Der Verfassungsschutz in Thüringen soll den Landesverband der AfD in einem Geheimbericht als "kämpferisch-aggressiv" eingestuft haben, berichtete die "Welt am Sonntag" unlängst. Bei "Markus Lanz" forderte Journalist Heribert Prantl am Donnerstag ein Verbot der Partei und kritisierte dabei die zögerliche Haltung von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP).

Eine Kritik
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Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Vor fast genau 75 Jahren wurde das deutsche Grundgesetz ins Leben gerufen. Eine Verfassung, die den deutschen Bürgern nicht nur Schutz, sondern auch enorme Freiheit gewährt. Wie weit diese Freiheit jedoch ausgenutzt werden darf, wird aktuell mit Blick auf rechtsextreme Parteien wie die AfD diskutiert. Markus Lanz sprach deshalb am Donnerstagabend über ein mögliches Parteiverbot und die Frage, wie viel die Demokratie aushalten muss.

Das sind die Gäste

  • Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D. (FDP): "Die Basis für alles ist die Würde des Menschen. Im Artikel 1 stecken Gott und Kant."
  • Heribert Prantl, Journalist: "Die Lust auf Demokratie, die war nicht immer da - die ist gewachsen und heute schrumpft sie wieder, das muss uns Sorgen machen."
  • Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin: "Es gibt so viele Dinge in unserer deutschen Verfassung, die einzigartig und großartig sind."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum blickte bei "Markus Lanz" zunächst auf die Entstehung des deutschen Grundgesetzes vor 75 Jahren und sagte voller Stolz, dass damals zum ersten Mal in einer deutschen Verfassung "die Moral, die Menschenwürde" zum "einklagbaren Recht" geworden sei. "Die Menschenwürde wurde plötzlich ein Element der Völkergemeinschaft", so der 91-jährige FDP-Politiker weiter. Laut Baum sei daher die Menschenwürde "der umfassende Begriff, der unsere Verfassung prägt und die Völkergemeinschaft heute auch".

Mit Blick auf die aktuellen Spannungen in der Gesellschaft wollte Markus Lanz wissen, wie sehr die Verfassung auch heute noch die deutsche Demokratie schützt. Juristin Frauke Brosius-Gersdorf antwortete prompt, dass es im Grundgesetz "ein paar sehr wirksame Eckpfeiler" gebe, die "gegen diese Gefahren einer nochmaligen Diktatur" schützen. "Jeder Bürger, jede Bürgerin hat aus der Verfassung individuelle Rechte, die er gegen den Staat in Stellung bringen kann", so Brosius-Gersdorf, die in dem Zusammenhang auch die Wichtigkeit der unabhängigen Gerichte in Deutschland ansprach. Laut der Juristin sei dies ein "unglaublich wirksamer Schutzmechanismus, wie man Grundrechte in Deutschland durchsetzen kann".

Zumal es Schutzvorkehrungen gegen verfassungsfeindliche Parteien gebe, so Frauke Brosius-Gersdorf weiter: "Wir sind eine wehrhafte Demokratie (...) Wir haben die Möglichkeit, Einzelpersonen Grundrechte zu entziehen." Zudem gebe es laut Brosius-Gersdorf auch "die Möglichkeit von Vereinsverboten gegen Vereine, die die verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen".

Journalist Heribert Prantl nickte nachdenklich und kritisierte, dass die Instrumente der wehrhaften Demokratie mit Blick auf Parteien wie die AfD "auch angewendet werden" müssen, "wenn es Not tut". Prantl ergänzte streng: "Ich bin der Überzeugung, es tut Not!" Der Journalist zitierte in dem Zusammenhang Erich Kästner und warnte: "Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine wird. Man muss den Schneeball zertreten."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Während sich Heribert Prantl für ein Parteiverbot der AfD starkmachte und sagte, dass man "die Lawine" sonst nicht mehr aufhalten könne, zeigte sich Gerhart Baum skeptisch. Er sagte: "Ich bin der Meinung, dass die rechtlichen Instrumente da sind, (...) um auch benutzt zu werden. Die Frage ist: Um jetzt benutzt zu werden? Da bin ich zögernd!" Der Politiker erklärte seine Zurückhaltung mit den Worten: "Der Kern des Parteienverbots ist die Feststellung (...), dass eine rassistische Ausgrenzung verfassungsfeindlich ist und die Menschenwürde der Ausgegrenzten betrifft."

Mit Blick auf die AfD warnte der FDP-Politiker davor, ein Parteiverbot mitten im Wahlkampf vom Zaun zu brechen. "Wir gehen hier auf einem schmalen Grat", so Baum.

Heribert Prantl sah dies vollkommen anders und konterte: "Demokratie ist doch mehr als eine Urne, in die ich alle vier oder fünf Jahre einen Stimmzettel werfe! Demokratie ist eine Werteordnung." Laut des Journalisten sei die AfD eine Partei, die diese Werteordnung "nicht nur mit Füßen tritt, sondern massiv bekämpft". Er ergänzte: "Es geht mir letztendlich um eine Art Personenschutz der Menschenwürde - das ist für mich der Sinn und Zweck, der hinter dem Parteiverbot steht." Prantl fragte deshalb wütend: "Bei diesen Tatsachen, die wir über die AfD wissen, die wir von Herrn Höcke fast tagtäglich erleben und erleiden müssen. Wann, wenn nicht jetzt? (...) Wie lange wollen Sie denn noch warten?"

Gerhart Baum zeigte sich nicht überzeugt und fragte: "Kriegen Sie damit die Nazis weg?" Prantl konterte wütend: "Nein! Aber es ist ein wirkliches Signal und es bricht dem Rechtsextremismus, der Fremdenfeindlichkeit, dem Antisemitismus die Spitze. Natürlich brauchen wir noch viele andere Dinge!"

Der Ex-Innenminister knickte plötzlich ein und gab zu: "Vielleicht brauchen wir dieses Mittel - schließe ich nicht aus. Aber ich würde sehr vorsichtig sein im Umgang." Als Grund für seine Skepsis nannte Baum auch die Tatsache, dass es bisher keine "glücklichen Parteiverbote in der Geschichte der Bundesrepublik" gegeben habe. Frauke Brosius-Gersdorf hielt jedoch dagegen und sagte, dass dies "kein Argument" sei. Die Juristin weiter: "Die Frage ist, ob es genug Material der Verfassungsschutzbehörden gibt, (...) dass sie verfassungsfeindliche Ziele erreicht."

Brosius-Gersdorf stellte in dem Zusammenhang klar: "Wenn es genug Material gibt, wäre ich auch dafür, dass der Antrag auf ein Verbotsverfahren gestellt wird. Weil das ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie ist, dass sie sich gegen Verfassungsfeinde wehrt. Dass es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen." Dennoch gab auch sie zu, "dass damit natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt" werden könne. Ein Satz, der Lanz aufschrecken ließ: "Wenn Sie sagen, 'Anhängerschaft beseitigen' - Sie wollen nicht Menschen eliminieren. Ich will das nur mal klarstellen."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Markus Lanz schaffte es am Donnerstag, einen Bogen zwischen der Entstehung des Grundgesetzes und den aktuellen Gefahren zu spannen. Besonders mit Gerhart Baum unterhielt sich der Moderator angeregt und zeigte sich besorgt, als dieser sagte: "Wir sind bedroht in unserer Freiheit und Demokratie. Das ist die Situation!"

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Bei "Markus Lanz" wurde vor allem ein mögliches Verbot der AfD heiß diskutiert. Während sich vor allem Gerhart Baum zurückhaltend gab, stellte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf klar, dass ein Verbot alleine nicht ausreichen würde. Stattdessen müssten "auch die Probleme, die Ursachen, weshalb diese rechten Parteien so einen enormen Zuspruch haben", angegangen werden. "Da muss es einfach einen Appell an die Politik geben, dass sie die Probleme der Menschen ernst nimmt, dass sie die existenziellen Probleme wieder löst", so die Juristin.

Auch Gerhart Baum forderte: "Wir müssen die Demokratie revitalisieren. Sie hat geschlafen!" Der Ex-Innenminister fügte mit sorgenvollem Blick hinzu: Dass eine solche Partei mehr Stimmen habe als die Kanzlerpartei, "das ist doch entsetzlich! Wir haben zugelassen, dass diese Partei Vertrauen bekommen hat und die (...) demokratischen Parteien Vertrauen verloren haben. Das ist eine ganz schlimme Situation!"  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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