Woher kommt der muslimische Antisemitismus in Deutschland? Und wie kann man ihn bekämpfen? Diese Fragen resultierten am Donnerstagabend in eine hitzige Diskussion bei "Markus Lanz". Auch das ausländerfeindliche Sylt-Video war im ZDF-Talk deshalb Thema.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Natascha Wittmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit Ausbruch des Gaza-Krieges hat sich auch das gesellschaftliche Klima in Deutschland merklich verändert. Während sich jüdische Studenten an ihren Hochschulen nicht mehr sicher fühlen, sind auch viele Muslime üblen Anfeindungen ausgesetzt. Bei "Markus Lanz" äußerte sich Extremismusforscher Ahmad Mansour nicht nur zum Handyvideo aus Sylt, sondern auch zum muslimischen Antisemitismus.

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Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Anzahl der Anfeindungen gegen Muslime stark gestiegen. Gleichzeitig ist jedoch auch der Judenhass in Deutschland so allgegenwärtig wie lange nicht mehr.

Während auf Sylt einige junge Erwachsene vor laufenden Kameras Nazi-Parolen wie "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" grölten, beschmierten zuletzt Studenten der Humboldt-Universität das staatliche Gebäude mit terroristischen Symbolen der Hamas. Markus Lanz blickte daher am Donnerstag auf die steigenden rassistischen Ausfälle sowie den muslimischen Antisemitismus in Deutschland.

Das sind die Gäste

  • Khola Maryam Hübsch, Publizistin: "Meine Befürchtung ist, dass sehr viele Muslime gerade das Gefühl einer Entwurzelung in Deutschland haben."
  • Ahmad Mansour, Extremismusforscher: "Seit dem 7. Oktober sehe ich eine Radikalisierungswelle auf uns zukommen."
  • Murat Kaymat, Jurist: "Junge Muslime sehen sich zunehmend in einer Gegnerschaft zur deutschen Gesellschaft."
  • Mouhanad Khorchide, Theologe: "Die Gefahr, dass sich große Massen muslimischer Jugendlicher jetzt plötzlich radikalisieren, das sehe ich nicht."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Zu Beginn der Sendung sprach Markus Lanz von einem "historischen Moment", da er "noch nie vier Muslime in einer Sendung" vertreten hatte. Gleichzeitig offenbarte Lanz jedoch auch, dass er für die Sendung "erstaunlich viele Absagen" von muslimischen Verbandsvertretern erhalten habe, "so viele wie noch nie". Extremismusforscher Ahmad Mansour reagierte wenig überrascht: "Diese Erfahrung mache ich seit zehn Jahren. Das sind Menschen, die wahrscheinlich ein Islam-Verständnis predigen (...), das keine Kritik und keinen Widerspruch ertragen möchte."

Khola Maryam Hübsch ergänzte dazu, dass sie verstehen könne, "warum man nicht so wahnsinnig Lust hat, in so einer Runde zu sitzen". Laut der Journalistin gehe es in den Medien häufig "nicht um einen konstruktiven Austausch" und nicht "um Perspektiven-Vielfalt", sondern "oft geht es um Diffamierung". Hübsch wetterte weiter: "Ich erlebe das doch selber. Nach jeder Talkshow bin ich auf der Titelseite der Boulevardpresse, und mir werden die schlimmsten Dinge vorgeworfen. Da wird diskreditiert, da wird diffamiert - und es geht gar nicht um das wirkliche Gespräch." Die Journalistin plädierte deshalb dafür, mehr positive Stimmen in den Vordergrund zu stellen, statt sich nur auf die Probleme mit dem Islam zu fokussieren.

"Es gibt so viele verschiedene Arten und Weisen, den Islam auch zu verstehen. Und wir sollten die Stimmen stark machen, die ein anderes Verständnis haben als das der Extremisten", forderte Khola Maryam Hübsch. Jurist Murat Kaymat äußerte daraufhin jedoch seine Bedenken und warnte, dass "das Muslimsein" von vielen nicht mehr "als Glaubensbekenntnis", sondern "als Identität" begriffen werde und es die Auffassung gebe, dass das Muslimsein in Deutschland nur dann funktioniere, "wenn man sich gegen diese Gesellschaft positioniert, weil sie eben Muslime nicht willkommen heißt".

Dies brachte Markus Lanz auf das Handyvideo aus Sylt zu sprechen, in dem Parolen wie "Ausländer raus" gesungen wurden. "Als Sie das gesehen haben, was haben Sie da gedacht?", wollte der Moderator wissen. Ahmad Mansour antwortete nüchtern: "Das existiert leider in Deutschland." Dennoch stellte er klar: "Das ist nicht Deutschland. Das sind nicht die Deutschen. Das sind rassistische Menschen mit einer sehr rechtsradikalen, faschistischen Ideologie." Mansour sagte daher streng: "Ich gebe diesen Menschen nicht die Macht, über meine Zugehörigkeit zu entscheiden. Ich bin hier, um hier zu bleiben. Und deshalb will ich das nicht überbewerten."

Murat Kaymat erklärte daraufhin jedoch, dass das Problem viel tiefer liege, denn das Sylt-Video reihe sich für ihn "in unseren Erfahrungshorizont des Großwerdens in dieser Gesellschaft" ein. Der Jurist ergänzte: "Dieses Skandieren, 'Uns gehört dieses Land. Ihr seid die Fremden. Euch wollen wir hier nicht haben', sind Erzählungen, mit denen Menschen meines Jahrgangs aufgewachsen sind."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Trotz der einhelligen Meinung, dass das Video auf Sylt "nichts Neues für Menschen mit migrantischer Herkunft" darstelle, wollte Markus Lanz wissen, ob sich die Stimmungslage im Land verschärft habe. Khola Maryam Hübsch reagierte kritisch und verurteilte die medialen Debatten der vergangenen Monate: "Wir haben wieder die Ausländerkriminalität rauf und runter diskutiert."

Laut Hübsch werde in den Debatten häufig der "Anteil von Kultur und Religion" überbewertet, während die "sozialen Missstände" ignoriert und zu wenig darüber gesprochen werde, dass "Armut, sozioökonomischer Status, Bildungsteilhabe" die eigentlich "zentralen Faktoren" in der Ausländerkriminalität seien. "Da wundert es mich nicht, dass da am Ende der Rassismus steigt und Menschen 'Ausländer raus' schreien."

Ein Argument, das Ahmad Mansour ablehnte: "Ich glaube nicht, dass der Rassismus (...) einen Grund haben möchte, um rassistisch zu sein." Der Extremismusforscher weiter: "Mich stört insgesamt, dass wir jetzt diese Situation (...) instrumentalisieren wollen, um bestimmte Debatten zu vermeiden. Wenn wir über (...) Ausländerkriminalität sprechen, dann ist das eine legitime Debatte, und das wird nicht dazu führen, dass irgendwelche Nazis irgendwelche Gründe bekommen, um mehr Ausländer zu hassen!"

Ahmad Mansour echauffierte sich in dem Zusammenhang auch über die fehlende öffentliche Empörung, was die anti-israelischen Proteste an der Berliner Humboldt-Universität angeht. "Diese selektive Empörung, (...) das stört mich", so Mansour. Der Extremismusforscher fragte wütend: "Wie kann es sein, dass wir bei den 'Ausländer raus' so empört sind, aber hier eigentlich kaum irgendwie Reaktionen zu spüren sind?" Theologe Mouhanad Khorchide warnte jedoch: "Das finde ich gefährlich, das Eine gegen das Andere auszuspielen."

Mansour blieb dennoch eisern und sagte, dass für ihn sowohl die pro-palästinensischen Demos als auch das Singen von Nazi-Parolen "menschenfeindliche Einstellungen" seien, "die abzulehnen sind". Mouhanad Khorchide konterte darauf mit ernstem Blick: "Die Gefahr besteht jetzt, dass wir pauschalisieren." Auch Khola Maryam Hübsch sagte streng: "Wo Judenhass stattfindet, muss der Rechtsstaat eingreifen." Sie finde es jedoch falsch, jetzt so zu tun, als seien alle Antisemiten, "die im Moment auf das Leid in Palästina und das Leid in Gaza (...) aufmerksam machen wollen".

Lanz hielt prompt dagegen: "Das hat hier keiner gesagt, Frau Hübsch!" Ahmad Mansour nutzte die Chance und erklärte unbeirrt, dass das Problem des muslimischen Antisemitismus nicht von der Hand zu weisen sei: "Ich glaube, dass wir es uns sehr einfach machen, indem wir jetzt auch in dieser Runde nicht die Verantwortung übernehmen - die Verantwortung für Jahrzehnte Erziehung und Erzählungen, die anti-israelisch und anti-jüdisch und antisemitisch sind."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Markus Lanz hatte am Donnerstag zwar größte Mühe, seine Gäste im Zaum zu halten und immer wieder daran zu erinnern, nicht durcheinander zu sprechen. Ihm gelang dennoch eine intensive Gesprächsrunde, in der er der Frage nach dem muslimischen Antisemitismus auf den Grund zu gehen versuchte.

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Bei "Markus Lanz" drehte sich zum Schluss alles um die Frage, ob es "im Islam ein strukturelles Thema mit Antisemitismus" gibt. Khola Maryam Hübsch dementierte dies und sagte, dass es sich hierbei um "ein neues Phänomen" handle. Dem konnte Murat Kaymat nicht zustimmen. Er warnte: "Es gibt keine jüdische Wahnvorstellung, dass Muslime ihnen nicht wohlgesonnen sind. Es ist ein Fakt, dass es unter Muslimen Antisemitismus gibt."

Als Khola Maryam Hübsch dies immer wieder von sich wies, polterte Ahmad Mansour los: "Was für ein Gottesbild müssen Sie haben, Frau Hübsch, dass Sie eigentlich bei jeder Kritik an Ihrer Religion schützend vor der Kritik stehen? (...) Unsere Religion wird stärker sein, wenn wir diese Kritik zulassen!"  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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