Sahra Wagenknecht und Markus Söder in einer Talkshow? Beim Jahresrückblick von Markus Lanz am Mittwochabend im ZDF passiert das zum Glück nur hintereinander. Denn Lanz lässt den beiden so ziemlich jeden Spruch durchgehen. Immerhin gibt es auch gute Momente an diesem Abend, die nicht in Populismus und billigen Lachern enden.
"Spätestens seit Corona spüren wir: Da geht was zu Ende und es kommt auch nicht mehr zurück. Die Welt um uns herum verändert sich, lange schon. Aber jetzt verändert sie ganz offensichtlich auch uns", beginnt
In der Tat leben wir längst in einer Welt der multiplen Krisen und ja, nach den vielen Jahren des Wohlstandes geraten wir tatsächlich vielleicht in eine Ära, in der dieser Wohlstand nicht mehr so selbstverständlich ist. Nicht, weil irgendeine Regierung ihn uns wegnehmen will, sondern, weil wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Es ist also nur plausibel, dass Markus Lanz in seinem Jahresrückblick diese Krisen gleich in den Fokus rückt, schließlich beeinflusst die Vergangenheit die Zukunft.
Damit aber nicht alle bei so viel Tristesse gleich umschalten, beginnt Lanz nach dieser trüben Sicht mit etwas, das ein bisschen Licht in diese dunkle Zeit bringt, vielleicht aber auch nur ein bisschen Ablenkung: Sport. Da gab es in der Tat einige glanzvolle Momente im Jahr 2023: der Gewinn von Europa- und Weltmeisterschaft der Fußball-U17, WM-Silber im Eishockey, der Erfolg von
Sahra Wagenknecht: AfD-Koalition, ja oder nein?
Es wird ein typisches Sportler-Interview über Gefühlslage in Zeiten des Sieges und über den Zusammenhalt der Mannschaft. Was man eben so fragt, wenn es nicht wirklich um den Sport an sich gehen soll. Trainer Herbert darf immerhin einen ganzen Satz sagen. Deutlich mehr Redeanteil erhält an diesem Abend
Gegen das "Wer" ist bei Lanz’ Gästeliste also in diesem Fall nichts einzuwenden, gegen das "Wie" bei seinem Gespräch allerdings schon. Denn Wagenknecht darf die Gelegenheit nutzen, eine populistische Attacke nach der anderen gegen die Regierungskoalition zu reiten, ohne, dass Lanz auch nur einmal nachhakte. Und so darf Wagenknecht über die Ampel Sätze sagen wie "Sie ist eben auch wirklich eine extrem schlechte Regierung", ohne dass Lanz Interesse hätte, eine Begründung zu fordern. Auch, dass Wagenknecht sich nicht konkret festlegen will, nicht mit der AfD zu koalieren, lässt ihr Lanz durchgehen.
"Die AfD ist eine Partei mit einem rechtsextremen Flügel. Solange sie diesen rechtsextremen Flügel hat, kann man mit ihr natürlich nicht koalieren", erklärt Wagenknecht. Klingt eindeutig, ist es aber nicht. Denn die Aussage lässt ebenso offen, ob das generell gilt, nur auf Bundesebene oder auch auf kommunaler und wer überhaupt rechtsextrem definiert. Der Verfassungsschutz, dessen Überprüfung der AfD Wagenknecht einst ablehnte? Auch die Zukunft einer Koalition mit der AfD lässt Wagenknecht mit ihrer Aussage offen. Wird ihre Partei also vielleicht mit einer AfD koalieren, wenn die mal einen rechtsextremen Flügel gehabt haben wird? Wäre ihr die Vergangenheit dieser Partei dann egal?
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Was ist Wohlstand ohne Essen und Trinken?
Nein, ein kritisches Interview ist das nicht, das Lanz da am Mittwochabend mit Wagenknecht führt und es wird nicht besser, als der Moderator mit Carla Rochel eine Aktivistin der Letzen Generation hinzu bittet – um dann vor allem hören zu wollen, was Sahra Wagenknecht zum Thema Klimaschutz und richtige Protestformen zu sagen hat.
Immerhin darf Rochel noch eine Antwort auf Wagenknechts Behauptung geben, bestimmte Vorschläge würden in Deutschland "zu Wohlstandsverlusten führen, ohne dass das Weltklima dadurch profitiert, weil es einfach dann woanders wäre": "Ich finde es ehrlich gesagt dramatisch und es macht mir Angst, immer wieder zu hören, dass Klimaschutz Verzicht bedeutet. Dass Klimaschutz teuer wäre. Dass Klimaschutz uns unseren Wohlstand kosten würde. Unseren Wohlstand verlieren wir in der Klimakrise zu 100 Prozent. Was ist Wohlstand noch, wenn wir nicht mehr genug Essen und Trinken für alle haben? Deshalb ist Klimaschutz jetzt das Sicherste für unsere Wirtschaft."
Nun darf man einen zweistündigen Jahresrückblick natürlich nicht daran messen, was Lanz inhaltlich sonst in seiner Talkshow stemmen kann und unter diesem Gesichtspunkt läuft das Gespräch mit Wagenknecht und Rochel sogar noch vergleichsweise gut. Das kann man vom Schlusspunkt des Abends leider nicht behaupten. Da ist nämlich
"Einer Nation kann nichts Schlimmeres passieren als der Verlust der Kinder"
Vorhersehbar aber nicht lustig ist dann die Art, wie der bayerische Ministerpräsident die Affäre Aiwanger, als der in seiner Schulzeit ein antisemitisches Hetzblatt im Ranzen hatte, glattbügelt. Dass Söder davon und erst recht nach der Wahl in Bayern im Oktober nichts mehr wissen will, ist nicht überraschend. Daher hätte der Fall Aiwanger im Jahresrückblick vielleicht einen besseren Dreh bekommen, hätte Lanz nicht Söder, sondern vielleicht Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland eingeladen. So aber nutzt Lanz die Gelegenheit für ein kleines Wortgeplänkel mit billigen Lachern mit Söder, wie er es schon so oft in seinem Nachttalk gemacht hat. Wichtig ist daran nichts, witzig auch nicht.
Es gibt aber auch die guten Momente an diesem Abend. Zum Beispiel das Interview mit Laura Blajmann Kadar, die das Massaker der Hamas beim Supernova-Festival am 7. Oktober nur knapp überlebt. Und mit Abed Hassan, der gerade seine Verwandten im Gaza-Streifen besucht, als die israelische Armee ihre Gegenoffensive startet. Die Geschichten, die die beiden zu erzählen haben, gleichen sich, ohne gleich zu sein, denn beide handeln von Leid und Todesangst. Dass Blajmann Kadar und Hassan so zusammensitzen, ist ein guter Moment. Noch besser wäre er gewesen, wenn die beiden auch miteinander gesprochen und nicht nur die Fragen von Lanz beantwortet hätten.
Ein weiterer guter, weil wichtiger Moment des Abends kommt, als Lanz an die knapp 20.000 von Russland aus der Ukraine verschleppten Kinder erinnert. Die 14-jährige Veronika Vlasova berichtet per Videoschalte von ihrer Deportation, Mariam Lembert von ihrer Organisation "Bring the kids back to Ukraine", die daran arbeitet, die Kinder zurückzuholen. Olivia Kortas, Ukraine-Korrespondentin der "Zeit", erklärt die Gründe der Deportationen: "Das ist Kriegsstrategie. Das ist ein Mittel, die Ukrainerinnen und Ukrainer zu demütigen. […] Einer Nation kann nichts Schlimmeres passieren als der Verlust der Kinder."
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