Am Dienstag wurde das Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft abgesagt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière wollte die konkreten Gründen nicht nennen, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern. Wie groß aber ist die Terror-Gefahr in Deutschland? Das wollte Anne Will von ihren Gästen wissen.

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Die Ausgangslage:

"Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Man hätte eine Beruhigung der Bevölkerung rhetorisch nicht ungeschickter formulieren können als es der Bundesinnenminister am Dienstag nach der Absage des Länderspiels getan hat. Inhaltlich dürfte er vermutlich recht gehabt haben, genaue Details hätten in der Tat zu einer Verunsicherung führen können. Dafür hätte es aber gereicht, wenn Thomas de Maizière die Details wie sonst üblich aus "ermittlungstechnischen Gründen" verschwiegen hätte. Den Menschen aber auf den Weg zu geben: Ich verrate nichts Genaues, um Euch nicht zu verunsichern, denn wenn ich es täte, hätten alle richtig Angst, dürfte hingegen die schlechteste Strategie sein, Ängste zu nehmen. Nun also darf die Phantasie die Köpfe der Menschen übernehmen und durchspielen, was passiert ist und noch passieren könnte. "Wie bedroht sind wir vom Terror?" fragte dementsprechend Anne Will am gestrigen Abend.

Die Gäste bei Anne Will und ihre Positionen:

Boris Pistorius (SPD): Der niedersächsische Innenminister war direkt in die Absage des Länderspiels eingebunden. Er ist für eine genaue Abwägung, wie weit man die eigene Freiheit zugunsten der Sicherheit einschränkt, um nicht "das Geschäft des Angreifers zu betreiben."

Gerhart Baum (FDP): Der ehemalige Bundesinnenminister kennt noch den Terror der RAF aus seiner Amtszeit. Hilfreich war das aber weder in der Sache noch in der Diskussion, denn die Taten von RAF und IS seien völlig verschieden.

Manfred Weber (CSU): Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament fordert eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Europa, zum Beispiel den Aufbau einer europäischen Gefährder-Datenbank.

Christoph Reuter: Der Reporter des "Spiegel" schrieb vor Kurzem ein Buch über das Entstehen des IS. Wenn der IS es wolle, werde es weiter Anschläge geben, denn dieser brauche solche "Bilder der Angst".


Düzen Tekkal: Tekkal ist Regisseurin und drehte einen Film über die Gräueltaten des IS an ihrem Volk, den Jesiden. Sie fordert eine Anstrengung gegen den IS auf allen Ebenen: militärisch, beim deutschen Rechtsstaat und auch bei den Muslimen.

War die Absage des Spiels richtig?

Laut Innenminister Pistorius: ja. Es werde natürlich ermittelt, genaueres zu den Hintergründen wollte aber auch Pistorius nicht preisgeben: "Ich komme der Informationshoheit des Innenministers nicht in die Quere."

Eigentlich, so Pistorius, sollte von dem Länderspiel ein Signal ausgehen. Doch auch nach der Absage, kann der Minister noch etwas Positives daraus ziehen, nämlich das Signal, dass die Behördenarbeit funktioniert habe. Dennoch könnten der aktuellen Absage weitere folgen: "Weitere Absagen sind nicht auszuschließen, aber nur, wenn die Hinweise als so belastbar eingeschätzt werden", erklärte er.

Wird es weitere Anschläge geben?

So richtig und nachvollziehbar die Frage nach der konkreten Bedrohung ist, wer sich eine ebenso konkrete Antwort etwa in Form von genauen Wahrscheinlichkeiten in dieser Diskussion erhofft hatte, wurde enttäuscht. Zwar hätte man sich bei einem Blick auf die Anschläge der Vergangenheit die Antwort auf die Kernfrage des Abends denken können, dennoch wäre gestern Abend ein wenig Konkreteres über die Ermittlungs- und Sicherheitsarbeit der Polizei und anderer Dienste interessant gewesen – nicht zuletzt aufgrund der verunsichernden Nichtverunsicherungsaussage des Innenministers.

So blieb eine Einschätzung der Bedrohungslage weitgehend dem Journalisten und IS-Kenner Reuter überlassen. Der rechnet mit weiteren Anschlägen, das Wann, Wo und Wie läge aber nicht an den Fähigkeiten des IS, sondern an dessen Kalkül. Der IS sei nicht dumm, so die Einschätzung Reuters, und überlege genau, ob ihm ein Anschlag nütze: "Es erschüttert unsere verwundbare Gesellschaft und diese Angst wollen sie", so Reuter. Dabei spiele es auch keine Rolle, ob der Anführer der Pariser Terroristen nun tot sei oder nicht, denn dieser sei auch nur ein "führender Ausführender" gewesen. Gesteuert würden solche Anschläge zentral.

In Bezug auf die sogenannten "Gefährder", also Menschen, bei denen die Annahme zu politisch motivierten Straftaten besteht, bemerkte Reuter, dass diese ja den Behörden bekannt seien. Ein großes Risiko würden aber die Nicht-Gefährder sein, die man eben noch nicht kenne. So sah es auch Innenminister Pistorius und gab zu bedenken, dass man sich darauf einstellen müsse, dass Leute von außen kommen.

Was ist zu tun?

Die Runde war sich einig, dass ein Schlüssel zum Schutz vor solchen Anschlägen in der Bekämpfung des IS vor Ort liege. Tekkal plädierte für die robuste Ausstattung der heimischen Kämpfer vor Ort und die Verstärkung der Bodenoffensive, "um die Wurzel" zu erwischen. Baum hingegen sieht den Einsatz von Bodentruppen skeptisch, so einer hätte in der Vergangenheit nur wenig Erfolg gebracht.

Manfred Weber gibt vor allem in der Diplomatie eine Erfolgschance und hofft auf die aktuellen Syrien-Verhandlungen in Wien: "Wir waren noch nie so nah dran an einem Waffenstillstand", schätzt er die Situation ein, ergänzt aber: "Obwohl Assad Massenmörder seines eigenen Volkes ist, heißt das zu akzeptieren, dass wir mit dieser Kriegspartei zu irgendeiner Form von Kompromissen kommen werden müssen."

"Genau das will der IS", entgegnet Reuter und schlägt andere Schritte vor: Einigung der Beteiligten, dass Assad ins Exil gehen muss 2. Einstellung der Kämpfe 3. Amnestie für die Taten während des Krieges 4. Einigung, dass das Land erhalten bleibt und 5. Erklärung und Bekämpfung des IS als gemeinsames Ziel.

Welches Fazit kann man nach der gestrigen Sendung ziehen?

In Bezug auf eine konkretere Einschätzung der Bedrohungslage ist man durch die Sendung nur bedingt schlauer geworden und muss de Maizière wohl den von ihm geforderten "Vertrauensvorschuss" geben. Ob der Minister nun mit seinem Schweigen recht hatte oder nicht, sei dahingestellt. Wissen, womit man es zu tun hat, kann aber durchaus Ängste nehmen statt sie zu wecken. Das hat zumindest der gestrige Abend unter Beweis gestellt.

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