Einst spinnefeind, nun in Harmonie vereint? Mit Spannung wurde das Zusammentreffen von Annalena Baerbock und Christian Lindner bei Maybrit Illner erwartet. Die grün-gelbe Harmonie versuchte CDU-Mann Norbert Röttgen zu sprengen – mit einigen harten Vorwürfen.
"Kleinster Nenner oder großer Wurf – Ampel unbezahlbar?": Pünktlich zum Start der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP beschäftigte sich
Laut Sondierungspapier wollen die Parteien die Schuldenbremse einhalten, aber auch keine Steuern erhöhen. Zoff scheint vorprogrammiert. Kann die Ampel womöglich noch am Geld scheitern? Und wie lief es atmosphärisch zwischen den Parteivorsitzenden
"Maybrit Illner": Wer sind die Gäste?
Annalena Baerbock: Die Co-Parteichefin der Grünen redete gar nicht groß um den heißen Brei herum. "Der Finanzbereich ist einer der Schwierigsten". Die Wünsche der Ökopartei (Schuldenbremse aufweichen) und der FDP (Steuern senken) finden sich im Sondierungspapier nicht wieder. Trotzdem sollen laut Baerbock mindestens 50 Milliarden Euro jährlich für den Umbau der Industrie, für Infrastruktur und für Digitalisierung investiert werden. Der Plan: Kredite sollen insbesondere durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beschafft werden. Eine staatliche Förderbank, die ihr Geschäft fast vollständig über die internationalen Kapitalmärkte finanziert.
Herfried Münkler: Der Politikwissenschaftler und Autor begleitet ein mögliches Ampelbündnis mit wohlwollendem Interesse. Er fragt sich nur, ob die Latte durch die Betonung auf Begriffe wie "Zukunftsbündnis" nicht zu hoch gelegt wurde. Einerseits sei damit ein Projekt geschmiedet worden. "Aber das hat eine gewisse Verwundbarkeit" geschaffen, sagte Münkler.
Christiane Hoffmann: Die "Spiegel"-Journalistin zeigte sich vom Sondierungspapier enttäuscht. Von ihrem Eindruck "Da sind drei zusammen, die haben etwas Großes vor mit Deutschland" sei nach dem genauen Studieren der Paragrafen nicht mehr viel übrig geblieben. Sie vermisst bislang eine politische Agenda, für Hoffmann ist die Ampel daher ein reines Zweckbündnis. Eines, bei dem die Positionen der Grünen im Sondierungstext sehr schwammig formuliert sind, während sich FDP-Positionen recht klar wiederfänden, wie sie beobachtet hat. Dem widersprachen Baerbock und Lindner. Fast so, als wären sie bereits Koalitionspartner.
Was war das Rededuell des Abends?
Norbert Röttgen ging die Grünen an. "In diesem Papier erkenne ich nicht: Was ist das Markenzeichen dieser Regierung in der Klimapolitik? Was ist die Ansage der neuen Regierung für diesen Gipfel?" Gemeint war der UN-Klimagipfel in knapp zwei Wochen in Glasgow.
Schließlich warf Röttgen Baerbock vor, die neue Regierung wolle die Bestimmungen des von der GroKo verabschiedeten Klimaschutzgesetzes nicht einhalten. Baerbock hatte da fast schon einen roten Kopf bekommen: "Das wäre ja absurd, wenn wir das unterschreiten würden", fuhr sie den CDU-Mann an. "Denn Ihr Klimaschutzgesetz hatte ja überhaupt keine Instrumente." Es war in ihren Augen gefüllt mit schwammigen Absichtsbekundungen. Ganz viel Knochen, ganz wenig Fleisch.
Und Christian Lindner? Der nahm Annalena Baerbock in Schutz. Ein Satz, der so vielleicht noch nie geschrieben wurde. "Klarzustellen ist", erklärte der Oberliberale, "dass eine nächste Bundesregierung beim Klimaschutz ambitionierter sein wird als die jetzige Bundesregierung." Das sei insbesondere Wunsch der Grünen gewesen und jede Partei müsse sich in einer Koalition wiederfinden können.
Was war der Moment des Abends?
Es war ein Moment, in dem man Annalena Baerbock den Wunsch, es anders zu machen als CDU/CSU und SPD, wirklich abnehmen konnte. "Wer hat sich bei den Sondierungen durchgesetzt? Wer ist der Gewinner und Verlierer? Diese Muster haben in der GroKo dazu geführt, nichts mehr zu verändern", antwortete die Grünen-Chefin genervt auf eine Frage. Sie will einen kollegialeren Umgang miteinander.
Bleibt abzuwarten, ob diese Ideale der politischen Realität standhalten. Gehören Profilierungsstreben und Geltungsdrang doch zur Politik wie jede Menge Kaffee zu einer langen Sondierungsnacht.
Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?
An Hartnäckigkeit mangelte es der Gastgeberin an diesem Donnerstag nicht. Doch auch der charmant nachfragenden Maybrit Illner wollte Christian Lindner nicht verraten, wie er es mit dem Posten als künftiger Bundesfinanzminister hält. Da half auch mehrmaliges Nachhaken nicht.
Genau wie bei Norbert Röttgen, der sich zu seinen Ambitionen als möglicher CDU-Chef nicht konkret äußerte. Zumindest verriet Baerbock, dass sie Robert Habeck für den besseren Finanzminister hielte. Wäre ja auch überraschend gewesen, falls nicht.
Was ist das Fazit?
Inhaltlich mag es zwischen Grünen und FDP noch einiges zu klären geben, aber atmosphärisch verhieß die Runde bei Maybrit Illner für alle Fans der Ampel-Koalition Gutes. So freundlich im Umgang hat man Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Christian Lindner wahrscheinlich noch nie in einer TV-Sendung gesehen. Wobei sich eher Lindner bemühte, der Grünen-Frau ein wohliges Gefühl zu vermitteln als umgekehrt. Wollte da jemand all die polemischen Tiraden aus der Vergangenheit vergessen machen?
Sowieso besteht seit Wochen der Eindruck, dass Grüne und FDP die wahren Kanzlermacher sind. Von der SPD war in der ganzen Sendung kaum die Rede. Politologe Münkler bestätigte die Machtverschiebung. Die Zeit, in der der Kanzler die dominierende Kraft der deutschen Politik war, sei vorbei.
"Das wird eine der tiefgreifenden Veränderungen in der politischen Landschaft dieser Republik sein", sagte Münkler voraus. Und die andere einst große Volkspartei, die CDU? "Wir haben Erneuerungsbedarf", befand Röttgen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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