Der Skandal um massenhaft fehlerhafte Asylbescheide in Bremen hat das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert. Was wusste die Kanzlerin? Wie soll künftig mit Flüchtlingen verfahren werden? Viel Futter für eine spannende Debatte bei "Maybrit Illner".

Eine Kritik

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Die Enthüllungen um Tausende fehlerhafte Asylbescheide in der Bremer Außenbehörde des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sorgen für einen handfesten Skandal. Offenbar wurden Asylsuchende systematisch durchgewunken, teils ohne Ausweisdokumente oder Nachweise der Asylgründe.

Das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat ist erschüttert. Den Hintergründen und Folgen des Skandals ging Maybrit Illner mit ihren Gästen unter dem Titel "Chaos beim Asyl – warum hat der Staat versagt?" nach.

Wer sind die Gäste?

Joachim Herrmann (CSU): Der Innenminister Bayerns musste einen schwierigen Spagat vollführen. Einerseits hat sich die CSU 2015 vehement gegen Merkels Entscheidung gewehrt, an der Grenze alle Menschen einfach durchzuwinken.

Andererseits konnte sie als Regierungspartei nicht verhindern, dass das BAMF sich nicht auf die hohen Flüchtlingszahlen einstellen konnte. Herrmann sprach zwar von einem völligen Versagen einiger Bundesbehörden, vermied es aber, Merkel direkt zu kritisieren.

Christian Lindner: Über weite Teile der Sendung konnte man inhaltlich nicht zwischen dem FDP-Parteivorsitzenden und einem CSU-Politiker unterscheiden. Er erklärte die Migrationsfrage zu einem "Sprengsatz für unsere Gesellschaft", forderte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Bremer Asylskandal und sagte ganz selbstverständlich den Satz: "Alle wollen, dass die Abschiebungen steigen, ich auch."

Nicht nur die CSU scheint vor der Landtagswahl in Bayern darauf aus zu sein, Wählerstimmen von der AfD zurückzuerobern.

Robert Habeck: Der Parteivorsitzende der Grünen gab sich für einen Vertreter seiner Partei in einigen Punkten überraschend pragmatisch. Etwa als er sich wie Lindner dafür aussprach, künftig zwischen dem Asylrecht und einem wirtschaftlichen Einwanderungsrecht zu trennen. Soll heißen: Nicht jeder, der nach Deutschland will, darf auch.

Erst am Ende der Sendung geriet er zunehmend mit Lindner und Herrmann aneinander, etwa als es um das Thema sichere Herkunftsländer ging.

Gisela Seidler: Die Fachanwältin für Migrationsrecht sprach sich gegen Pläne der Regierung aus, sogenannte Ankerzentren einzuführen, um Flüchtlinge schneller abschieben zu können. Ferner verteidigte sie das Recht, gegen Asylbescheide zu klagen, weil viele einfach fehlerhaft seien.

Barbara John (CDU): Die Ex-Ausländerbeauftragte des Berliner Senats forderte ein besseres Hilfesystem für Flüchtlinge, das heißt ein Hol-System wie Kanada, Neuseeland oder die USA, aber kein Komm-System. Sie sprach vom Irrsinn, Leute ins Land zu holen, die "wir hinterher wieder abschieben".

Jörg Radek (Gewerkschaft der Polizei): Der Polizeihauptkommissar forderte, dass die Bundespolizei Menschen aus sicheren Herkunftsländern wieder an der Grenze zurückweisen kann. Ankerzentren seien nur ein zusätzliches Verwaltungsproblem. Radek bemängelte die fehlende Realitätsnähe bei der geforderten Zahl von Abschiebungen.

Was war das Rede-Duell des Abends?

Christian Lindner und Robert Habeck, wie sie sich beim Thema Bremen-Untersuchungsausschuss zu maximaler Handlungs- und Gesprächsbereitschaft hoch schaukeln. Laut Habeck fehle ein gemeinsamer Auftrag der Parteien für einen solchen Ausschuss. Lindner: "Wir können uns heute Abend hinsetzen. Fangen wir doch mal an damit." Darauf Habeck: "Ich bin nicht im Bundestag, aber wir können uns gerne hinsetzen. Fangen wir an." Lindner erwidert: "Fangen wir doch mal an!"

Das Publikum applaudiert. Noch mal Lindner: "Ihr habt doch noch nicht mal angefangen, mit uns zu sprechen." Habeck: "Das stimmt ja nicht!"

Ob die beiden tatsächlich noch die Köpfe zusammengesteckt haben, darf eher bezweifelt werden.

Was war der Moment des Abends?

Beim Thema "sichere Herkunftsländer" ging es zur Sache. Hintergrund: Die Grünen blockieren im Bundesrat, die von der Großen Koalition vereinbarte Einstufung der Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsländer – wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit und der Diskriminierung von Minderheiten.

Lindner und Herrmann argumentierten, dass Staaten, in denen viele Deutsche Urlaub machen, problemlos als sicher eingestuft werden könnten. "Sie definieren Rechtsstaatlichkeit danach, wo sie Urlaub machen – als Innenminister?", fragte Habeck ungläubig in Richtung Herrmann. "Nein, nein, das sage ich nicht", verteidigt sich der Bayer schmunzelnd, während das Gelächter einiger Zuschauer seine Stimme fast übertönte.

Wie hat sich die Moderatorin geschlagen?

Maybrit Illner machte eine gute Figur. Zweimal bohrte sie beim arg ausweichenden Herrmann nach, wann es für Merkel im aktuellen BAMF-Skandal eng werden könnte. Als der CSU-Mann später einen langen Monolog beendete, witzelte sie: "Sie hätten auch einfach ja sagen können".

Die Gastgeberin hatte aber auch Glück mit ihren Diskutanten. Trotz des kontroversen Themas und teils konträrer Sichtweisen wurde die Debatte nicht nur sachlich, sondern vor allem zwischen den Politikern überraschend freundlich geführt.

An der persönlichen Chemie scheint die Jamaika-Koalition im Herbst jedenfalls nicht gescheitert zu sein.

Was ist das Ergebnis?

Eine schonungslos offene Diskussion mit vielen ehrlichen Worten und wenig Allgemeinplätzen. Ein CSU-Minister, der von Staatsversagen spricht, und dabei wie ein Oppositioneller klingt. Ein FDP-Vorsitzender, der wie ein CSU-Politiker argumentiert. Und ein Grüner, der nicht jeden seiner Wähler durch die eine oder andere pragmatische Aussage erfreut haben dürfte.

Warum der Staat exakt versagt hat und inwiefern die Kanzlerin frühzeitig von den vielen fehlerhaften Asylbescheiden wusste, konnte die Runde nicht abschließend klären. Bleibt viel Arbeit für den geplanten Untersuchungsausschuss.

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