Der Politologe Hans Vorländer ist ein Kenner des Liberalismus. Im Interview blickt er auf die schwierige Lage der FDP und sagt, worin eine Chance für die Partei liegen könnte.
Die FDP steht wieder vor "Schattenjahren". So beschrieb Noch-Parteichef
Anders als nach dem ersten Bundestags-Aus 2013 steht diesmal allerdings kein Hoffnungsträger bereit, der die Partei aufbauen könnte. War's das für die FDP? Fragen an den Politologen Hans Vorländer.
Herr Vorländer, die FDP hat den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst. Ist in Deutschland kein Platz mehr für liberales Denken?
Hans Vorländer: Es war kein Platz mehr für die FDP. Man muss deutlich unterscheiden zwischen dem Liberalismus als großer ideenpolitischer Bewegung und einer kleinen Partei, die versucht, ihren Platz im Parteiensystem oder in der Regierung zu finden. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.
Die FDP bietet also zu wenig Liberalismus?
Historisch gesehen hat die FDP relativ spät ihren Liberalismus entdeckt – nämlich Ende der 1960er, Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Erst da hat sie sich als sozialliberale, wirtschaftsliberale und bürgerrechtsliberale Partei definiert. Das sind die großen historischen Strömungen des Liberalismus, und die hat sich die FDP in der einen oder anderen Weise mal mehr, mal weniger angeeignet.
Die FDP ist nach 2013 zum zweiten Mal aus der Regierung in die außerparlamentarische Opposition verbannt worden. Ist das noch Zufall? Oder hat die Partei das Regieren verlernt?
Die FDP hat in ihrer Geschichte sehr viel regiert. Das Problem ist: Wenn sie regiert, muss sie pragmatisch agieren. Gleichzeitig muss sie als kleine Partei immer auch wieder ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellen. Und das führt zu Konflikten. Nicht nur in der Ampel, auch in früheren Koalitionen hat die FDP immer ganz gerne auch Opposition in der Regierung gespielt. In gewisser Weise muss sie das auch, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Das kann allerdings auch daneben gehen – so wie es 2013 der Fall war und jetzt wieder.
Vor allem auf dem konservativen Flügel der FDP sagen viele: Die Ampel ist schuld. Es war ein Fehler, überhaupt mit SPD und Grünen eine Regierung zu bilden.
Die FDP muss sich halt mal entscheiden, was sie will. Nach der Wahl 2017 hieß es noch: Lieber nicht regieren als falsch regieren. Vier Jahre später war die Erwartungshaltung an sie eindeutig, dass sie in die Regierung eintritt. Und das ist ihr nicht gut bekommen, weil sie als kleine Partei Kompromisse mit den Partnern machen musste. Die Konflikte ließen sich nicht mehr überbrücken.

Die FDP hat einen eher rechtsliberalen Wahlkampf geführt. Trotzdem sind viele ihrer Wähler zu Union und AfD abgewandert. Woran liegt das?
Die FDP hat vor allen Dingen darauf bestanden, dass die Schuldenbremse eingehalten wird. Ordnungspolitisch steht sie klar für die freie Marktwirtschaft. Das passt nicht zu den staatsgläubigen Positionen von SPD und Grünen. Auf dem Feld der Wirtschaftspolitik gibt es also eine Nähe zwischen FDP und AfD. Dass liberale Wähler auch und gerade zu CDU und CSU gegangen sind, lag daran, dass die Union als Regierungspartei quasi in den Startlöchern stand. Hier gab es eine attraktive Machtoption – anders als bei der FDP.
Als die FDP das erste Mal aus dem Bundestag geflogen ist, stand mit Christian Lindner ein Hoffnungsträger bereit, der die Partei im Alleingang aufgebaut hat. Der fehlt heute.
Das ist ein sehr großes Problem. Politik – auch Parteipolitik – definiert sich stark über die Attraktivität des Personals. Da braucht es eben Frontleute, die attraktiv sind für eine bestimmte Wählerschaft, die sich auch geschickt zu inszenieren verstehen. Das war damals Christian Lindner. Er ist aber jetzt nach dieser langen Zeit schlicht und einfach verbraucht. Das Image von einst lässt sich jetzt auch nicht wiederbeleben. Und andere, auch charismatische Leute, die in der FDP die Tradition des Liberalismus genauso verkörpern wie Regierungsfähigkeit und Regierungswilligkeit, sind im Augenblick nicht zu sehen.
"Der historische Liberalismus ist längst nicht mehr an die FDP gebunden"
Zunächst hatten Marie-Agnes Strack Zimmermann und Wolfgang Kubicki Interesse am Parteivorsitz angemeldet. Strack-Zimmermann hat inzwischen zurückgezogen.
Da muss man sicherlich Zweifel haben, obwohl beide im Augenblick die vielleicht profiliertesten Personen sind, die die FDP hat. Sie haben auch das Potential, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Allerdings ist nicht ausgemacht, dass das über vier Jahre in der außerparlamentarischen Opposition trägt. Beide stehen jedenfalls nicht für einen personellen Neuanfang. Die Partei braucht aber eine Zukunftsperspektive.
Junge, talentierte FDP-Politiker wie Partei-Vize Johannes Vogel oder der Innenpolitiker Konstantin Kuhle wollen nicht nach dem Parteivorsitz greifen. Für die Erneuerung ist das kein gutes Zeichen, oder?
Das ist überhaupt kein gutes Zeichen. Es zeigt aber die Verzweiflung und vielleicht auch die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens. Es ist nämlich gar nicht so einfach, in einem fragmentierten, breiten Parteiensystem einen Platz zu finden. Erschwerend kommt hinzu: Der historische Liberalismus ist längst nicht mehr an die FDP gebunden. Die Union bietet Wirtschaftsliberalismus an, die Grünen Bürgerrechtsliberalismus und in der SPD gibt es sozialliberale Traditionen.
Es gibt Stimmen, die das Libertäre in der FDP stärken wollen. Also mehr Disruption, mehr "Kettensäge", mehr Staatsfeindlichkeit. Ist das eine gute Idee?
Das kann man versuchen. Allerdings ist es angesichts der gegenwärtigen großen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen zu kurz gegriffen. Natürlich kann man über die Kürzung von Sozialausgaben nachdenken. Aber im Moment geht es doch um andere Dinge, auch Handlungsfähigkeit auf anderen Feldern, in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik, bei der Infrastruktur. Das werden die Herausforderungen der nächsten Jahre und darauf muss man Antworten finden.
Die wohl künftige Regierung aus Union und SPD hat sich auf eine Reform der Schuldenbremse und milliardenschwere Sondervermögen geeinigt. Kann hierin eine Chance für die FDP liegen? Solide Staatsfinanzen sind schließlich ihr Markenkern.
Ja. Das könnte für die FDP eine Chance sein. Doch sie hat im Bund keine Bühne mehr. In den Ländern wird man indes froh sein, über die Lockerung der Schuldenbremse Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen. Die Länder sind knapp bei Kasse. Wenn der Relaunch der Wirtschaft indes scheitert und die Milliarden werden verpulvert, dann hat die FDP ihr Thema gefunden für die nächsten Jahre.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Hans Vorländer ist Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung sowie Direktor des Mercator Forum Migration und Demokratie an der Technischen Universität Dresden (TU). In seiner Forschung beschäftigt sich der Politologe unter anderem mit Politischer Theorie, Ideengeschichte und dem Liberalismus. Vorländer war außerdem seit 2018 Mitglied und von 2023 bis 2024 Vorsitzender des Sachverständigenrates für Integration und Migration.