SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich in der Talkshow von Maybrit Illner erwartungsgemäß gegen Kritik an seiner Corona-Politik zur Wehr setzen müssen. Überraschender war hingegen: CDU-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei schoss gegen Bayerns Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder.

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Omikron rollt über Deutschland, aber die Stimmung im Land erscheint entspannter als bei den vorherigen Wellen. Hat doch das Virus durch die aktuell dominierende Variante deutlich an Gefährlichkeit eingebüßt.

Alte Debatten, wie die zur Impfpflicht werden derweil weiter geführt, neue Diskussionen sind dazugekommen: Wer soll die rar gewordenen PCR-Tests zuerst erhalten? Eine große Konstante bleibt aber: die völlig unterschiedlichen Bewertungen der Situation in Politik und Gesellschaft. Das Thema bei Maybrit Illner am Donnerstagabend: "Streit ums Testen und Impfen – wieder nicht gemeinsam gegen Corona?"

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Wer sind die Gäste bei Maybrit Illner?

  • Karl Lauterbach: Der SPD-Bundesgesundheitsminister verteidigte sich gegen Kritik an dem im europäischen Vergleich relativ niedrigen Niveau an verfügbaren PCR-Tests. Er habe "alles gemacht", um die Kapazität von 2,4 auf 2,8 Millionen zu steigern. Auch gegen die extrem kurzfristig kommunizierte Verkürzung des Genesenenstatus durch das Robert-Koch-Instituts auf drei Monate musste sich Lauterbach zur Wehr setzen. Zudem warb er weiter für eine allgemeine Impfpflicht und nicht für einen Kompromiss, etwa die Impfpflicht ab 50 Jahre.
  • Thorsten Frei: Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion sparte nicht mit Kritik an Lauterbach, nahm aber auch seinen Unions-Kollegen Markus Söder (CSU) nicht aus, der die Anti-Corona-Maßnahmen als Ministerpräsident Bayerns in Teilen entgegen der Bund-Länder-Beschlüsse gelockert hatte. "Ich glaube schon, dass das ein großes Problem ist", sagte CDU-Mann Frei. Weil es die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz der Beschlüsse nicht erhöhe. Frei sprach sich dafür aus, ein bundesweites Impfregister und die Impfpflicht für Pflegekräfte einzuführen.
  • Prof. Frauke Rostalski: Das Mitglied des Deutschen Ethikrats forderte klare Kriterien bei der Zuteilung der knappen PCR-Tests. "Zuerst Menschen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und für Menschen, die zur Risikogruppe gehören". Aber man dürfe auch die anderen Gruppen nicht aus dem Blick verlieren, so Rostalski.
  • Linda Teuteberg: Die FDP-Bundestagsabgeordnete ist Gegnerin der Impfpflicht und setzt sich stattdessen eine kluge Teststrategie und für eine Impfkampagne ein, die wie in Frankreich "Kopf und Herz erreicht". "Welches Signal sendet die, wenn sie überwiegend nicht durchgesetzt wird?", sprach Teuteberg einen möglichen Schwachpunkt der vom Bundestag noch nicht beschlossenen Impfpflicht an. Sie will darüber hinaus mehr Planbarkeit für die Bürger, die dreimal geimpft sind und sich an alle Regeln gehalten haben und mahnte: "Wir brauchen nachvollziehbare Begründungen für Grundrechtseingriffe."
  • Prof. Carsten Watzl: Der Immunologe ordnete das Infektionsgeschehen unaufgeregt und verständlich ein. Ein enormer Gewinn für die Sendung. Fehlende PCR-Tests seien gar nicht das Problem, bemerkte Watzl, sondern dass es in Deutschland seit 2020 über neun Millionen Infizierte, womöglich sogar doppelt so viele gebe. "Und wir wissen gar nicht, wer das ist und ob sich diese Personen noch mal haben impfen lassen." Zu den aktuell rasant steigenden Inzidenzen sagte Watzl: "Omikron hat die Regeln verändert", aber als Geimpfter sei man trotzdem immer noch gut geschützt gegen einen schweren Verlauf. Watzl war lange gegen die Impfpflicht, ist inzwischen aber dafür. Der Grund: Vor allem die Impflücke bei den über 60-Jährigen müsse geschlossen werden. "Sonst bekommen wir im nächsten Winter neue Probleme."

Was ist das Rededuell des Abends?

Thorsten Frei ließ kein gutes Haar an Karl Lauterbach und dessen Kommunikation bei der Verkürzung des Genesenenstatus. "Das ist nicht nur eine Kommunikationspanne, sondern auch etwas, was Vertrauen zerstört, weil Menschen von einem Tag auf den anderen vor völlig neue Situationen gestellt werden", ätzte Frei. Gemeint waren Betroffene, die ihren Urlaub absagen mussten, weil sie sich nicht mehr rechtzeitig impfen lassen konnten. Den nächsten Kritikpunkt sah Frei bei der mangelnden Nachvollziehbarkeit der Maßnahme. "Auf europäischer Ebene gilt etwas anderes (sechs Monate, Anm. d. Red.) und im Bundestag gilt wieder etwas anderes."

Lauterbach verteidigte sich: "Ich räume ja ein, dass man das besser kommunizieren sollte, aber hier ist auch sehr viel Parteipolitik", warf er dem CDU-Mann vor. Frei blieb bei seiner Linie: "Ich würde es für falsch halten", betonte er, "wenn wir in Deutschland eine Sonderweg gehen würden".

Was ist der Moment des Abends?

Die derzeit grassierende Omikron-Variante wird von manchen aufgrund der deutlich gesunkenen Zahl an schweren Verläufen als möglicher Ausweg aus der Pandemie betrachtet. Andere europäische Länder haben die Schutzmaßnahmen schon vollständig abgeschafft. "Können wir laufen lassen?", stellte Maybrit Illner Carsten Watzl die Frage aller Fragen.

"Omikron ist erstmal harmloser", räumte der Immunologe ein. Dann kam das große Aber: Die Welle wüte derzeit vor allem unter Kindern und jungen Erwachsenen und sei zum Glück noch nicht bei den über 60-Jährigen angekommen. "Bei Inzidenz 1000 bei den über 60-Jährigen werden sich auch wieder die Krankenhäuser füllen", warnte Watzl vor einem zu schnellen Lockerlassen. Laufen lassen sei (noch) keine gute Idee, befand der Experte.

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Die Gastgeberin hakte an den richtigen Stellen nach und wies auf Widersprüche in den Argumentationen hin. Beispiel einrichtungsbezogene Impfpflicht: In der Runde wurde es lange so dargestellt, als könnten durch die Impfung von Pflegekräften Infektionen von Pflegebedürftigen verhindert werden. Dabei schützt die Impfung ja nicht per se vor Infektionen, sie verringert vor allem das Risiko, sich anzustecken und schwer zu erkranken, das Virus weiterzugeben hingegen nur etwas. Illner wies im letzten Drittel der Sendung darauf hin. Ein wichtiger Punkt.

Insbesondere Karl Lauterbach nahm Illner immer wieder in die Mangel. Ob Kanzler Olaf Scholz (SPD) ihn bei seinem ursprünglich angekündigten Antrag zur Impfpflicht zurückgepfiffen habe? Der Minister verneinte. Und ob er mit der Verkürzung des Genesenenstatus auf drei Monate indirekt die Impfquote erhöhen wolle? Wieder verneinte der SPD-Mann. Dann merkte Illner spitzfindig an: "Wir merken, dass sie immer einsamer werden am Tisch mit diesen drei Monaten."

Wie lautet das Fazit?

Es war eine Runde, die nach 75 Minuten Talk in vielen Punkten selten auf einen Nenner kam. Während Karl Lauterbach den Schutz der Bevölkerung – als Gesundheitsminister verständlicherweise – als höchstes Gut betrachtete, äußerte vor allem FDP-Politikerin Linda Teuteburg Zweifel an der Verhältnismäßigkeit vieler Maßnahmen. Die Menschen bräuchten wieder Hoffnung und eine Perspektive für die Zeit nach Corona, klang bei ihr an.

Ein wenig haben sich die reflexartigen Mahnungen Lauterbachs vielleicht auch abgenutzt. Zumindest wiederholte der Minister bei Illner nicht seine düstere Warnung vor der nächsten hochgefährlichen Virusvariante (die vielleicht nie kommen wird).

Eine reales Problem könnte indessen bald entstehen, wenn manche Pflegekräfte aufgrund der Impfpflicht die ohnehin personell schlecht ausgestattete Branche verlassen würden. Thorsten Frei glaubt nicht, dass es zu vielen Kündigungen kommen wird. In Frankreich hätten die wenigsten der Branche den Rücken gekehrt, versuchte er Zweifel an einer möglichen Berufsflucht zu zerstreuen. Und bei der Bundeswehr sei die Impfpflicht ja inzwischen auch eingeführt worden. Der Piks gegen das Virus wurde dort einfach in die Liste der verpflichtenden Impfungen aufgenommen. Ohne dass es nennenswerte Proteste gegeben habe.

Ja, sie gibt es auch: die kleinen Erfolgsgeschichten in der Pandemie. Nur bleiben die weitaus schwerer im kollektiven Gedächtnis haften als die Pannen und Rückschläge. Eine der Lehren aus fast zwei Jahren Corona.

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