Aus dieser Talkshow geht man in der unübersichtlich wirkenden Flüchtlingskrise ausnahmsweise nicht mit vielen Fragezeichen. Das Thema wird dankbar klar eingegrenzt und moderiert. Und zum ersten Mal wird wirklich über eine ernsthafte Lösung diskutiert.
Was ist das Thema?
Die Sendung orientiert sich fest an den Begriffen Obergrenzen und Kontingente. Letzteres bedeutet, dass eine festgelegte Anzahl an Flüchtlingen organisiert nach Deutschland geholt wird – zum Beispiel über Nordafrika. Ist das die Lösung für einen gesteuerten, menschenwürdigen Zustrom? Das will Illner diskutieren. Vorneweg: Es war eine Runde mit erfrischend klaren Meinungen abseits oberflächlicher, ermüdender Politiker-Rhetorik.
Wer sind die Gäste?
Viele Kommunen seien am Limit, erklärt er und nennt das Beispiel Paderborn. Die Stadt habe 150.000 Einwohner und 3.000 Flüchtlinge, deshalb sei die Verwaltung "nicht mit Integrationsfragen beschäftigt, sondern damit, sie unterzubekommen. Das sind zu viele." Er fordert Obergrenzen, ist Kontingenten gegenüber aber nicht abgeneigt, - insofern Europa mitmache.
Firas Al Habbal, Flüchtlingsbetreuer in Bautzen. Der 23-Jährige kam 2014 als syrischer Kontingentflüchtling. Ein Jahr und acht Monate musste er in Libanon warten, ehe er nach Deutschland geflogen wurde. Er spricht bemerkenswert gut Deutsch. Fünf Monate brauchte er dafür, arbeitet heute als Guide in einer Flüchtlingsaufnahmestelle - ein Musterbeispiel für schnelle Integration.
Kübra Gümüsay, Journalistin, Bloggerin. Eine Idealistin, die enthusiastisch redet. Vielleicht eine Spur zu viel, in dieser recht rationalen Debatte. "Die Stimmung hat umgeschlagen in ein Bild von antisemitischen und sexistischen Männern", meint sie und fragt: "Wie sollen wir zusammen leben, wenn das die Grundstimmung in unserem Land ist?"
Ihre Grundsatzkritik ist tiefgründig: "Wir haben nicht erlaubt, dass sich Flüchtlinge von früher als Deutsche fühlen dürfen", sagt sie. "Wir müssen aufhören zu denken, dass sie Probleme importieren. Wir schaffen ein stereotypes Bild." Populismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit – sie kritisiert vieles zu Recht, vergisst aber, worum es in der Runde bei Illner vorrangig geht.
Ulrich Reitz, Chefredakteur des Magazins "Focus". Er nennt unliebsame Themen beim Namen. "Wir werden Abschiebungen produzieren", sagt er, "und solche Bilder sehen nicht gut aus. Durch das Formulieren einer Grenze passiert gar nichts." Ein Pragmatiker, der offenbar nichts von Obergrenzen hält. Wohl aber auch ein Skeptiker: "Stellen sie sich vor, dass nächstes Jahr nochmal 800.000 kommen. Dann will ich sehen, was hier los ist."
Elias Bierdel, borderline-europa – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.. Er war auf der Insel Lesbos, erlebte Flüchtlingsdramen. Im Gegensatz zu vielen Politikern. Klingt polemisch. Ist aber so. Bierdel findet es absurd, den legalen Weg über Kontingente nicht zu ermöglichen und dagegen die Flucht über die Balkanroute illegal zu nennen. Das leuchtet ein. "Das ist Heuchelei. Da fahren Fähren", sagt er, "und dann zwingt man Flüchtlinge in die Schlauchboote". Mit Kontingenten wären laut ihm "die Schlepper an einem Tag erledigt".
Was war das Rede-Duell des Abends?
Als es um Ideale geht. Gümüsay referiert, andere steigen ein. Reitz meint: "Grundwerte sind nicht absolut. Unser Grundgesetz ist gemacht für kleinere Zahlen. Ein Jahr und eine Million schaffen wir noch. Dann wird es gefährlich."
Auch die Sozialdemokratin Dreyer bleibt rational, verweist auf syrische Flüchtlinge in der Türkei. "Wir werden die 2,2 Millionen nicht auch noch packen." Bierdel nennt daraufhin den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan jemanden, "der uns die Probleme vom Hals schafft. Dann gehen natürlich unsere Werte baden, unsere Glaubwürdigkeit". Dreyer dazu: "Wir müssen so schlimme Dinge machen, wie mit ihm reden." So schnell bremst man Idealisten aus.
Was war der Moment des Abends?
Firas Al Habbal hat das Schlusswort. Es wird pathetisch: "Mein Wunsch ist es, dass ich Medizintechnik weiter studieren und diesem Land etwas zurückgeben kann. Deutschland hat mir viel Gutes getan." Nehmen und geben. Das macht Mut in einer teils populistischen Debatte.
Wie hat sich Illner geschlagen?
Hervorragend. Sie ist erkältet, ihre Stimme stark angeschlagen. Sie lässt sich aber nichts anmerken. Abgeklärt navigiert sie ihre Gäste durch die Diskussion und beendet diese süffisant mit: "Bleiben sie heiter."
Was ist das Ergebnis?
Endlich Klartext. Zwei Begriffe; Meinungen, die dafür und dagegen sprechen; Argumentationen, die sich nachvollziehen lassen. Kein Abschweifen in Parteienzwist oder unübersichtliche Verallgemeinerungen. Entsprechend leicht lässt sich die Diskussion anschauen. Gut gemacht, Maybritt Illner und Redaktion!
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