Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach erklärt am Donnerstagabend bei "maybrit illner", welche Schritte er nun im Kampf gegen die Pandemie geht. Die Botschaften, die er und Physikerin Viola Priesemann zur Omikron-Variante zu verkünden hatten, sind nicht besonders angenehm. Und am Ende gibt es noch eine Rüge für die "Bild"-Zeitung.
Eigentlich kann in einer Pandemie gar nicht genug gemahnt werden. Sieht man sich das Infektions- und Impfgeschehen in Deutschland an, scheinen die vielen Mahnungen aus der Wissenschaft trotzdem nicht ausreichend gehört worden zu sein.
Einer, der immer lieber einmal zu viel als zu wenig gemahnt hat, ist Karl Lauterbach. Der ist nun Gesundheitsminister und am Donnerstagabend zu Gast bei
Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:
Karl Lauterbach (SPD), BundesgesundheitsministerTobias Hans (CDU), Ministerpräsident des SaarlandesMarie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Mitglied im Parteivorstand- Viola Priesemann, Physikerin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen
- Tina Hildebrandt, Chef-Korrespondentin der "Zeit" in Berlin
Das sagte die Runde über die aktuelle Corona-Lage:
"Ich werde erstmal erklären, was notwendig ist und zwar: Wir müssen die Booster-Impfungen so stark voranbringen, - auch Erstimpfungen - dass wir möglichst große Teile der Bevölkerung geschützt haben, bevor die Omikron-Variante kommt", erklärt der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf die Frage, was er als erstes anders machen wird. Boostern funktioniert aber natürlich nur, wenn genug Impfstoff da ist und genau das will auch Maybrit Illner wissen.
"Für dieses Jahr auf jeden Fall. Die Inventur, die jetzt kommt, betrifft das nächste Jahr", erklärt Karl Lauterbach. Ob man die Zahl von 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten schafft, werde nicht am Impfstoff, sondern an den Impfungen liegen.
Lauterbach werde nun den Bedarf der nächsten Monate herausfinden, denn man brauche noch "deutlich mehr Impfstoff". Der Gesundheitsminister sei nicht nur direkt mit den Herstellern in Kontakt, sondern auch wegen eines "Omikron-Impfstoffes": "Dann werden wir den auch bekommen."
Das sagte die Runde über die Omikron-Variante:
"Nur mit drei Impfungen wird man vor der Omikron-Variante – wenn sie denn kommt – wahrscheinlich gut geschützt sein", erklärt Lauterbach bereits ganz am Anfang. Viola Priesemann ergänzt Lauterbachs Einschätzung um ihre Erkenntnisse: "Wir wissen inzwischen relativ gut, dass Omikron deutlich ansteckender ist. Es breitet sich sehr, sehr schnell aus. Wir sehen in den anderen Ländern, dass sich die Fallzahlen vervierfachen jede Woche. Die Verdopplungszeit ist etwa bei drei, vier Tagen, manchmal schneller."
Diese Ausbreitung könne natürlich über Kontaktbeschränkungen oder Masken verlangsamt werden, aber das beträfe nur die Ansteckung. "Der Teil, über den wir bisher sehr wenig wissen, ist, inwiefern es zu schweren Verläufen kommt", erklärt Priesemann.
Hier müsse man noch weitere Daten abwarten, in der Hoffnung, dass es weniger zu schweren Verläufen kommt. "Das Problem ist nur: Wenn diese Welle so extrem steil ansteigt, dann stehen natürlich alle Leute, selbst wenn es nur wenige sind, im Prinzip gleichzeitig vor den Türen eines Krankenhauses. Und das kann sehr schwierig werden."
Ob es angesichts von Omikron eine Frage des Glücks sei, wie sehr man getroffen wird, antwortet Lauterbach eindeutig. "Nein, es hängt davon ab, wie schnell wir sind", erklärt der Gesundheitsminister und fasst seinen Kenntnisstand zusammen: "Wir haben je nach Bundesland zwischen 20 und 23 Prozent Geimpfte, die schon die dritte Impfung haben. Die, die noch nicht die dritte Impfung haben, das ist, was wir derzeit annehmen müssen, sind gar nicht geschützt gegen die Infektion mit der Omikron-Variante."
Wenn die Daten anderes aussagen sollten, habe man Glück, aber die bisherigen Daten würden darauf hindeuten, insbesondere Daten von Biontech selbst. Demnach seien die Doppeltgeimpften wahrscheinlich mehr oder weniger wenig bis gar nicht vor einer Ansteckung geschützt.
Wenn nun Omikron schnell kommt, würden "mehr oder weniger in kürzester Zeit alle Ungeimpften infiziert. Wenn die Zweimalgeimpften sich infizieren, läuft das durch in die Ungeimpften. (…) Dann werden die Ungeimpften in sehr kurzer Zeit schwer erkranken."
Lauterbachs Zusammenfassung: "Die Dreifachgeimpften gehen wahrscheinlich relativ gut durch. Geimpfte gehen wahrscheinlich so durch, dass sie sich auf jeden Fall infizieren können, aber möglicherweise nicht so schwer erkranken. Und die Ungeimpften, die trifft es dann aber wirklich ganz hart."
Dieser Situation könne man nur begegnen, indem man die mittlere Gruppe so schnell wie möglich boostert. Insbesondere, da bei der Verfügbarkeit eines Impfstoffs gegen die neue Variante, diesen Impfstoff die ganze Welt haben wolle.
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Das sagte die Runde über eine allgemeine Impfpflicht:
"Löchriger Impfschutz" und "Unsicherheit über Schwere einer Erkrankung" bei Omikron - Maybrit Illner fragt, ob das nun eine "Stunde Null für die Pandemie" ist. Tina Hildebrandt ist der Meinung: "ein bisschen". Das Wichtige bei der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz sei gewesen, dass Olaf Scholz zwei Signale ausgesendet habe. Zum einen: "Die Impfpflicht wird kommen" und zum anderen: "Es wird nicht aufhören."
Dass es nicht überdurchschnittlich klug war, eine Impfpflicht auszuschließen und sich damit ohne Not ein Instrument zur Bekämpfung einer Pandemie zu nehmen, dürften inzwischen auch die wissen, die genau das getan haben. Und das nicht nur aus epidemiologischer Sicht.
Es entstehe das Bild, dass die Diskussion über eine Impfpflicht an Umfragen festgemacht werde, meint Tobias Hans: "Das macht, wenn man es vom Ende her denkt, ein fatales Gefühl beim Bürger, nämlich belogen worden zu sein." Dennoch müsse man darüber reden, dass es am Anfang "schlichtweg nicht verhältnismäßig gewesen wäre, eine Impfpflicht zu machen."
Was noch wichtig war:
Maybrit Illner macht gegen Ende der Runde noch auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die "Bild"-Zeitung. Die veröffentlichte vor wenigen Tagen einen Artikel mit der Überschrift "Die Lockdown-Macher" und bezog sich dabei auf Viola Priesemann und zwei ihrer Kollegen, alle drei mit großen Fotos über der Überschrift.
Für Tobias Hans ist es wichtig, dass man sich hier schützend vor die Wissenschaftler und Wissenschaftler stellt, denn: "Nicht die Wissenschaft macht Entscheidungen, sondern wir als Politik treffen die Entscheidungen und wir übernehmen die Verantwortung. (…) Die Wissenschaft kann bestenfalls hier begleiten und beraten." Für Hans sei dies "ein Fall für den Presserat."
Für Viola Priesemann selbst ist dieser Artikel nicht nur nicht korrekt, die Wissenschaftlerin sieht ein größeres Problem: "Das ist nicht nur ein Angriff auf mich, das ist ja auch ein Angriff auf die gesamte Wissenschaft. Das versucht, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Wissenschaft zu reduzieren.
Das ist schwierig, denn wir werden viele Krisen noch haben, in denen wir das Vertrauen in die Wissenschaft brauchen. Und wenn das durch solche wirklich widersprüchlichen und auch nicht konsistenten Nachrichten – in dem Fall kann man sogar sagen: falsche Nachrichten – unterminiert wird, dann ist die Frage: Wie machen wir beim Klimawandel, bei wirklich schwierigeren Problemen als Omikron und Delta weiter?"
Das Fazit des Abends:
Es war insgesamt eine gute, weil sehr informative Runde. Das lag wahrscheinlich daran, dass trotz gleich dreier Parteienvertretern niemand Interesse an parteipolitischen Spielchen hatte. Das hatte aber auch zur Folge, dass die inhaltliche Dominanz an diesem Abend bei Karl Lauterbach und Viola Priesemann lag.
Es waren zwar selten positive Nachrichten, die die beiden zu verkünden hatten, aber immerhin ehrliche und immer mit dem Hinweis, dass es sich bei den Aussagen um den aktuellen Stand der Wissenschaft handelt – auch wenn der bei Omikron noch in den Anfängen steckt.
Und so bleiben von diesem Abend vor allem klare Informationen und von Seiten Priesemanns immer wieder die Mahnung zum vorausschauenden Handeln und Denken der Politik: "Wir sollten in dieser Situation uns auf all die Szenarien vorbereiten, damit wir dann, wenn es in zwei, drei oder vier Wochen notwendig sein sollte, vorbereitet in diese Situation hereinkommen", ist so eine Mahnung.
Gleichzeitig, auch das bleibt von diesem Abend hängen, hat man das Gefühl, dass Karl Lauterbach genau das gerade macht: vorausschauend zu denken. Ein Gefühl, das man in den vergangenen Wochen bei seinen Kollegen nicht immer hatte.
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