• Natürlich spielte am Dienstagabend auch die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine bei Sandra Maischberger eine Rolle. Eine zentrale Rolle sogar.
  • Doch das Besondere waren nicht unbedingt die diesbezüglichen Einschätzungen der Experten, sondern die Einblicke in den Zustand der CDU.
  • Auch, weil deren Vorsitzender an diesem Abend einen äußerst blassen Eindruck hinterließ.
Christian Vock
Eine Kritik
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In Niedersachsen wird es sehr wahrscheinlich bald eine rot-grüne Landesregierung geben. Die bisherige Koalitionspartei, CDU, erlitt eine ernüchternde Niederlage. Bei Sandra Maischberger spricht CDU-Chef Friedrich Merz über die verlorene Wahl, während Militär-Expertin Claudia Major und Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa die Lage in Russland und der Ukraine einschätzen.

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Das waren die Gäste bei "maischberger"

  • Friedrich Merz (CDU): Der ehemalige Wirtschaftslobbyist und CDU-Parteichef kritisiert die späten Entlastungen der Bundesregierung beim Gaspreis. Er möchte die Angebotsseite durch einen Weiterbetrieb der Atomkraft- und Kohlekraftwerke erhöhen.
  • Claudia Major: Major ist Expertin für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie analysiert die Situation in Russland und meint: "Was wir jetzt sehen, ist, dass die ukrainischen militärischen Gewinne die politischen Realitäten in Russland verändern. Sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung […] unzufriedener wird."
  • Irina Scherbakowa: Die Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial sagt über die Mobilisierung in Russland: "Jetzt ist eine Panikstimmung." Putin habe diesen Schritt lange gescheut. Für eine Versöhnung mit der Ukraine sei es essentiell, dass das Land den Krieg gegen Russland gewinnt. Danach müssten die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden.
  • Anja Kohl: Die Wirtschaftsjournalistin kritisiert die späte Gaspreisbremse im März, sieht aber noch ein weiteres Problem: "Beim Strom haben wir zu wenig Entlastung." Dennoch sagt Kohl: "Das heißt nicht, dass diese Gaspreisbremse kompletter Unsinn ist, aber sie müsste früher kommen."
  • Helene Bubrowski: Die Journalistin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagt über die Proteste, unter anderem der AfD, gegen die Sanktionen: "Man guckt sehr stark auf das Eigene, das Nationale. Und da kann man dann sehen, dass es mit der Solidarität bei einigen Leuten nicht sehr weit her ist."
  • Christoph Schwennicke: Journalist Schwennicke kritisiert die Wirkung der Einmalzahlung und der Gaspreisbremse: "Der Energiesparer ist bislang der Dumme, weil der Vergleichsmonat des Vorjahres zugrunde gelegt wird. Wenn ich dort ordentlich eingeschürt habe, kriege ich auch eine höhere Einmalzahlung und so ähnlich verhält sich das auch bei der Deckelung."

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Das waren die Themen des Abends

Anja Kohl, Helene Bubrowski und Christoph Schwennicke sollen an diesem Abend das Geschehen der Woche einordnen und das machen sie meinungsstark. Einig sind sich die drei Journalisten, dass die Entscheidung der Expertenkommission für die Entlastungen unter unnötigem Zeitdruck passiert ist. "Da hat die Regierung sehr viel Zeit verdaddelt", meint etwa Schwennicke. Warum es zu dieser Verspätung kam, dafür hat er auch eine Erklärung: "Es gibt starke Fliehkräfte zwischen Gelb und Grün." Allerdings sieht der Journalist hier noch einen Dritten in der Pflicht: "Ein Kanzler und die damit verbundene Partei ist dazu da, zu führen. Mein Eindruck ist, dass Olaf Scholz bei Frau Merkel in die Lehre gegangen ist und statt zu führen, gerne die Dinge laufen lässt, die sich dann schon irgendwie schütteln."

Anja Kohl sieht es "ein bisschen gnädiger". Es sei nicht so, dass die Energiekrise 2023 vorbei sei. "Da fängt sie erst an", so Kohl und präzisiert: "Das eine ist der Preis, das andere ist die Versorgungssicherheit. Wir müssen Energie einsparen und der Anreiz ist nicht da bei dieser Gaspreisbremse, weil sie erst so richtig im März wirken wird."

Bei den nächsten Themen des Abends, dem aktuellen Vertrauensverlust der Ampel-Koalition und der Niedersachsen-Wahl, erklärt Helene Bubrowski: "Jedenfalls muss sich die CDU ernsthaft Gedanken machen. Bei so einer schlechten Performance der Ampel, die sich in Krisenzeiten wie die Kesselflicker streiten, ist das im Grunde genommen eine gemähte Wiese für eine Opposition, sich zu profilieren." Dass sie das bei der Wahl nicht getan habe, läge auch an niedersächsischen Begebenheiten, "aber ich würde sagen: Die CDU hat nach wie vor ihr zentrales Problem nicht gelöst, nämlich eine völlig nicht-erkennbare Programmatik."

Anja Kohl ist in ihrem Urteil ähnlich vernichtend: "Es waren drei Themen, die diese Wahl entschieden haben, das haben die Umfragen ganz klar ergeben: die Energie-Krise, die Inflation und die Klimakrise. Das sind die drei Themen, die die Menschen beschäftigt haben", analysiert Kohl und sagt: "Da hat die CDU anscheinend keine Antworten geliefert. Was die Klimakrise angeht – da ist eine Leerstelle bei der Union." Aber auch die Rolle der FDP sieht die Journalisten-Runde kritisch: "Man hat viel zu spät wieder eine 180-Grad-Wende gemacht. Herr Lindner hat auf die Schuldenbremse gepocht. 2023 wird das Erwachen des Herrn Lindner sein. Dann wird er feststellen, dass keine Schuldenbremse der Welt mehr einzuhalten ist. Weil wir sind nicht am Ende dieser Geschichte, wir stehen erst am Anfang. Deutschland wird mehr Schulden machen müssen, um diese Krise zu überstehen und dann wird er auffliegen."

Die Einschätzungen zu Russland und der Ukraine

Natürlich spielt der Ukraine-Krieg auch an diesem Dienstag eine Rolle bei "maischberger" und hier gibt Menschenrechts-Aktivistin Irina Scherbakowa einen Einblick in Russland. Dort sehe sie aktuell keine Kräfte, die Putins Haltung ändern könnten. Über dessen Eskalationsdrohungen sagt Historikerin Scherbakowa: "Je mehr Angst den Menschen eingejagt wird, desto mehr Frieden will man um jeden Preis."

Claudia Major gibt eine sicherheitspolitische Einschätzung der aktuellen Lage und hier ist sie in puncto Eskalation überrascht, dass die deutsche Diskussion immer auf die Atombombe zulaufe. Russland habe wie bisher schon mehrfach mit Raketenangriffen reagiert. Russland habe sehr viele Eskalationsmöglichkeiten und man dürfe die atomare Bedrohung nicht klein reden, "aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in eine Einbahnstraße begeben, wo wir denken: Es läuft automatisch darauf zu."

Der Angriff auf die Krimbrücke habe laut Major eine symbolische, psychologische und praktische Folge. Zum einen habe er Auswirkung auf die Versorgung der russischen Truppen auf der Krim und der Südukraine. Zum anderen sei die Brücke das Symbol, dass Russland die Krim annektiert hat. Die Botschaft des Angriffs: "Russland kann sein eigenes Hinterland und die annektierten Gebiete nicht schützen und nicht kontrollieren." Vor allem käme in Russland das Bild an, "dass der Krieg nicht gewonnen werden kann". Über die Vergeltungsschläge Russlands sagt Major: "Was Russland mit diesen Raketenangriffen gemacht hat, sind Kriegsverbrechen."

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So schlug sich Sandra Maischberger

Sehr gut – was vor allem Friedrich Merz feststellen musste. Der CDU-Chef ist ein redegewandter und geübter Polittalkshow-Gast, doch Maischberger durchschaute seine Taktiken und ließ sie in den allermeisten Fällen nicht durchgehen. Zum Beispiel beim Abschneiden der CDU bei der Niedersachsen-Wahl. "Niedersachsen – das schlechteste Ergebnis der CDU seit 1955", konfrontiert ihn Maischberger zuerst mit einem Blick auf die Historie und dann mit seinen eigenen Worten: "Und Sie haben gesagt: Ihre Zweitstimme für die Wahl in Niedersachsen ist auch eine Stimme für die CDU Deutschlands." "Diese Stimme ist nicht gekommen", stellt Maischberger fest.

Merz sieht hier nur die Hälfte der Wahrheit erzählt: "Bei Landtagswahlen stimmt das, aber wir haben ein deutlich besseres Ergebnis bei der Wahl in Niedersachsen bekommen als bei der letzten Bundestagswahl." Bei dieser Bundestagswahl habe man ein noch schlechteres Ergebnis gehabt. "Das heißt, wir stehen in Niedersachsen mit dieser Landtagswahl besser da als mit der Bundestagswahl", so Merz. Maischbergers Antwort: "Aber das ist ja jetzt der Maßstab gesucht, wo man ihn gut findet."

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

In ähnlicher Manier geht es weiter: Maischberger konfrontiert Merz mit seiner "Sozialtourismus"-Aussage über ukrainische Flüchtlinge, doch Merz behauptet, das sei bei der Landtagswahl kein Thema gewesen. Aber auch hier lässt sich Maischberger nicht einfach abwimmeln: "Das Thema haben Sie gesetzt, deshalb rede ich mit Ihnen darüber." Als Maischberger Merz etwas später fragt, wie lange die Atomkraftwerke noch weiterlaufen sollen, antwortet Merz: "So wie Greta Thunberg das auch sieht – mindestens Ende 2024." Doch Maischberger erkennt die Instrumentalisierung Thunbergs und berichtigt Merz umgehend: "Sie hat kein Datum genannt. Ich weiß es, weil ich das Interview geführt habe, das morgen ausgestrahlt wird." Kurzum: Je hartnäckiger Maischberger blieb, desto blasser wurde Merz' Auftritt.

Das Fazit des Abends

Es war eine interessante Runde, aber nicht unbedingt wegen der Inhalte und Einschätzungen der Experten. Diese hat man zum Teil schon so oder so ähnlich gehört. Nein, am interessantesten war an diesem Abend der Auftritt von Friedrich Merz, war er doch ein Paradebeispiel dafür wie vermeintlich rhetorisches Geschick über inhaltliche Auseinandersetzung gestellt wird. Getreu dem Motto: Wir drehen uns die Argumente so, wie wir wollen – Hauptsache am Ende entsteht irgendwie der Eindruck, man habe Recht gehabt und nach außen Stärke ausgestrahlt – ganz egal, was inhaltlich tatsächlich der Fall ist.

So erklärt Merz zum Beispiel, man habe der Koalition bereits im Frühjahr Vorschläge bezüglich der Energiepreise gemacht. Wenig später, als es um die finanzielle Versorgung der Ukraine-Flüchtlinge geht, will er aber nicht mehr darüber diskutieren, was diesbezüglich im März beschlossen wurde, das sei jetzt sinnlos. An anderer Stelle könne Maischberger nicht erwarten, dass sich eine Partei mit einem neuen Vorsitzenden nach neun Monaten "völlig neu aufgestellt" hat. Gleichzeitig fordert Merz aber von der Bundesregierung nach elf Monaten Lösungen für Probleme, die die Vorgängerregierung in 16 Jahren angehäuft hat.

Merz laviert an diesem Abend, er beschönigt, weicht aus und versteckt sich hinter einem "Wir", wenn eigentlich ein "Ich" gemeint ist. Und weil er all das im Brustton der Überzeugung macht, könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass hier ein Macher sitzt, der lediglich das Problem hat, gerade nicht an der Regierung zu sein. Doch zum Glück sitzt an diesem Abend eine aufmerksame Sandra Maischberger gegenüber, die aus all dem ein bisschen die Luft rauslässt.

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