Die Zahlen schwinden, die Geduld auch: Bei "Maybrit Illner" verlangt Eiskönigin Katarina Witt sofortige Öffnungen. Chef-Mahner Karl Lauterbach hält das mit Blick auf Mutanten und Kinder für unvorsichtig. Eine Hotelbetreiberin schlägt Alarm.
Jemand möchte Ihnen 10 Euro sofort schenken – oder aber 20 Euro, wenn Sie noch drei Wochen warten. Welches Angebot nehmen Sie an?
Es gibt dutzende solcher Experimente in der Psychologie, und Deutschland steht in der Corona-Pandemie gerade vor einer ganz ähnlichen Situation: Sollen angesichts sinkender Inzidenzen und steigender Impfquote sofort Öffnungsschritte gesetzt werden? Oder soll man lieber noch warten, um in zwei bis drei Wochen mit sicherem Gefühl in allen Bereichen lockern zu können? Bei "
"Erst Notbremse, jetzt Vollgas – für wen ist die Pandemie vorbei?", lautet der Titel der Sendung - und Hessens Ministerpräsident
Das sind die Gäste bei "Maybrit Illner"
Wir haben 1 Jahr und 3 Monate durchgehalten, rechnet Karl Lauterbach vor: "Wollen wir nicht noch 3 Wochen durchhalten?" Dann könnte dank einer Impfquote von rund 40 Prozent ein "Kipp-Punkt" erreicht sein - und die Infektionszahl exponentiell sinken.
Eislauf-Olympiasiegerin
Es wolle ja ohnehin niemand plötzlich alles öffnen, meint Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Die Politik müsse aber den Menschen, von denen keine Gesundheitsgefahr ausgeht, ihre Grundrechte zurückzugeben: "Das ist so klar wie Kloßbrühe."
"Wir werden soziale Spannungen haben", warnt
Egal ob geimpft, genesen oder getestet – Hotelbetreiberin Caroline von Kretschmann hofft so schnell wie möglich auf mehr Kunden. "Wir halten durch, aber mit Schmerzen." Ihr "Europäischer Hof" in Heidelberg warte noch immer auf Teile der Dezember-Hilfen.
Das ist der Moment des Abends
Nach gefühlt 425 Talkshow-Auftritten seit Beginn der Pandemie lässt sich mit einiger Sicherheit eines über Karl Lauterbach festhalten: Der Mann ist ein unerträglicher Besserwisser. Oft zurecht, weil er Dinge besser weiß. Aber das lässt er die Welt auch sehr gern wissen. "Ich habe diese hohen Zahlen nie für realistisch gehalten", pariert er Illners Frage, ob die Virologen in den letzten Wochen nicht vielleicht übertrieben haben mit ihren Vorhersagen. Er selbst hat in seinen Modellen natürlich den "Selbstbremseffekt" einberechnet - die Menschen "hören, was die Stunde geschlagen hat" und nehmen sich selbst zurück. Dazu komme der "Voreffekt der Impfung", et voilà: sinkende Zahlen.
Als Volker Bouffier anmerkt, dass es bei den Virologen immer mal wieder eine "große Meinungsbreite" gegeben habe und deswegen niemand vorhersagen könne, was in einem halben Jahr geschehe, fasst Lauterbach das offenbar als eine Art Majestätsbeleidigung auf: "Ich mag dieses Wissenschaftler-Bashing nicht."
Oder nur, wenn es sich gegen Hendrik Str … äh, gegen ungenannte Kollegen richtet, die in der 2. Welle etwas zu voreilig Entwarnung gegeben hatten: "Ich will keine Namen nennen, aber wir wissen alle, welche Wissenschaftler uns in falscher Sicherheit gewogen haben".
Lauterbach will die Inzidenz unter 50 drücken, vor allem aus zwei Gründen: Erstens aus Angst vor neuen Mutationen, die aus Corona-Katastrophengebieten wie Indien nach Europa schwappen könnten. Und zweitens, weil selbst eine Impfquote von 50 Prozent bei hohen Inzidenzen noch ein relativ hohes Risiko für Jüngere bedeuten – und auch für Kinder: "Sieben Prozent entwickeln Long-Covid-Syndrome, das ist keine Kleinigkeit."
Das ist das Rede-Duell des Abends
"Wir sind uns ja einig", mit dieser gönnerhaften Formel leitet Hessens Landesvater Volker Bouffier an diesem Abend jeden zweiten Satz ein. Der Mann, der in den vergangenen Wochen vor allem mit der kernigen Aussage aufgefallen war, die Leute hätten "die Schnauze voll", verspricht für den Sommer die Rückkehr zum "normalen Leben" und zeigt für alles und jeden Verständnis: Für jene, die sofort ihre Geschäfte aufsperren wollen. Für jene, die sogar lieber die Schulen geschlossen halten wollen. Und für jene, die pandemiemüde sind. "Akzeptanz" lautet Bouffiers Stichwort: "Sie können ein freiheitliches Land nicht auf Dauer mit Gesetzen und Verordnungen regieren."
Ein populärer Einwand, entgegnet Karl Lauterbach, aber "unwahr": "Der Bürger verlangt auch, dass wir eine Verordnung auf den Weg bringen, wenn etwas gefährlich ist." Und noch etwas stößt dem SPD-Mann auf: Bouffier erweckt den Eindruck, das RKI habe dem Einzelhandel bestätigt, dass es dort nie zu Infektionen gekommen sei. Auch "unwahr", meint Lauterbach, das RKI habe schlicht keine Daten gefunden: "Man muss aufpassen, dass man keine Mythen in die Welt setzt."
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Was ist das, Vorfreude auf den vielleicht-ja-doch-so-halbwegs-normalen Sommer? Selbst die weitgehend durchgekauten Diskussions-Äste in der Sendung moderiert Maybrit Illner mit Elan und Freude weg, und streut hier und da einen Jokus ein: "Sie waren in Hessen mit vielen Dingen vor der Zeit (…). Sie wollen nicht Kanzler werden, oder, Herr Bouffier?"
Bouffier, wie gewohnt ungefähr so temperamentvoll wie ein Sack voller Stöcke: "Nein, ich bin zufrieden mit dem, was ich gerade mache."
Das ist das Ergebnis
Geimpft, genesen, getestet – soll man diese Gruppen nun gleichstellen oder nicht?
Medizinisch sei der Unterschied groß, erklärt Karl Lauterbach: Wer "nur" getestet ist, ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit doch infiziert und ansteckend als Geimpfte und Genesene. Für einen Friseurbesuch sei das Risiko aber vertretbar, weil daraus eher kein Superspreading-Event entsteht.
Alena Buyx vom Ethikrat berichtet von "intensiven Diskussionen". Klar scheint: Harte Maßnahmen wie Quarantäne sollen für Geimpfte wegfallen, sanftere Maßnahmen wie Masken und Abstand quasi für alle bleiben.
Die Pandemie ist eben für niemanden komplett beendet - und wird noch lange nachwirken, meint Volker Bouffier. Vor allem die finanziellen Folgen bleiben, weil Kredite irgendwann abbezahlt werden müssen, weil die Politik zu viel Geld falsch ausgegeben habe - und weil den Menschen Garantien suggeriert wurden: "Es war falsch, mit dem 'Wumms' hohe Erwartungen zu wecken." Jeder vierte Hotelbetrieb überlege, für immer zu schließen, erzählt Caroline von Kretschmann von einer Hotel-und Gastro-Umfrage. Folgen der Pandemie, die uns noch beschäftigen werden, wenn Karl Lauterbachs Expertise nicht mehr jede Woche gefragt ist.
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