In einem Monat startet die WM in Katar. Bei Markus Lanz wurde am Mittwochabend diskutiert, ob man das umstrittene Turnier boykottieren soll. Während der frühere DFL-Chef Andreas Rettig ein klarer Gegner der Katar-WM ist, zeigt sich Kommentator Marcel Reif offen für Fußball, der sich "moralisch etwas breiter" aufstellt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Stüwe dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In einem Monat, am 20. November, beginnt das umstrittenste Turnier in der Geschichte des Fußballs, Gastgeber Katar eröffnet an diesem Tag die Weltmeisterschaft gegen Ecuador. Korruption bei der Vergabe durch die FIFA, Vorwürfe des Sportswashing gegen Katar, untragbare Arbeitsbedingungen und tote Arbeiter auf den Stadion-Baustellen sowie die schlechte Menschenrechtssituation im Gastgeberland sorgen dafür, dass bei vielen Menschen keine Vorfreunde auf die WM aufkommt. Sollte man den Fernseher also ausgeschaltet lassen und die Katar-WM boykottieren? Darüber diskutierte Markus Lanz am Mittwochabend mit seinen Gästen.

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Das waren die Gäste bei "Markus Lanz"

  • Andreas Rettig: Der Fußballfunktionär und frühere Geschäftsführer der DFL ist einer der schärfsten Kritiker der Winter-WM. Rettig hält die WM-Vergabe nach Katar für einen großen Fehler und glaubt nicht, dass sich in dem Land durch das Turnier irgendetwas verbessern wird. Rettig ist für einen Boykott, auch wenn sich das mit seiner Fußballleidenschaft nur schwer vereinbaren lässt. "Ich werde die deutschen Spiele gucken, mehr aber auch nicht", sagt er.
  • Lena Cassel: Die Sportjournalistin und Moderatorin ist ebenfalls eine entschiedene Kritikerin der Katar-WM. "Die WM konterkariert alles, wofür sich der Fußball in den letzten Jahren aktiv eingesetzt hat", sagt sie und meint unter anderem die Initiativen gegen Rassismus, Diskriminierung und Homophobie.
  • Marcel Reif: Der legendäre Kommentator berichtet seit 38 Jahren über Fußball und soll bei Lanz den Gegenpol zu Cassel und Rettig geben. "Wenn Andreas Rettig mir garantiert, dass es auch nur einem einzigen Arbeiter besser geht, wenn wir diese WM boykottieren, dann bin ich sofort dabei", sagt Reif und plädiert dafür, mit "Maß und Mitte" in der WM-Diskussion abzuwägen.
  • Sebastian Sons: Der Islamwissenschaftler und Fußballfan ist der Fachmann in der Runde. Son hat Katar und den arabischen Raum schon häufig bereist und wird auch bei der WM vor Ort sein.

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Der Katar-Experte Sebastian Sons redete Klartext. Er sprach über die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen und erklärte das Kafala-System, das es reichen Menschen in Katar und anderen arabischen Ländern ermöglicht, Arbeitskräfte auszubeuten, ihnen die Pässe zu entziehen und sie für wenig Geld teilweise 16 Stunden am Tag arbeiten zu lassen.

Er erklärte wie Kataris von diesem ausbeuterischen System profitieren, aber auch ein Land wie beispielsweise Nepal, das auf die Einnahmen angewiesen ist, die nepalesische Arbeitskräfte in Katar erwirtschaften und in die Heimat schicken. "Katar ist ein Puzzleteil davon. Und die Kritik im Vorfeld der WM ist deshalb auch so wichtig, damit man genau hinschaut, wie strukturelle Ausbeutung von Migranten stattfindet", erklärte er.

Die WM zu boykottieren sei dennoch eine individuelle Entscheidung, stellte er klar: "Wenn ich die WM boykottiere, weil ich mit der Korruption im Fußball unzufrieden bin, ist das absolut nachvollziehbar. Ich finde es ebenso nachvollziehbar, wenn man sagt: Die Ausbeutung von Arbeitsmigranten kann ich moralisch nicht vertreten. Denn dafür steht dieses Turnier sinnbildlich. Wenn es aber darum geht, dass es eine Winter-WM ist oder dass man dort kein Bier trinken kann, dann finde ich diese Argumente problematisch. Weil man dann einer Region, der arabisch-muslimischen Welt, abspricht, Teil der Fußballfamilie zu sein."

Das Zitat des Abends

"Ich finde die Debatte zynisch. Ab wann gucken wir denn die WM nicht mehr? Ab drei Toten? Ab 50? Ab 60? Oder ab 1.000? Alleine, dass wir darüber reden müssen, zeigt wie verkommen dieses System ist, wie verkommen diese WM ist", sagte Lena Cassel und wunderte sich darüber, dass die Zahl der Toten vom WM-Organisationskomitee in Katar erfasst werde: "Das ist in etwa so, als ob die katholische Kirche ihren eigenen Missbrauchsskandal untersucht."

Das war das Rededuell des Abends bei "Markus Lanz"

Angesprochen auf das umstrittene Sponsoring des FC Bayern München durch Qatar Airways sagte Reif einen bemerkenswerten Satz. "Wo setze ich an? Sage ich moralisch geht es nicht, oder geht es um Profifußball, der sich moralisch ein bisschen breiter aufstellt?", fragte der Fußballkommentator. "Das konterkariert sich doch. Wenn man für Werte wie Vielfalt stehen will, aber sich das Geld aus Katar in die Taschen steckt", antwortete Cassel. "Nein, das konterkariert sich nicht. Nur wenn es die reine Lehre ist", entgegnete Reif und schüttelte verständnislos mit dem Kopf.

"Du weißt, wie sehr ich dich respektiere Marcel. Aber es ist eine naive Vorstellung zu glauben, ein System wie es in Katar besteht, wird aus eigener Kraft und unter dem Blick der Öffentlichkeit ab demnächst zu einem humanitären", sagte Andreas Rettig und wurde scharf von Markus Lanz unterbrochen. "Sie glauben also, da verändert sich nichts?", fragte der Talkmaster. "Was soll sich da verändern? Nennen Sie ein Großereignis, durch das sich etwas verändert hat", sagte der genervt wirkende Rettig.

Während Reif den Kopf schüttelte und spöttisch grinste, redeten alle durcheinander. "Wandel durch Handel, hat ja schon mal funktioniert", spielte Rettig auf Russland an: "Es geht um Machtinteressen und Kohle, um sonst nichts." Darüber könne man stundenlang streiten, sagte Lanz, den Rettig ebenso wenig überzeugen konnte wie Kommentator Reif.

Das ist das Ergebnis bei "Markus Lanz"

Die WM in Katar steht für sämtliche Fehlentwicklungen des professionellen Fußballs in den vergangenen Jahren. Dass es für einen langjährigen Begleiter des Sports wie Marcel Reif offensichtlich kein großes Problem ist, wenn sich der Fußball im Sinne des Geschäfts "moralisch etwas breiter" aufstellt, war eine Erkenntnis des Abends.

Lena Cassel, Andreas Rettig und Sebastian Sons brachten einige gute Argumente, warum man die Katar-WM boykottieren könnte - oder eben auch nicht. Die Entscheidung bleibt letztlich den Fußballfans selbst überlassen, die Diskussionen werden sicher in den nächsten Wochen weitergehen.

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Katar richtet auch die Asienmeisterschaft 2023 aus

Trotz anhaltender Kritik an der Menschenrechtslage richtet Katar im kommenden Jahr auch die Fußball-Asienmeisterschaft aus. Wie der asiatische Fußballverband AFC am Montag bekannt gab, springt der WM-Gastgeber für das im Juni 2019 als Ausrichter auserkorene China ein.



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