Wie lässt sich die irreguläre Migration bremsen und welche Instrumente haben Deutschland und die EU, um Zuwanderung zu steuern? Bei Illner ging es am Donnerstagabend hoch her. Während zwei Migrationsforscher sich in puncto Abkommen mit Herkunftsländern in den Haaren hatten, hielt Spahn fest: "Wir schaffen das nicht mehr" - und hatte an einer Stelle keine Worte mehr.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Auf der italienischen Insel Lampedusa kommen zurzeit mehr Migranten an, als die Insel Einwohner hat. Italiens rechte Regierung unter Georgia Meloni, die seit Jahren einen harten Kurs in der Asylpolitik verfolgt, ist überfordert – eine schnelle Lösung hat sie nicht. Dabei hatten EU-Vertreter im Juli einen Deal mit Tunesien für die Eindämmung der Migration unterzeichnet. Die Entwicklung jedoch: Seitdem kamen mehr Migranten über das Mittelmeer.

Das ist das Thema bei "Illner"

Auch Deutschland verzeichnet den größten Zustrom seit 2016, was Länder und Kommunen erneut ans Limit bringt. Weder Regierung noch Opposition haben bislang überzeugende Rezepte präsentiert, wie damit umzugehen ist.

Maybrit Illner fragte in ihrer Sendung daher: "Zu viele, zu schnell – lässt sich Migration begrenzen?" Dazu gehörte auch die Frage "Was wurde aus dem Versprechen, 2015 dürfe sich nicht wiederholen?" und "Was nützen die sogenannten Flüchtlingsdeals mit Tunesien oder der Türkei?" Ebenso thematisierte die Runde den Kampf gegen Schlepper-Organisationen und die Umsetzbarkeit von Flüchtlingszentren außerhalb der EU.

Das sind die Gäste

  • Nancy Faeser (SPD): "Italien hält sich nicht an die Dublin-Rückübernahme. Solange Italien das nicht macht, werden wir auch keine weiteren Geflüchteten aufnehmen", sagte die Bundesinnenministerin. Man müsse mehr darüber reden, wie man über Migrationsabkommen legale Fluchtwege schaffen könne. "Es wird suggeriert, wenn stationäre Grenzkontrollen stattfinden, dass Menschen, wenn sie an der Grenze sagen 'Asyl', sie nicht reinkämen. Das stimmt nicht!" Wenn man Asyl sage, komme man rein.
  • Lamya Kaddor (Grüne): Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag sagte: "Wir müssen sehr viel pragmatischer gucken, was funktioniert bisher gut und warum funktioniert es gut". Man habe die Erfahrung gemacht, dass Ukrainer direkt bei Familien unterkommen konnten und nicht in Erstaufnahmelager mussten. "Wir haben so viele Syrer im Land, dass die, die noch kommen, theoretisch doch auch – wir zumindest mal prüfen lassen sollten – auch mal privat unterkommen könnten", so Kaddor.
  • Jens Spahn (CDU): "Es setzt sich mehr und mehr das Bewusstsein durch: Es gibt Grenzen dessen, was geht – in den Kitas, in Schulen, im Wohnungsmarkt", so der stellvertretende Unionsfraktionschef. Überall gebe es Grenzen des Machbaren. "Wir schaffen das nicht mehr", betonte er. Wenn sich darauf alle verständigen könnten, wäre das ein erster wichtiger Schritt. Die Migrationsfrage führe zu Polarisierung in der Gesellschaft. "Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob alle merken, was los ist in diesem Land", so Spahn.
  • Ruud Koopmans: "Das Dublin-Abkommen wurde in einer Zeit geschaffen, als wir in Europa noch Binnengrenzen hatten und die haben wir jetzt nicht mehr. Schon aus dem Grund funktioniert das nicht mehr", sagte der Migrationsforscher. Er sagte auch: "Dublin ist tot – und es ist schon sehr lange tot." Es helfe nicht, an diesem toten Pferd weiter zu ziehen. "Wir müssen erkennen, dass das nicht funktioniert", so Koopmanns. Der einzige Weg, Kontrolle über reguläre Migration zu bekommen, seien Abkommen mit Drittstaaten.
  • Christopher Hein: Der Migrationsforscher sagte: Ein Paradigmenwechsel in Italien sei nicht in Sicht. Verlängerte Abschiebehaft und neue Abschiebezentren würden an der Situation "überhaupt nichts ändern". Die Menschen würden bei der Fahrt über das Mittelmeer bereits ihr Leben riskieren. "Glauben Sie, die werden sich von ein paar Monaten Abschiebehaft mehr abschrecken lassen?", fragte Hein. "Die Schlepper machen ein Business, weil wir in Europa es ihnen erlauben, ein Business zu machen", kritisierte er. Es gebe praktisch keine Möglichkeiten der legalen Einreise.
  • Claudia Kruse: Die Integrationsbeauftragte der Gemeinde Odenthal berichtete mit Blick auf 2015: "Heute ist die Belegungssituation eine andere. 2015 dienten Turnhallen einer kurzfristigen Unterbringung." Das sei nun nicht mehr der Fall. In ihrer Kommune wolle man Menschen nicht mehr in Turnhallen unterbringen, weil es dann eine dauerhafte Situation sei. "Die Kommunen sind in dieser Frage sehr unterfinanziert", klagte sie.

Das ist der Moment des Abends bei "Illner"

Illner hatte die Integrationsbeauftragte von Odenthal im Einzelgespräch zu Gast. Von ihr wollte sie wissen: "Ist das, was Sie beschreiben und erleben jeden Tag, eigentlich noch mit Geld zu lösen?" Kruse antwortete: "Nicht nur. Wir brauchen mehr Zeit, und die haben wir gerade nicht." Geld sei ein Anfang, aber ihre Gemeinde habe gar keine Grundstücke mehr, wo sie bauen könnte. Man müsste Häuser und Wohnungen anmieten oder ankaufen. "Da ist Geld sehr hilfreich, aber das ist keine Dauerlösung – uns fehlt einfach auch die soziale Infrastruktur", sagte Kruse.

Sozialer Wohnungsbau sei verschlafen worden. Es würden immer noch Flüchtlinge von 2015 in Gemeinschaftsunterkünften leben, die nicht den ersten Schritt in den Arbeits- und Wohnungsmarkt machen konnten. "Sie kommen da nicht weg", so Kruse. Sie berichtete: "Ich sehe Leute weinend zusammenbrechen, wenn sie sehen, wo sie untergebracht werden. Das ist keine Lösung."

Das ist das Rede-Duell des Abends

"Tunesien hilft gerade nicht, weil es diese Flüchtlinge nicht aufnimmt und weil es sich nicht an dieses apostrophierte Abkommen hält", sagte Illner über das von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsamen mit Italiens Georgia Meloni und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte ausgehandelten Abkommen. "Was tut man also?", fragte sie.

Jens Spahn (CDU): "Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob alle merken, was los ist in diesem Land." © ZDF/Espen Eichhöfer

"Niemand hält sich an das Abkommen, denn es ist bisher kein einziger Euro rübergeflossen nach Tunesien, weil es auch rechtliche Schwierigkeiten gibt", sagte Migrationsexperte Hein. Das Vorpreschen von von der Leyen habe nichts gebracht. "Mit einer solchen Regierung, die immer mehr eine diktatoriale Regierung ist und überhaupt kein Interesse daran hat, wirklich eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union oder mit einzelnen Staaten einzugehen, hat das keinen Zweck, solche Abkommen zu machen", sagte er.

"Ich sage das Gegenteil", sagte Koopmans. Es führe an Abkommen nichts vorbei. "Es geht darum, es für Tunesien attraktiv zu machen, da mitzumachen – natürlich auf eine Art und Weise, die gleichzeitig die menschenrechtliche und flüchtlingsrechtliche Grundlage respektiert", sagte er. Das sei zum Beispiel legale Migration für tunesische Staatsangehörige.

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So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Zwischen das parteipolitische Gezanke von Spahn und Faeser kam sie kaum dazwischen, aber insgesamt blieb die Diskussion sachlich und lösungsorientiert. Dazu trug Illner mit Fragen bei wie "Warum funktioniert Dublin nicht?" oder "Wie löst man das Problem, dass wir diese Menschen nicht integriert bekommen, in der Zahl, in der sie nach Europa und auch nach Deutschland kommen?". Bedauerlicherweise blieb Grünen-Frau Kaddor über längere Strecken in der Diskussion außen vor – Illner hätte sie häufiger mit ins Boot holen sollen.

Das ist das Ergebnis bei "Illner"

Die Forderung nach Abkommen mit anderen Ländern fiel häufig, aber sie wurde in der Sendung ausdifferenziert: Nämlich insofern, dass nicht nur Abkommen mit Herkunftsländern von Nöten sind, sondern auch solche mit Transitländern. Außerdem erinnerte die Runde daran, dass nicht nur finanzielle Anreize die Abkommen für Drittländer attraktiv machen, sondern beispielsweise auch Migrationsoptionen für eigene Staatsbürger.

Interessant war auch der Vorschlag von Kaddor, vermehrt auf Privatunterkünfte bei der Migration zu setzen. Ein Konsens wurde aber nicht erreicht, Spahn hielt fest: "Ich bin sprachlos, wir haben den Konsens anscheinend nicht, dass es Grenzen dessen gibt, was geht."

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