Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss sich bei Maybrit Illner für ihre Entscheidungen als Kanzlerin rechtfertigen. Doch wer auf ein Eingeständnis von Fehlern gehofft hatte, wird enttäuscht. Kritik an ihrer Politik lässt Merkel – wie früher schon – an sich abperlen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Anlässlich der Veröffentlichung ihrer Memoiren "Freiheit" tourt die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die Republik. Auch bei "Maybrit Illner" zieht die langjährige Regierungschefin (2005-2021) eine Bilanz ihrer Amtszeit und gibt Einblicke in ihre Entscheidungen und Überzeugungen.

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Doch anders als viele Menschen ihre Regierungszeit in Erinnerung haben – als eine bräsige Epoche, in der wichtige Weichenstellungen verpasst wurden und Deutschland langsam stehen blieb – zeichnete Angela Merkel ein ganz anderes Bild ihrer Kanzlerschaft.

Sie könne an "vielen Beispielen aufzählen, dass wir uns sehr wohl um die Modernisierung gekümmert haben", sagte die ehemalige CDU-Chefin. Ihr Lieblingsthema sei bekanntlich die Digitalisierung gewesen. "Da haben wir richtig gepusht." Nur hätten die Länder aus einem Topf von drei Milliarden Euro bis heute nur einen kleinen Teil abgerufen.

In ihrer Regierungszeit sei die Zahl erwerbstätiger Frauen von 59 Prozent auf 72 gestiegen, die Zahl der Arbeitslosen habe sich mehr als halbiert. "Jetzt kann man sagen: alles kein Plan. Aber ich würde mal sagen: Das haben wir schon nicht so schlecht gemacht", zog sie eine zufriedene Bilanz.

Grobe Fehler wollte sie in der Retrospektive jedenfalls nicht erkennen. Weder beim Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima, noch in der Flüchtlingskrise ab 2015. Und auch nicht im Umgang mit der Ukraine und ihrer heute manchmal als naiv bezeichneten Russland-Politik. Besonders intensiv diskutierte Merkel mit Maybrit Illner über ihr Verhältnis zu Moskau und Kiew.

Merkel lehnt Weg der Ukraine in die Nato ab

Hätte der Westen die Ukraine viel früher und viel intensiver ausrüsten und unterstützen müssen? Merkel hält ihre Entscheidung, gegen einen Nato-"Membership Action Plan" (Aktionsplan für die Mitgliedschaft) der Ukraine zu stimmen, auch im Nachhinein für richtig.

Damals sei mehr als die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung gegen eine Nato-Mitgliedschaft gewesen und die russische Schwarzmeerflotte war noch auf der Krim stationiert. Putin hätte das nicht tatenlos hingenommen und auch für die Nato wäre es schlecht gewesen, weil es im Falle eines russischen Angriffs eine Bündnisverpflichtung gegeben hätte, so Merkel.

Mit dem "Aktionsplan" wäre die Ukraine für mehrere Jahre in einem Schwebezustand geblieben. "Das hat mir Sorgen gemacht", sagt Merkel.

Spannend ist ein Satz Wladimir Putins, den die Altkanzlerin auspackte. Russlands Präsident soll zu ihr gesagt haben: "Du wirst nicht ewig Kanzlerin sein, und dann werden sie Nato-Mitglied. Das will ich verhindern." Auf die Unterstellung Illners, Putin habe sich auf Merkel verlassen, kontert diese mit deutlichen Worten: "Das bestreite ich, dass er sich auf mich verlassen hat. Ich habe ja auch im gleichen Kommuniqué gesagt, die Ukraine wird eines Tages Nato-Mitglied sein. Es ging nicht um ein russisches Veto."

"Ich entschuldige mich nur für Dinge, wo ich der Meinung bin, sie waren zu einem bestimmten Zeitpunkt falsch getroffen."

Angela Merkel, Altkanzlerin

Als Illner sie fragt, ob sie sich für ihre Ukraine-Politik entschuldigen müsse, ist Merkel sichtlich irritiert. Sie verhaspelt sich kurz, ehe sie sagte: "Ich entschuldige mich nur für Dinge, wo ich der Meinung bin, sie waren zu einem bestimmten Zeitpunkt falsch getroffen."

Wie ihre zurückgenommene Osterruhe während der Corona-Pandemie. Aber mit Blick auf die Ukraine kann sie das auch "nach reiflicher Prüfung" nicht erkennen. Entscheidungen seien unter den jeweiligen Umständen getroffen worden, immer in Abstimmung mit Kiew, so Merkel. Soll heißen: Im Nachhinein klug reden ist einfach.

Billiges russisches Gas für Merkel "von Vorteil"

Auf die heftige Kritik der heutigen ukrainischen Führung an ihren Entscheidungen ging Merkel nicht ein. Sie bewundert Präsident Wolodymyr Selenskyj für den Mut, sein Land nach dem russischen Angriff nicht verlassen zu haben, obwohl ihm die Amerikaner das angeboten haben. "Trotzdem bin ich mit ihm bei der Einschätzung zu Bukarest unterschiedlicher Meinung."

Auch die Kritik am langen Festhalten am billigen russischen Gas perlt an Merkel ab. Alle hätten das gewollt, vor allem die deutsche Wirtschaft. "Die Realpolitik hat mir gesagt, dass es natürlich von Vorteil ist, wenn Deutschland billige Energie bekommt."

Das stand für sie auch nicht im Widerspruch zu den Wirtschaftssanktionen gegen Russland – denn sie wollte nicht alle Brücken abbrechen. Heute hingegen meint Merkel: "Ich wünsche mir, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt."

Die Ukrainepolitik der noch amtierenden Bundesregierung kommentierte Merkel nur indirekt. Sie lobte die Abkehr vom russischen Gas und wiederholte das Scholz-Mantra, dass Deutschland finanziell einer der größten Unterstützer der Ukraine in der Welt sei.

Merkel kritisiert CDU für Grenzpläne

Merkel hielt sich mit Ratschlägen an die Politiker des Landes "von der Seitenlinie" merklich zurück. Sie sagte den merkelschen Satz:"Ansonsten ist jetzt Wahlkampf, an dem ich nicht teilnehme."

Selbst harsche Kritik an ihrer Politik wie von ihrem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn, der den Atomausstieg, den Umgang mit Putin und ihren Kurs in der Flüchtlingskrise kritisierte, konterte sie entwaffnend: "Ich schließe mich diesem Rundumschlag nicht an". Noch einmal mahnte Merkel, sich genau in die Zeit zurückzuversetzen, in der diese Entscheidungen getroffen wurden.

Einen kleinen Seitenhieb auf die aktuelle CDU-Führung konnte sich die Altkanzlerin dann doch nicht verkneifen. "Das Thema illegale Migration wird nicht an der deutsch-österreichischen Grenze gelöst", kommentierte Merkel die CDU-Pläne für harte Zurückweisungen an den eigenen Landesgrenzen. "Und wenn, nur für den Preis, dass die europäische Freizügigkeit schweren Schaden erleidet".

An ihrem wohl berühmtesten Satz wollte die erste deutsche Regierungschefin nicht rütteln lassen. "Den Satz 'wir schaffen das' habe ich nicht gesagt, weil das mal eben so zu machen ist, sondern weil mir klar war, dass wir vor einer großen Aufgabe stehen".

Vorwürfe, sie habe mit ihrer unkontrollierten Grenzöffnung die AfD erst groß gemacht, wollte Merkel so nicht stehen lassen. Es sei richtig, dass die Partei durch dieses Thema einen Aufschwung erlebt habe. "Als ich aus dem Amt ging, war die AfD bei zehn, elf Prozent", sagte Merkel. Heute sind es 18 Prozent. Danach müsse demnach auch etwas falsch gelaufen sein.

Merkel: CDU "ist meine Partei"

Maybrit Illner versuchte es, aber Merkel ließ sich nicht einmal in den 60 Minuten aufs Glatteis führen. Migration, Russland, Atomkraft: In zentralen Punkten vertrete die heutige CDU nicht mehr eins zu eins Merkels Politik, zählte die Gastgeberin auf.

"Sie wollen trotzdem die CDU wählen?", fragte sie. "Ja selbstverständlich, es ist meine Partei." Ein flammendes Plädoyer für Kanzlerkandidat Friedrich Merz, ihren alten Rivalen, folgte nicht. Merkel nannte die Wirtschaftskompetenz der CDU als wichtigsten Grund, die Union zu wählen. Damit war in ihren Augen alles gesagt.

Der Rest steht sowieso in ihrem Buch. "Das", meinte sie, "will ich jetzt nicht für Wahlkampfzwecke missbrauchen". Ein Satz, der für Angela Merkel selbst stehen könnte. Keine große Show, Konzentration auf das Wesentliche, stets im Dienst der Sache.

Nach drei Jahren Ampel-Chaos und Olaf Scholz als Regierungschef wirkt sie gar nicht mehr so übel, die bräsige Merkel-Zeit.


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Teaserbild: © ZDF/Jule Roehr