Wird Deutschland Schutz suchende Straftäter künftig nach Afghanistan und Syrien abschieben? Die Ankündigung von Olaf Scholz sorgte nicht nur im Bundestag für Aufsehen. Die Reaktion von Grünen-Chef Omid Nouripour bei "Lanz" ließ selbst dem gewieften Moderator den Mund offen stehen vor Staunen.

Eine Kritik
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Der 6. Juni war ein "denkwürdiger Tag", wie Moderator Markus Lanz gleich zu Beginn der Sendung meinte. Im Bundestag hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim als "Ausdruck einer menschenfeindlichen Ideologie eines radikalen Islamismus" an den Pranger gestellt und gleichzeitig diesem "Terror den Kampf" angesagt.

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Solche Schwerstkriminellen und Straftäter müssten abgeschoben werden - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen. "Wie kalt wurden Sie und die grüne Parteibasis von dieser deutlichen Ansage erwischt?", wollte Markus Lanz in seiner Talkshow von Grünen-Chef Omid Nouripour wissen und erhielt eine Antwort, mit der er ganz offensichtlich nicht gerechnet hatte.

Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Schon im Oktober 2023 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in einem "Spiegel"-Interview ein härteres Vorgehen gegen illegale Migration gefordert und Abschiebungen "im großen Stil" angekündigt. Seither stiegen zwar die Zahlen derer, die abgeschoben wurden, um etwa 30 Prozent an. Von einer Abschiebeoffensive ist Deutschland aber weit entfernt.

Das tödliche Attentat auf einen Polizisten in Mannheim am 31. Mai entfachte die Debatte jetzt neu: Der Asylantrag des mutmaßlichen Täters wurde nämlich bereits 2014 abgelehnt. Dennoch wurde der damals 14-Jährige vermutlich aufgrund seines Alters und der Sicherheitslage in Afghanistan nicht abgeschoben.

Geht es nach Olaf Scholz, soll zumindest Letzteres künftig kein Hindernis sein: "Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen", sprach er sich im Bundestag für ein hartes Vorgehen aus. Ob er dafür die Zustimmung der Bundesregierung und insbesondere des Koalitionspartners der Grünen hätte, und wie das technisch angesichts des Terrorregimes in Afghanistan möglich wäre, darum drehte sich die Debatte bei "Lanz".

Das sind die Gäste

  • Omid Nouripour, Grünen-Chef: "Die Kernfrage jetzt ist: Wie werden wir sicherer, wie werden wir uns vor Islamisten schützen? Wir sollten keine Wege gehen, die Islamisten hier stärken und nur Scheinlösungen sind."
  • Helene Bubrowski, Journalistin: "Migrationspolitik wird keine Straftat eines Islamisten in Deutschland verhindern, deshalb steckt Gefahr in einer solch vollmundigen Ankündigung."
  • Ulf Röller, ZDF-Korrespondent: "Wenn die geistigen Väter Merz und Scholz bereit sind, mit Afghanistan zu reden, ist das nur der Anfang, das ist in Europa ein Startschuss auch für andere zu sagen, die Deutschen sind mit dabei und dann gehen wir den Weg noch härter weiter."
  • Britta Hilpert, ZDF-Korrespondentin: "Die ungarische Regierung gibt Geld dafür aus, dass Propaganda gegen Migranten gemacht wird - auch in Deutschland."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

"Wie wollen wir (Anm.: Straftäter) nach Afghanistan abschieben?", die Frage stellte sich vermutlich nicht nur Markus Lanz. Von Omid Nouripour bekam er darauf jedenfalls keine konkrete Antwort: "Das wird uns die Innenministerin erzählen", meinte der nämlich nur und verwies auf einen "Prüfauftrag", der bereits seit Februar 2024 liefe und in den nächsten zwei Wochen mit der Vorlage eines Modells abgeschlossen würde.

"Das klang nach deutlich mehr als einem Prüfauftrag", widersprach Lanz. "Das klang wild entschlossen", nach einer "Ansage, ich haue auf den Tisch, Boom." Der Bundeskanzler hätte auch ein Modell des Innensenators von Hamburg erwähnt, in dem Menschen nach Pakistan an die Grenze gebracht werden. "Wenn das Islamisten und noch dazu organisierte Islamisten sind, sind die in drei Monaten wieder hier", sah Nouripour darin keinen Beitrag zur Sicherheit Deutschlands. Genau das wäre aber die Kernfrage: "Wie werden wir sicherer, wie werden wir uns vor Islamisten schützen? Wir sollten keine Wege gehen, die Islamisten hier stärken und nur Scheinlösungen sind."

Nach einem "leidenschaftlichen Plädoyer dafür, was der Kanzler gesagt hat" hörte sich das nicht an, wurde Lanz sichtlich hellhörig. "Ist das, was der Kanzler präsentiert hat, eine Scheinlösung?", hakte er nach, biss sich aber an Nouripour die Zähne aus: "Ich weiß nicht, was die Innenministerin in zwei Wochen vorlegt", wand sich der aus der Verantwortung, "vielleicht hat sie eine geniale Idee, auf die ich nicht komme. (...) Am Ende der Prüfung darf keine Scheinlösung stehen."

Das ist das Rede-Duell des Abends

"Wir wussten, dass er das sagen würde." Mit dieser Antwort von Nouripour hatte Markus Lanz sichtlich nicht gerechnet. Was der Grünen-Parteichef über den Abschiebe-Plan von Olaf Scholz hielte, fragte er seinen Talkshow-Gast zum Einstieg und hatte vermutlich eine kritische Reaktion erwartet. Doch davon konnte keine Rede sein. "Wer ist 'wir'? Die Fraktion wusste das?", machte er aus seiner Überraschung keinen Hehl. "Wie ein Pokerspieler sagen Sie das, ich glaube Ihnen das nicht."

"Ich bin nicht für Ihren Glauben zuständig", konterte Nouripour schlagfertig und hatte die Lacher damit auf seiner Seite. "Sagen Sie nicht, dass es das Selbstverständlichste war", kam Lanz aus dem Staunen nicht heraus und wollte es genauer wissen: "Sie sind dafür, und alle anderen Grünen auch, dass demnächst Straftäter nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden?"

"Wir wollen die Leute nicht im Land haben", bestätigte Nouripour. Allerdings sollte man Deutschen "auch nicht Sand in die Augen streuen. Der Islamismus ist nicht weg, wenn man die Augen verschließt." Um Menschen nach Afghanistan abzuschieben, müsste man zuerst die Taliban als Regierung anerkennen. Genau das wäre nicht denkbar: "Wir sollten den Taliban kein Geld zahlen, weil sie Terror zu uns bringen", meinte er und betonte die "gigantische Zahl von Schwierigkeiten und Hürden" eines solchen Abschiebeplans.

Das war offensichtlich schon eher das, was Lanz hören wollte: "Jetzt habe ich Sie langsam auf Betriebstemperatur", freute er sich. "Sie sind sauer." "Nein", wollte Nouripour davon aber gar nichts wissen. "Es ist nur mit Nachdruck zu erklären: Wir wollen diese Leute nicht, können sie aber nicht wegzaubern."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

"Du siehst mich mit offenem Mund", meinte Markus Lanz gegen Ende der Talkshow, als ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert Geschichten von chinesischen Einflussnahmen in der EU preisgab. Dass der Moderator - und damit wohl auch sein Publikum - Überraschendes erfährt, ist nichts Neues: "Aber heute (Anm.: passiert es) besonders oft", gab er zu. Tatsächlich zog sich sein Staunen wie ein roter Faden vom Anfang bis zum Ende der Sendung durch.

Lanz wollte es aber auch ganz genau wissen und fragte insbesondere Omid Nouripour immer wieder nach technischen Details der Migrationspolitik. Entsprechend lauteten auch Lanz' Abschiedsworte an seine Gäste: "Danke, dass Sie so aufklärerisch tätig waren."

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Als "vollmundige Ankündigung" bezeichnete Helene Bubrowski die Aussage von Olaf Scholz im Bundestag, Straftäter nach Afghanistan oder Syrien abschieben zu wollen. Dadurch würden zudem keine Straftaten eines Islamisten in Deutschland verhindert werden, analysierte die Table.Media-Expertin.

Ulf Röller, Leiter des Brüsseler ZDF-Studios und Ex-Ostasien-Korrespondent, warnte wiederum davor, dass eine Anerkennung der afghanischen Taliban-Regierung seitens der Bundesrepublik ein "Startschuss für andere" in Europa sein könnte, ihren Weg der harten Migrationspolitik weiterzuverfolgen. Vorausgesetzt, das Bundesinnenministerium kann in zwei Wochen ein praktikables Modell für die Abschiebung nach Afghanistan und Syrien vorlegen. "Am Ende der Prüfung darf keine Scheinlösung stehen", warnte Omid Nouripour.

Bisherige Vorschläge von Friedrich Merz (technische Kontakte von humanitären Organisationen zu nutzen) oder das Schwedische Modell, Menschen an der Grenze von Pakistan abzusetzen, wären nicht umsetzbar oder würden nur weitere Probleme schaffen.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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