Gibt es in Deutschland eine Gender-Polizei und wer darf über wen noch Witze machen? Maybrit Illner debattierte am Donnerstag (20. Juli) mit ihren Gästen über Cancel-Culture, diskriminierungsfreie Sprache und Witze sowie deutsche Streitkultur. Während die queere Influencerin Leonie Plaar ein Rezept parat hatte, wie man die richtigen Witze findet, echauffierte sich Schauspieler Hape Kerkeling über eine Diskussion, die er am Filmset hatte.
"Alte weiße Männer" hier, Linksliberale, städtische Akademiker dort. Ist das eine Trennlinie, an der die Gesellschaft im Kulturkampf gespalten ist? Gendern, canceln und Wokeness erhitzen die Gemüter, statt offenem Streitgespräch herrscht jedoch viel offene Feindseligkeit.
Das ist das Thema bei "Illner"
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Das waren am Donnerstagabend die Gäste bei "Maybrit Illner":
Düzen Tekkal: Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin sagte: "Es geht um Repräsentanz." Viele ihrer Schauspieler-Freundinnen, die eine Migrationsgeschichte haben, seien es leid. "Die sind es leid, Stereotype zu bedienen – vom Terroristen, vom Intensiv-Straftäter", sagte Tekkal. Man müsse sich an der Lebenswirklichkeit orientieren, aber nicht ausschließlich. "Cancel-Culture ist tödlich", meinte sie. Dabei gehe es Cancel-Culture, die aus der rechtsextremen Ecke komme.
Leonie "Löwenherz" Plaar: "Ich glaube nicht, dass Witze nur durch Diskriminierung funktionieren", sagte die queere Influencerin. Man müsse sich fragen, ob man nach oben oder nach unten treten wolle. Wenn eine lesbische Frau Witze über Hetero-Männer mache, sei es etwas anderes, als wenn diese Männer Witze über lesbische Frauen machten. "Diese Machtebenen sind sehr komplex", analysierte sie.
Julian Nida-Rümelin: "Viele Leute empfinden: Wir sind nicht dabei, wir sind nicht gemeint", sagte der Philosoph, als es um die Umgestaltung der Sprache, beispielsweise beim Gendern, ging. Rechtspopulisten würden das für ihre Kampagnen nutzen. An amerikanischen Hochschulen würde in liberalen Kreisen etwas interpretiert, was große Teile der Gesellschaft gar nicht nachvollziehen könnten.
Das ist der Moment des Abends bei "Illner"
Schauspieler Kerkeling lebt seine Homosexualität offen und berichtete, dass er selbst in den letzten Jahrzehnten nur heterosexuelle Männer gespielt habe. "Anscheinend habe ich diese heterosexuellen Männer glaubhaft verkörpert", sagte er und fragte: "Warum sollte umgekehrt nicht auch ein Heterosexueller einen Schwulen spielen dürfen?" Ebenso könne ein Mann eine Frau spielen.
"Also das muss schon alles noch möglich bleiben", meinte er.
In der bald laufenden Serie "Club las Piranhas" sei seine Wunschvorstellung gewesen, dass eine vietnamesische Hauptdarstellerin einen starken vietnamesischen Akzent hat. Es habe riesige Diskussionen gegeben, dass das nicht gehe und sie "Deutsch sprechen muss, als hätte sie in Hannover studiert", berichtete er und kam zu dem Schluss: "Ich fand schon problematisch, dass wir jetzt in der Darstellung von Ausländern, die in Deutschland leben, dazu übergehen, dass diese immer perfekt Deutsch sprechen könnnen. Das ist verrückt, das ist nicht die Realität."
Das ist das Rede-Duell des Abends
"Die Empfindlichkeiten nehmen zu", attestierte der Philosoph der heutigen Gesellschaft. Die ironische Sprache sei gefährlicher geworden. Kurz darauf entgegnete Tekkal: "Ich glaube gar nicht so sehr, dass wir empfindlicher geworden sind, sondern, dass der Diskurs sich erweitert hat." Die Menschen, die betroffen seien, könnten inzwischen sehr gut für sich selbst sprechen, sodass es auch um Selbstermächtigung gehe.
Humor bleibe aber ein wichtiges Ventil. Heutzutage sei es beispielsweise deutlich problematischer, an Karneval als Scheich oder mit Sombrero verkleidet zu sein. Tekkal meinte jedoch: "Es ist schwierig, Dinge zu verbieten und zu sagen: Das darfst du nicht." Es gehe eher darum, vorzuleben und zu sensibilisieren.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Es hätten gerne noch mehr konkrete Beispiele aus dem Alltagsleben sein dürfen. Zwar stellte Illner bereits "Eskimo"-Kostüme, Gender-Sternchen und Zigeuner-Schnitzel zur Debatte, doch diese Beispiele wirkten wie aus der Mottenkiste. Vielversprechend waren hingegen ihre Fragen: "Wer darf noch für wen sprechen?", "Ist das gut, wenn wir so voller Vorsicht sind, auch in künstlerischen fragen?" und "Wenn Dicke nur noch über Dicke, Frauen nur noch über Frauen Wite machen dürfen – ist das dann eine diskriminierungsfreie Humorzone?"
Das ist das Ergebnis bei "Illner"
Die Runde hätte ein wenig streitbarer besetzt sein können, es fehlt eindeutig ein Studiogast aus dem konservativen Milieu. Das war wohl einer der Gründe, warum es zu kaum offenem Streit kam. Die Sendung bewegte sich größtenteils auf der analytischen Ebene. So diagnostizierte Journalistin Tekkal beispielsweise, viele Menschen ballten mittlerweile "die Faust in der Tasche und sagen nichts, aus Angst, etwas Falsches zu sagen". Wünschenswert wäre es gewesen, konkreter darüber zu diskutieren, wie sich das ändern lässt.
Verwendete Quellen:
Sendung "Maybrit Illner" vom 20.07.2023 (in der Mediathek des ZDF können Sie die Sendung nachsehen)
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