Nicht nur die USA diskutieren über die Befugnisse der Polizei. In Deutschland gelten klare Regeln für Personenkontrollen, Demonstrationen oder den Einsatz von Gewalt. Allerdings unterschieden sich die Vorgaben der Länder.

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Der gewaltsame Tod des Schwarzen George Floyd in den USA war der Auslöser. Doch die Diskussion ist schnell über den Atlantik geschwappt: Was darf die Polizei im Umgang mit der Bevölkerung? In den USA sind die Befugnisse der Polizisten weitgehend, die Kontrollmechanismen schwach.

In Deutschland stellt sich die Situation anders dar – auch wenn die Frage, was die Polizei darf und was nicht, nicht pauschal zu beantworten ist.

"Gefahrenabwehr" ist Ländersache

Die Rechte und Pflichten der deutschen Polizei sind auf unterschiedlichen Ebenen geregelt. "Wenn sie zur Unterstützung der Strafverfolgung tätig wird – zum Beispiel bei Vernehmungen – gelten bundeseinheitliche Regeln wie die Strafprozessordnung", erklärt Markus Thiel, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule der Polizei, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die zweite Aufgabe, die "Gefahrenabwehr", liegt dagegen in der Zuständigkeit der 16 Bundesländer. Im Detail weisen deren Gesetze Unterschiede auf. "Bayern hat mit dem Polizeiaufgabengesetz zum Beispiel sehr weitgehende Regelungen, im Vergleich dazu hat die Polizei in Berlin weniger Befugnisse. Nordrhein-Westfalen nimmt da eine Mittelposition ein", erklärt Thiel.

Die Frage nach den Personalien

Im Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern gelten für Polizeibeamte klare Regeln. "Sie müssen bei jeder Maßnahme die rechtlichen Vorgaben beachten", sagt Thiel. Ein Beispiel wäre die Feststellung der Identität, wenn Beamte also nach Name, Anschrift oder dem Personalausweis fragen.

Obwohl dieses Thema Ländersache ist, gelten hier relativ einheitliche Regeln. "Die Polizei darf die Identität insbesondere feststellen, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht", erklärt der Rechtsanwalt Horst Wüstenbecker im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es muss aber eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass ein Schaden eintritt."

Eine Ausnahme stelle das Polizeiaufgabengesetz in Bayern dar: Es lässt eine Identitätsfeststellung schon bei einer drohenden Gefahr für ein sogenanntes bedeutendes Rechtsgut zu. Damit können die Gesundheit, die Freiheit oder das Eigentum von Menschen gemeint sein.

Die Personalien dürfen Beamte in einer gefährlichen Situation oder an einem gefährlichen Ort verlangen, etwa an einem Kriminalitätsschwerpunkt. Auch an öffentlichen Verkehrswegen und staatlichen Gebäuden sowie an Kontrollstellen ist die Identitätsfeststellung zulässig.

"Racial Profiling" offiziell nicht zulässig

Ein sensibles Thema ist immer wieder das sogenannte "Racial Profiling" – also die Kontrolle von Menschen etwa wegen ihrer Hautfarbe. Die Bundesregierung plant dem ZDF zufolge derzeit eine Studie, um herauszufinden, wie weit das Phänomen verbreitet ist. Immer wieder kommt es jedenfalls zu entsprechenden Klagen, auch wenn Verwaltungsgerichte ein solches Vorgehen als unzulässig eingestuft haben.

"Wenn es konkrete Anhaltspunkte – zum Beispiel eine Täterbeschreibung – gibt, ist es zulässig, dass Polizisten Verdächtige aufgrund ihres Aussehens kontrollieren", erklärt Markus Thiel. "Wenn Personen aber anlasslos nur wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert werden, ist das eindeutig rechtswidrig."

Gewalt als "Ultima Ratio"

Natürlich dürfen deutsche Polizisten auch sogenannte "Zwangsmittel" anwenden: etwa indem sie Geldbußen verhängen oder einen Platzverweis gegen Störer aussprechen. Wenn eine Person gefährlich wird, können Beamte auch Gewalt einsetzen.

Allerdings sei sie immer die "Ultima Ratio", also der letzte Schritt, der eingesetzt werden darf, erklärt Horst Wüstenbecker. "Dieser Schritt muss immer verhältnismäßig sein. Ich denke, das unterscheidet uns von vielen außereuropäischen Ländern."

Besondere Regeln gelten für Demonstrationen. Hier besteht zwar ein Versammlungsgesetz des Bundes, die Bundesländer können davon aber mit eigenen Gesetzen abweichen und haben davon auch Gebrauch gemacht. Generell lässt sich sagen: Die Polizei kann zum Beispiel Wasserwerfer gegen Demonstranten einsetzen, die sich nicht friedlich verhalten.

"Allerdings immer unter der Voraussetzung, dass eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit besteht", sagt Wüstenbecker. "Bei Demonstrationen gilt: Die Polizei darf nur einschreiten, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten wird."

Drei Jahre Ausbildung

Ein grundlegender Unterschied zwischen der Polizei in den USA und Deutschland besteht in der Ausbildung. Im Schnitt brauchen Anwärter in den Vereinigten Staaten dafür gerade mal 19 Wochen.

"Die Ausbildung für den gehobenen Polizeidienst dauert in Deutschland in der Regel drei Jahre", sagt dagegen Markus Thiel. Alleine die Lehrveranstaltungen zum Eingriffsrecht des Studiums in die Grundrechte der Bürger würden im Studium sicher zwischen 150 und 200 Stunden einnehmen.

Im Alltag ist allerdings entscheidend, wie Polizistinnen und Polizisten die gesetzlichen Regelungen in einer konkreten Situation auslegen und anwenden. Das Gesetz alleine schützt noch nicht vor Gewalt oder Diskriminierung. Beides kommt auch in Deutschland vor – umso wichtiger sind Kontrollmechanismen für Fehlverhalten der Polizei.

Mehrere Wege der Kontrolle

Bürgerinnen und Bürger können zum Beispiel Widerspruch gegen Anordnungen der Polizei oder auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einzelne Beamte einlegen. "Es gab in der Vergangenheit deutliche Tendenzen, die Polizisten aus der Anonymität zu holen", erklärt Horst Wüstenbecker.

Die meisten Bundesländer schreiben eine anonymisierte Kennzeichnung der Beamten vor, also zum Beispiel eine sichtbare Nummer. In manchen Ländern gebe es auch eine namentliche Kennzeichnung, sagt Wüstenbecker. "So soll nachvollziehbar sein, welcher Beamte für eine bestimmte Handlung verantwortlich ist."

Ein Grundproblem bleibt natürlich: Die Polizei kontrolliert sich in diesen Fällen letztlich selbst. "Dafür haben Polizeipräsidien aber ein Beschwerdemanagement oder ganze Abteilungen eingerichtet", sagt Markus Thiel. "Es gibt natürlich immer einzelne schwarze Schafe, aber insgesamt wird Vorwürfen dort sehr gewissenhaft nachgegangen."

Zudem können Bürger auch Strafanzeigen gegen Beamte stellen, wenn sie ihnen eine Straftat vorwerfen. "Polizeiliche Einsätze können durch gerichtliche Verfahren auch im Nachhinein noch auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden", betont Anwalt Wüstenbecker.

Hinzu kommen schließlich noch Anlaufstellen außerhalb der Polizei. Sie sollen – zumindest der Theorie nach – unabhängig von den Ordnungshütern sein, Beschwerden aus der Bevölkerung aufnehmen und vermitteln. Mehrere Bundesländer haben diese Polizeibeauftragten bei ihren Landtagen angesiedelt. Von Grünen und SPD ist gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in den USA zudem die Forderung zu hören, eine solche Stelle auch auf Bundesebene einzurichten.

Über die Experten:

Markus Thiel ist Universitätsprofessor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Polizeirecht an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Er hat verschiedene Bücher zum Thema veröffentlicht.
Horst Wüstenbecker ist Rechtsanwalt und Partner und Geschäftsführer der Kanzlei Alpmann Fröhlich in Münster. Er ist unter anderem Autor des Buchs "Basiswissen Polizei- und Ordnungsrecht".

Quellen:

  • Prof. Dr. Dr. Markus Thiel, Deutsche Hochschule der Polizei
  • Horst Wüstenbecker, Rechtsanwalt
  • tagesschau.de: Polizistenausbildung – In 19 Wochen zum US-Cop
  • ZDF.de: Bundesregierung plant Studie – Wie oft kommt es zu "Racial Profiling"?
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