Die Gäste von Maybrit Illner geben sich am Donnerstagabend selbstkritisch. Es wird wieder einmal klar: Die Bekämpfung des Coronavirus bleibt für Politik und Wissenschaft eine große Herausforderung.
Als "völlig originell" bezeichnet
Es geht um die wieder steigenden Corona-Infektionszahlen und die Frage, ob Deutschland eigentlich gar nichts aus den vergangenen Monaten gelernt hat. Überraschend ist diese Themensetzung in der Tat nicht. Doch man kommt auch schlecht an ihr vorbei, wenn sich täglich wieder so viele Menschen mit dem Virus anstecken wie seit Ende April nicht mehr.
Wer sind die Gäste bei "Maybrit Illner"?
Ute Teichert: "Wir haben Fehleinschätzungen gemacht", sagt die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Damit meint sie etwa die Annahme vom Frühjahr, dass eine zweite Welle erst im Herbst drohe. Sie ruft Infizierte auf, die Quarantäne durchzuziehen, denn das sei für die Gesundheitsämter kaum zu überprüfen.
Jonas Schmidt-Chanasit: Der Hamburger Virologe drängt darauf, die sogenannten AHA-Regeln einzuhalten: Abstandhalten, Hygiene und Alltagsmasken. Dass die aktuellen Infiziertenzahlen trotz der Steigerung noch weit von der ersten Welle im März und April entfernt sind, sei auch auf diese Regeln zurückzuführen: "Da sieht man, dass die Strategie funktioniert."
Heidrun Elbracht: Die Leiterin der Janusz-Korczak-Gesamtschule im ehemaligen Corona-Hotspot Gütersloh wird gefragt, wie sich Schulunterricht in Pandemiezeiten organisieren lässt. Ihre ernüchternde Antwort: "Es geht, aber es ist anstrengend und es ist schwer. Und es verändert alles."
Was ist der Moment des Abends?
Aufhorchen lässt eine selbstkritische Äußerung von Karl-Josef Laumann. Gefragt, ob die Deutschen Angst vor einem zweiten Lockdown haben müssen, sagt der NRW-Gesundheitsminister: "Ich glaube: Wenn wir Mitte März das gewusst hätten, was wir jetzt wissen, hätten wir nicht den Lockdown gemacht, den wir gemacht haben."
Inzwischen bekomme er jeden Morgen eine genaue Übersicht über die Kapazitäten freier Intensivbetten. Zudem sei er überrascht gewesen, wie viele Intensivbetten zu Beginn der Pandemie in Deutschland in kurzer Zeit zur Verfügung gestellt werden konnten.
Vereinfacht gesagt heißt das wohl: Der erste Lockdown in diesem Jahr wäre in dieser Form gar nicht möglich gewesen – daher wird es auch keinen zweiten geben.
Was ist das Rededuell des Abends?
Gestritten wird in dieser Sendung nicht. Die Runde ist sich in vielen Fragen einig. Unterschiedliche Einschätzungen gibt es am ehesten zu der Frage, ob eine Maskenpflicht auch für Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts gelten soll. Derzeit ist das nur in Nordrhein-Westfalen der Fall. Der dortige Gesundheitsminister verteidigt den umstrittenen Schritt: "Wir wollten mehr Sicherheit", erklärt Karl-Josef Laumann, "auch um Ängste abzubauen."
Malu Dreyer sieht allerdings keinen Grund, von ihrem Kurs abzurücken: In Rheinland-Pfalz muss die Maske während des Unterrichts im Klassenraum nicht getragen werden. "Das ist etwas, was wir gemeinsam entschieden haben – zusammen mit Virologen, Kinderärzten und der kompletten Schulgemeinschaft."
Welcher Schritt nun der bessere ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand sagen. Auch vom Virologen Schmidt-Chanasit kommt da wenig Einordnung. Der Experte hatte sich zwar zunächst für das Masketragen während des Unterrichts ausgesprochen. An diesem Abend sieht er die Sache aber etwas differenzierter: Diese Stellungnahme sei eine rein virologische Einschätzung gewesen. Es gebe aber auch pädagogische Gründe, die gegen die Maske im Unterricht sprechen.
Was ist das Ergebnis?
Auch wenn Maybrit Illner das Thema ihrer Runde nicht so originell findet: Sie führt dann doch recht souverän durch die Stunde. Es bleibt allerdings eine Sendung ohne echten Wumms. Zu Diskussionen kommt es nicht, stattdessen wird viel Selbstkritik aufgetischt.
Karl-Josef Laumann bezweifelt nicht nur, dass der erste Lockdown im März und April in dieser Form nötig gewesen wäre. Er rückt auch von der sogenannten 50er-Regel ab: Im Mai hatten sich Bund und Länder noch darauf geeinigt, dass es regionale Maßnahmen geben soll, wenn es in einem Kreis zu mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern kommt.
Dass seine eigene Landesregierung nach einem großen Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies dann im Juni den ganzen Kreis Gütersloh in einen zweiten abgeschwächten Lockdown schickte, findet Laumann im Nachhinein auch nicht mehr richtig. Man habe das nur gemacht, um dem Vorwurf entgegenzutreten, Nordrhein-Westfalen agiere halbherzig gegen das Virus. In Wirklichkeit brauche man noch differenzierte Maßnahmen, sagt Laumann: "Zu sagen, der Kreis ist das Maß aller Dinge, das war auch nicht so intelligent."
So viel Selbstkritik muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein: Politiker und Experten sind eben auch nur Menschen und machen Fehler, auch wenn ihnen das nicht so leicht verziehen wird. Allerdings macht die Sendung damit auch klar, dass die Phase der Unsicherheit weitergehen wird. So viel man auch über das Virus noch lernt – Corona bleibt für die Politik eine bisher ungekannte Herausforderung.
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