"Wird Energie unbezahlbar?", fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend angesichts der Ausrufung der zweiten Krisenstufe beim Gas. Die Antworten, die ihre Gäste liefern, sind so unangenehm wie die Lage, aber nicht hoffnungslos. Am Ende ist es eine gute Diskussion, vor allem, weil sie die eklatanten Fehler der Vergangenheit aufdeckt und Lösungen zeigt.
Russland macht Ernst und reduziert nun auch die Gaslieferungen nach Deutschland. Die Bundesregierung reagiert und erhöht die Alarmstufe. Was bedeutet das, wie ernst ist die Lage, und wie sieht die Prognose für den Winter aus? Damit beschäftigt sich Maybrit Illner am Donnerstagabend und fragt ihre Gäste: "Alarmstufe beim Gas – wird Energie unbezahlbar?"
Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner
- Monika Schnitzer: Schnitzer ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der LMU München und sagt: "Zum Glück haben wir vier Monate lang noch Gas bezogen, in einer Phase, als schon viele darüber gesprochen haben, dass wir den Gashahn von uns aus zudrehen sollten. "Das habe geholfen, die Gasspeicher ein Stück zu füllen. Man müsse aber alles tun, um Gas zu sparen.
Christian Lindner (FDP): Der Bundesfinanzminister will nach wie vor diejenigen entlasten, die unter den hohen Energiepreisen besonders leiden, sagt aber auch: "Bei gestiegenen Preisen insgesamt ist der Staat nicht in der Lage, auf Dauer dagegen ansubventionieren zu können. Die fiskalischen Möglichkeiten selbst Deutschlands sind begrenzt. Wir können uns zusätzliche Schulden nicht mehr leisten."- Henrike Roßbach: Die Journalistin der "Süddeutschen Zeitung" sagt über den Schaden einer möglichen Gasknappheit und das daraus resultierende Dilemma: "Es gibt kaum eine Alternative. Wir können ja nicht so tun, als wäre Putin nicht in die Ukraine einmarschiert und als wäre es kein Problem, weiter von ihm Gas zu beziehen." Man könne als Land nur versuchen, mit den gegebenen Bedingungen umzugehen.
Lars Klingbeil : Der SPD-Parteivorsitzende verspricht: "Die Bürgerinnen und Bürger brauchen Gewissheit, dass niemand seine Wohnung verliert, weil er seine Energiekosten nicht zahlen kann. Das ist ein Schutzschirm, den wir vorschlagen, den wir in der Koalition diskutieren." Den Weg der erneuerbaren Energien will Klingbeil weitergehen und sagt: "Mein Ziel ist, völlig wegzukommen von der Abhängigkeit von Russland.“- Klaus Müller (zugeschaltet): Müller ist Präsident der Bundesnetzagentur und hat mit seinem Team verschiedene Szenarien durchgerechnet. Die Ergebnisse "haben uns nicht glücklich gemacht". Daraus müsse man nun weitere Aktivitäten entwickeln. Über die Notfallstufe sagt Müller: "Wenn sie denn käme, würden wir private Haushalte so lange schützen, wie das irgendwie möglich wäre. Ich gehe davon aus, dass uns das auch gelingen müsste."
Die Themen des Abends
Grundsätzlich geht es
Christian Lindner sieht Jahre der Knappheit auf Deutschland zukommen und antwortet auf die Frage, wie knapp und teuer es werden wird: "Das liegt ja auch an uns. Wir sind ja nicht nur Objekte schicksalhafter Entwicklungen, sondern wir können ja auch handeln und das macht die Bundesregierung." Zu diesem Handeln gehöre etwa die Ausrufung der Alarmstufe, den Druck von den Preisen zu nehmen und "gezielt im nächsten Jahr diejenigen entlasten, die besonders unter der Inflation und den Preissteigerungen leiden".
Gleichzeitig macht Lindner auf die Grenzen staatlicher Unterstützung aufmerksam. Man könne sich aufgrund der steigenden Zinsen keine neuen Schulden leisten: "Im letzten Jahr hat der Staat vier Milliarden Euro für seine Zinsen gezahlt, im nächsten Jahr plane ich bereits 30 Milliarden ein. Wir können also die Politik auf Pump nicht fortsetzen."
Journalistin Roßbach sieht das Dilemma der Abhängigkeit, sagt aber: "Das, worauf Putin abzielt, also freiheitliche Demokratien zu bekämpfen, die Friedensordnung zu erschüttern und Grenzen neu zu ziehen – das kann man ja nicht mit Blick auf die Gasrechnung hinnehmen. Das dürfen wir nicht hinnehmen, denn die Schäden, die dann entstehen, wären dann noch viel größer."
Klaus Müller versucht, die Lage für den Zuschauer einzuschätzen. "Stand heute haben wir noch eine stabile Versorgung mit Gas auf niedrigem Niveau, perspektivisch auf zu niedrigem Niveau. Darum sprechen wir von einer angespannten Lage, darum heute Morgen die Entscheidung für die Alarmstufe."
Am 11. Juli wird es eine zehntägige Wartung von Nordstream 1 geben, über die Zeit danach verweist Müller auf die Rede Putins vom vergangenen Freitag. Die hält Müller für einschneidend, weil "Putin im Prinzip die jahrzehntelange Beziehung aufgekündigt hat. Russland hat über Jahrzehnte hinweg im Kalten Krieg, in allen Krisen zuverlässig Verträge erfüllt und Gas geliefert. Das wurde letzten Freitag hochoffiziell angekündigt."
Würde tatsächlich die Notfallstufe in Kraft treten, würde laut Müller europäisches Recht greifen. Dann würden besonders schutzwürdige Gruppen wie Krankenhäuser, Pflegeheime, Kasernen, aber auch private Haushalte auch besonders geschützt würden. Industriekunden bekämen Einschnitte zuerst zu spüren. "Für die Industrie wäre das womöglich ein sehr, sehr furchtbares Szenario. "Man könne jetzt aber noch viel tun, um das zu vermeiden.
Was man tun kann, dafür gibt es viele Vorschläge aus der Runde, vom Energiesparen bis zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien. In einem Punkt wird Christian Lindner besonders deutlich. Man habe Gas-Knappheit, aber keine Stromknappheit. Das erste Gebot sei daher: "Kein Gas mehr einsetzen, um Strom zu produzieren."
Der Schlagabtausch des Abends
Einen richtigen Schlagabtausch gab es an diesem Abend nicht, aber ein kleines Scharmützel. Denn natürlich greift Illner kurz vor Schluss auch die Vorschläge auf, die verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Dafür ist Wirtschaftsweise Schnitzer grundsätzlich offen, sofern es weiterhilft. Sollte der Staat aber am Ende mit der Finanzierung dafür geradestehen, sei sie skeptisch. Das Geld könne man woanders sinnvoller investieren. Ihr Fazit: "Ich sehe aktuell nicht, dass Atomkraft das Problem lösen können muss, weil es andere Möglichkeiten gibt.“
Klaus Müller sieht es ähnlich, aber aus anderen Gründen: "Herr Lindner hat vorhin einen ganz wichtigen Satz gesagt: 'Wir haben keine Stromlücke, sondern wir haben ein Problem mit Gas an der Stelle'. Das ist das Primäre, worauf wir achten müssen. Atomkraftwerke produzieren keine Wärme, sie heizen keine Wohnung, sondern sie produzieren Strom. Lassen Sie uns auf das fokussieren, was das Problem ist“, erklärt Müller und führt auf Illners Wunsch noch weitere Argumente gegen Atomkraft auf wie Probleme bei der Spitzenlastfähigkeit oder bei der Herkunft der Brennelemente ("Das ist häufig aus Russland").
Das wiederum schmeckt Christian Lindner nicht: "Der gegenwärtige Chef der Bundesnetzagentur hat mit größter Eleganz und Objektivität verborgen, dass er natürlich ein früherer grüner Minister war und deshalb ausgerechnet ihn nach dem Thema Kernenergie zu fragen, das war auch jetzt eine besondere Pointe von Ihnen", erklärt Lindner der Moderatorin.
Klingt scheinbar plausibel, doch Lindner vergisst dabei zwei Punkte. Zum einen, dass es ja in der Vergangenheit gute Gründe gab und immer noch gibt, aus der Atomkraft auszusteigen. Weil sie eben nicht so sauber, grün und billig ist, wie von Befürwortern immer behauptet. Zum anderen, dass der Schluss, den Lindner ziehen will, überhaupt kein inhaltliches Argument für Atomkraft ist. Der Physik sind Parteizugehörigkeiten herzlich egal.
Die Prognose des Abends
Über den Gasverbrauch im Winter und die Frage, wie lange die Speicher ausreichen würden, sagt Klaus Müller: "Wären die Speicher in Deutschland rein rechnerisch zu 100 Prozent gefüllt, wovon wir noch ein gutes Stück entfernt sind, und würden wir einen durchschnittlichen Winter erleben, könnten wir uns bei einem Verzicht auf russisches Gas gerade mal zweieinhalb Monate versorgen. Dann wären die Speicher leer."
Das Fazit
Es ist kein Abend mit harten Diskussionen, dafür einer mit harten Fakten. Hart, weil vor allem unangenehm und das in zwei Bereichen. Zum einen hart, weil die Prognose für die kommenden Jahre nicht gerade rosig ist. Man werde sich auf weiterhin hohe Energiepreise einstellen müssen, genauso wie aufs Energiesparen. Gleichzeitig steht Christian Lindner als Finanzminister vor der schwierigen Aufgabe, einerseits Maßnahmen gegen die hohe Inflation ergreifen zu müssen, andererseits aber auch gegen eine drohende Rezession.
Zum anderen legt der Abend bei Maybrit Illner schonungslos offen, wie sehr Deutschland nun die kurzfristige und damit verantwortungslose Politik der vergangenen Jahre auf die Füße fällt. Etwa, als Christian Lindner erklärt, dass sich Deutschland auf zu wenige Standbeine gestellt habe. Bei der Sicherheit sei man abhängig von den USA, bei der Energie von Russland und wirtschaftlich vom chinesischen Binnenmarkt.
Gleichzeitig zeigt die Diskussion, wie fatal sich die verschleppte Energiewende nun auswirkt. Nicht nur, weil sie wichtig im Kampf gegen die Klimakrise und deren – auch ökonomische – Folgen ist, sondern auch, weil sie die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und damit einer Situation wie die aktuelle zumindest hätte mildern können.
Bei diesen Dimensionen erscheint es fast lapidar, wenn Klaus Müller verrät, dass die Bundesnetzagentur für eine Gas-Notlage "nicht wirklich gut vorbereitet" war. Es seien keine wirklichen Instrumente vorhanden, um über die Verteilung von Gas im Notfall entscheiden zu können. Erst seit März dieses Jahres erarbeite man eine IT-Plattform, um Kriterien für eine Entscheidung zu haben.
Angesichts dieser Ansammlung eklatanter Versäumnisse muss und darf man den Kopf schütteln, aber nicht vergessen, dass das nichts bringt. Die Milch ist nun einmal verschüttet und zwar reichlich, daher zwingt alleine schon die Praxis, und auch das zeigte dieser Illner-Talk, nach vorne zu schauen und die Versäumnisse zu korrigieren: Sparen, Abhängigkeiten verringern, solidarisch sein und vor allem den Weg mit erneuerbaren Energien konsequent und noch schneller weitergehen. Auch, wenn es erst einmal ein steiniger Weg ist.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.