Was tun, wenn's gebrannt haben wird? Bei "Maybrit Illner" spielte man am Donnerstagabend schon einmal Zukunftsversionen für die Zeit nach dem Lockdown durch. Ein Gast bewies dabei den schärfsten Weitblick – allerdings bei einer noch viel größeren Bedrohung.
"Auf Sicht fahren" war eine gern genutzte Redewendung zu Beginn der Corona-Pandemie, als man noch nicht viel über das Virus wusste und noch weniger, welche die richtigen Maßnahmen sind.
Viele dieser Wissenslücken sind inzwischen gefüllt, trotzdem sind die Infektionszahlen in Deutschland dramatisch hoch, das Land wieder heruntergefahren.
Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner
Karl Lauterbach (SPD), GesundheitspolitikerTobias Hans (CDU), Ministerpräsident des SaarlandsLisa Federle , Ärztin und Initiatorin der "Tübinger Corona-Teststrategie" (zugeschaltet)- Christiane Woopen, Medizinethikerin, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates
- Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut der Universität Hamburg
Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen
Am 21. Dezember will die Europäische Arzneimittelbehörde über die Zulassung des Biontech-Impfstoffes entscheiden und so spielte die Runde erste Fragen zum Corona-Impfstoff durch. Karl Lauterbach zeigt sich hier in Bezug auf Nebenwirkungen optimistisch: "Wir können davon ausgehen, dass dieser Impfstoff sicher ist." Die bisherigen Untersuchungen hätten gezeigt, dass frühe Nebenwirkungen "quasi ausgeschlossen" sind.
Die Organisation der Impfungen selbst sieht Tobias Hans ebenfalls als gelungen an: "Die Menschen in Deutschland können darauf vertrauen, dass das Impfen in den Impfzentren hervorragend organisiert ablaufen wird und vor allem sicher."
In Bezug auf die Geschwindigkeit der Impfungen verweist Christiane Woopen auf die Abhängigkeit von der Zulassung anderer Impfstoffe und davon, dass der Patentschutz ausgesetzt wird, damit sich auch ärmere Länder den Impfstoff leisten können: "Dann geht es noch schneller auch im globalen Maßstab."
Ob die Impfung nur vor einem schweren Verlauf oder auch vor einer Weitergabe der Erkrankung schützt, dafür kann Jonathan Schmidt-Chanasit keine Garantie geben: "Nach all dem, was wir vom Biontech-Impfstoff wissen, ist es erst mal so, dass Krankheit verhindert wird. Es gibt Hinweise, dass auch letztendlich eine Übertragung verhindert werden könnte." Das sei aber auch erst der zweite Schritt mit einem ganz anderen Ziel. Aber der Schutz insbesondere von Risikogruppen sei schon einmal ein erfolgreicher erster Schritt.
Doch Impfstoff und Organisation helfen nur, wenn auch die Menschen bereit sind, sich impfen zu lassen. Hier soll laut Lauterbach eine Impfkampagne folgen, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Für Tobias Hans ist das Impfen auch bei jungen Menschen ein "Akt der Solidarität", nicht nur Risikogruppen, sondern auch den Menschen gegenüber, die sich auf den Intensivstationen aufreiben.
Doch selbst wenn alles nach Plan laufen sollte, mahnt die Runde, dass mit den Impfungen noch keine Normalität herrsche: "Wenn Herdenimmunität erreicht wird, bedeutet das nicht, dass die Infektion weg ist. Das bedeutet nur, dass die 30 Prozent der Bevölkerung, die dann noch nicht infiziert waren, sich langsamer infizieren. Aber sie sind irgendwann dann auch dran", erklärt beispielsweise Karl Lauterbach. Auf Masken und Abstände könne man auch bei Erreichen der Herdenimmunität nicht verzichten, wolle man andere schützen.
Das war der Schlagabtausch des Abends
So viel Einigkeit in der Runde bei den entscheidenden Fragen auch herrschte, bei einem Punkt gingen die Meinungen doch auseinander: Christiane Woopen forderte, die Zeit des Lockdowns für Massentests zu nutzen, weil man dadurch die Zahl der Neuinfektionen deutlich reduzieren könne.
Hier widersprach zunächst Tobias Hans, weil die Testkapazitäten nicht ausreichen würden. Karl Lauterbach sieht den Nutzen von Massentests ebenfalls kritisch, weil unter anderem nicht alle Tests gleich gut seien, und warnt vor einem "Stohfeuer".
So schlug sich Maybrit Illner
Hätte Maybrit Illner für jedes "man hätte" oder "man müsste" an diesem Abend einen Euro bekommen, wäre ein hübsches Weihnachtsgeld dabei herausgekommen. Illner sprach ihre Gäste zwar oft auf eventuelle Versäumnisse an, hakte dann aber nicht hart genug nach, warum man denn nicht getan hat, was man hätte tun sollen oder warum man nicht tut, was man doch tun sollte.
Doch auch als Christiane Woopen ein weiteres "man hätte" beziehungsweise "man sollte" ansprach, griff Illner diesen Vorschlag nicht auf. Die Medizinethikerin forderte die Politik auf, sich mit einem Triage-Gesetz zu befassen, damit der Bundestag über die "Zuteilung von Lebenschancen" entscheide, um diese schwierige Entscheidung nicht "den Ärzten oder Vereinigungen zu überlassen, die dafür gar kein gesetzliches Mandat haben."
Laut Medienbericht: Termin für Impfstoff-Zulassung in Deutschland steht
Das Fazit
Es war ein Abend, an dem viel über politischen Willen gesprochen wurde. Über das, was man tun sollte, hätte tun sollen und über das, was plötzlich möglich war, als man es nur wollte. Daher kann man die Antwort Karl Lauterbachs auf die Frage, ob ihn dieses Jahr verändert habe, auch als Appell an seine Politik-Kolleginnen und Kollegen verstehen, in einer noch viel größeren Bedrohung als es die aktuelle Pandemie ist, endlich das Notwendige zu tun: "Ich bin in einem Punkt extrem pessimistisch geworden und das betrifft den Klimaschutz. Ich glaube, wir hätten mit normalen Public-Health-Maßnahmen, ohne die Impfung, in Europa die Pandemie nicht besiegt."
Lauterbach betonte weiter: "Es wird keine Impfung gegen CO2 geben. Daher bin ich sehr viel pessimistischer geworden, ob wir die Vernunft umsetzen können, die wir für die Klimawandel-Bewältigung benötigen."
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