, zum anderen aber sehr beiläufig über die zusätzliche Förderung von Menschen mit Bürgergeldbezug hinweggegangen wurde, die eine Qualifizierungsmaßnahme durchziehen. Das sei doch bereits "ein Beitrag zu: Leistung muss sich lohnen".
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Durchwachsen. Während er eine diebische Freude daran zu haben schien, dass etwa Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Partei, die SPD, sich bei der Strompreisfrage nicht einig waren und diesbezüglich beim beschwichtigenden Kevin Kühnert immer wieder nachbohrte, hielt er sich an anderen Stellen, an denen mehr Nachhaken sinnvoller gewesen wäre, relativ im Hintergrund, etwa als es um die Frage ging, warum es trotz offener Stellen in Deutschland so viele Langzeitarbeitslose gibt.
Positiv zu bemerken ist, dass ihm der viel zu geringe Redeanteil von Sabine Adler auffiel, die er darum bat, in der kommenden Woche erneut ins Studio zu kommen, um beim Thema Ukraine und Korruption in der Ukraine mitzudiskutieren.
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Schwer zu sagen, da die Diskussion insgesamt etwas zerfasert wirkte und von Beginn an viel ins Parteipolitische abdriftete. Unterm Strich lässt es sich vielleicht mit Artikel 1 des Grundgesetzes zusammenfassen, den Kevin Kühnert im Zuge der Bürgergelddiskussion zitierte: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Und: Wer Vollzeit im Niedriglohnsegment arbeitet und sich um Kinder kümmert, hat oft weder Kraft noch Zeit, sich um Zuschüsse wie Kinderzuschlag oder Wohngeld zu kümmern – eine Tragik, die jedoch auch nicht aus der Welt zu schaffen ist, indem man diese Menschen gegen Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld ausspielt und mal wieder das Bild vom faulen Arbeitslosen aus der Schublade holt. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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