Im Fall Amri gibt es nicht Neues, drüber reden kann man trotzdem, denkt sich "Maybrit Illner". Weil der Innenminister zwar frohe Botschaften verkündet, aber nicht als Erklärbär taugt und die Gastgeberin spannende Nachfragen verpasst, hält sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen.
Da hat wohl ein Redakteur von "Maybritt Illner" die Akte Anis Amri für diesen Donnerstagabend auf Wiedervorlage gelegt, und so schlecht war die Idee nicht.
Ein halbes Jahr ist vergangen seit dem schlimmsten islamistischen Terroranschlag in der deutschen Geschichte, bei dem der notorische Kriminelle und Terrorverdächtige Amri in Berlin 12 Menschen ermordete.
Neue Maßnahmen nach Innenministerkonferenz
Am Mittwoch einigte sich die Innenministerkonferenz auf einige neue Maßnahmen, auch unter dem Eindruck des Attentats auf dem Breitscheidplatz: der so oft kritisierte Föderalismus der Polizeien bleibt zwar bestehen, es sollen aber mehr gemeinsame Standards geschaffen werden. Messenger-Dienste wie WhatsApp werden überwacht, schon 6-jährige Asylbewerber sollen künftig ihre Fingerabdrücke abgeben.
Sind das sinnvolle Maßnahmen? Haben die Behörden aus dem "Versagen im Fall Amri", so der erste Teil des Themas der Sendung, gelernt? Und, zweiter Teil, "sind wir sicher vor dem Terror?"
So beliebig bis unsinnig die Frage, so logisch der Aufbau, gleich einer Checkliste: Wo lagen die Fehler, wie beheben wir sie? Doch so einfach ist es natürlich nicht, der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach als Erster das Unvermeidliche aus: "Wir dürfen nicht suggerieren, dass es 100-prozentige Sicherheit gibt."
Leider blieb die Diskussion über eine Annäherung an die 100 Prozent aber an der Oberfläche haften.
"Gut oder nicht gut?"
Stattdessen vergeudete
Insgesamt bleibt es, wie der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz formulierte, schlicht "mysteriös, was da passiert ist" - ein Mann, von verschiedenen Diensten genauestens beobachtet, mit genug Dreck am Stecken für eine U-Haft, vor dessen Absichten der marokkanische Geheimdienst explizit warnte, der trotz alledem einen Anschlag begehen konnte.
Wie nebenbei brachte Illner Hans-Christian Ströbeles Theorie ins Gespräch, US-amerikanische Dienste könnten darum gebeten haben, Amri nicht festzunehmen – ein ungeheurer Vorwurf, für den das Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums einige Indizien hat, die er im Interview mit dem "Cicero" dargelegt hat. Hier blieb es nur eine dahingeraunte Verschwörungstheorie, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit ungerührter Mine dementierte.
Zu einem Lächeln ließ sich de Maizière hinreißen, als er Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer zu einem Lob für die Maßnahmen der Innenministerkonferenz gedrängt hatte.
Thomas de Maizière: "Es wird besser"
"Was denn nun? Gut oder nicht gut?", fragte de Maizière ungewohnt flapsig dazwischen, als Brinkbäumer das Für und Wider von Messenger-Überwachung abwägen wollte. "Eher gut."
Zufriedenes Grinsen beim Minister, der sodann mit beamtengemäßer Genauigkeit referierte, dass ab 1. Juli bei der Gefährdungseinschätzung Fortschritte erzielt werden. Sein Fazit: "Es wird besser." Das gelte auch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, die so weit gehe wie nie zuvor.
Dem Zuseher bleibt nichts übrig, als diesen Botschaften zu glauben – oder auch nicht. Als Erklärbär taugt der Minister nur bedingt. Wer nicht weiß, wie ein "Lastenausgleich" in der Praxis aussieht, den man laut de Maizière von den Einsätzen bei Fußballspielen kennen sollte, muss dumm sterben oder den Second Screen bemühen.
Zeit ist genug, der Minister preist gerade das "Musterpolizeigesetz" als "Durchbruch". Was drinsteht und was das mit der Terrorbekämpfung zu tun hat? Wird nicht erklärt.
Der Berichterstattung kann man entnehmen, dass es ein solches Gesetz schon in den 70er Jahren gab, damals dauerte es drei Jahre, bis es fertig war. Ob der Terror so lange wartet?
"Ganz tolle Software"
Konkreter wird da schon Berlins Innensenator auf die Frage, wie man mit den rund 600 Gefährdern im Land umgehen soll, 100 von ihnen ausreisepflichtig. Geisel antwortet mit einer Rechnung, wie viele Polizisten man für eine 24-Stunden-Überwachung abstellen müsste und kommt auf schlanke 25.000 – so viel zur 100-prozentigen Sicherheit.
Wichtiger als eine zusätzliche Videokamera seien ohne zusätzliche Sozialarbeiter: "Was tun wir gegen Radikalisierung?" Ein Ansatz, den auch die Journalistin Düzen Tekkal immer wieder versucht, in die Runde einzubringen, wenn auch mit deutlicher Kritik an der bisherigen Zusammenarbeit mit islamischen Vereinen und Verbänden: "Wir dürfen die Entradikalisierung nicht den Radikalen überlassen."
Gastgeberin Illner will aber offensichtlich nicht über Prävention reden, sondern über Technik: "Brauchen wir WhatsApp-Überwachung?", fragt sie den Spiegel-Chefredakteur Brinkbäumer, der seinem klaren Ja den wohlfeilen Hinweis folgen lässt, man müsse auch auf die Bürgerrechte achten.
Spannendster Gast mit kürzester Redezeit
Wie weit es mit denen her ist, und in welche Richtung es in Zukunft gehen wird, zeigt der spannendste Gast des Abends, der die kürzeste Redezeit bekommt: Willy E. Kausch, Veranstalter der Berliner Fanmeile, der plastisch von den Problemen bei seinen Events berichtet. Von seinen 2.000 Mitarbeitern wolle er wissen, wer sie sind, sagt er.
Von den 100.000 Gästen könne er das "leider noch nicht wissen", aber in Zukunft vielleicht ja doch. Mit der nötigen Sicherheitstechnologie beschäftigt sich Kausch jetzt schon, und es klingt, als sollte man sich dringend über sie unterhalten, bevor Thomas de Maizière sie umstandslos ins Repertoire der Polizei aufnimmt: Gesichtserkennung und Körper- und Bewegungsanalyse, in den Worten von Kausch "ganz tolle Software".
Was genau sie kann und ob man sie auch einsetzen sollte, für diese Fragen nimmt sich Maybrit Illner keine Zeit. Aber vielleicht hat ein Redakteur das Thema auf Wiedervorlage gelegt.
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