Jahrelang wurde diskutiert: Braucht Deutschland einen Bundespolizeibeauftragten? Nun gibt es die Stelle erstmals – doch kann Amtsinhaber Uli Grötsch tatsächlich für Verbesserungen sorgen? Polizeiforscher Tobias Singelnstein sieht grundsätzliche Probleme in der Art, wie das Amt angelegt wurde.

Ein Interview

Unnötig harsche Gewalt, rechte Chatgruppen und vermeidbare Todesfälle: Auch in Deutschland wird immer wieder auf breiter Front über Fehlverhalten der Polizei diskutiert. Doch bei der Frage, ob es sich dabei um systematische Missstände, oder bedauerliche Einzelfälle handelt – da scheiden sich seit jeher die Geister. Und das liegt auch an einem Mangel an Beweisen.

Die soll nun Uli Grötsch liefern. Er ist von der Ampel-Koalition zum ersten Bundespolizeibeauftragten gewählt worden. Ermitteln soll er bei der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt und der Polizei des Bundestages. Gleichzeitig soll er Ansprechpartner für Bürger, aber auch Polizisten sein. Kann das funktionieren?

Mehr aktuelle News

Tobias Singelnstein hat da seine Zweifel. Er ist Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt. Im Interview erklärt er, warum das Amt von Grötsch einen Konstruktionsfehler hat und es neben ihm noch mehr unabhängige Kontrolle der Polizei braucht.

Herr Singelnstein, mit Uli Grötsch ist seit drei Wochen der erste Bundespolizeibeauftragte im Amt. Er soll Missstände innerhalb der Bundespolizei aufklären. Reichen seine Befugnisse dafür aus?

Tobias Singelnstein: Die Kompetenzen des Bundesbeauftragten sind schon deutlich besser als die der meisten seiner Kolleginnen und Kollegen in den Ländern. Dort sieht es zum Großteil schlechter aus, was deren Befugnisse angeht. Insgesamt muss man aber sagen: So wie diese Stellen bisher aufgestellt sind, können sie nur ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.

Können Sie das näher erläutern?

Das grundsätzliche Problem ist, dass die Stellen eine Doppelrolle einnehmen sollen, die zu Konflikten führt. In der Debatte, die zur Einführung dieser Stellen geführt hat, ging es vor allem darum, dass es an einer hinreichenden, unabhängigen Kontrolle der Polizei fehlt. Das Amt ist jetzt aber nicht nur dafür da.

Tobias Singelnstein forscht seit Jahren zur Polizei. Das Amt des Bundespolizeibeauftragten sieht er durchaus als Fortschritt. Die Lösung für die Probleme bei der Polizei ist es seiner Meinung nach aber nicht. (Archivbild) © picture alliance/dpa/Katja Marquard

Was umfasst es denn noch?

Es ist ein politischer Kompromiss, der auch die Kommunikation zwischen Polizei und Gesellschaft verbessern soll. Der Bundesbeauftragte soll polizeiliche Aufgaben und Befugnisse in die Gesellschaft hinein vermitteln. Damit soll er auch die Legitimität der Polizei sicherstellen. Und diese Aufgaben stehen ein ganzes Stück weit im Widerspruch zueinander.

Können Sie das konkretisieren?

Auf der einen Seite muss der Bundesbeauftragte unabhängige externe Kontrolle leisten. Dazu gehört, entsprechend konsequent vorzugehen und deutliche Worte zu wählen. Die kommunikative Funktion seines Amts kann er aber auf der anderen Seite nur in Zusammenarbeit mit der Polizei bewältigen.

Heißt, selbst mit Herrn Grötsch im Amt, bräuchte es weitere Kontrollen außerhalb der Polizei? Etwa eine eigene Behörde?

Dabei kommt es darauf an, worüber wir sprechen. Denn es gibt unterschiedliche Ebenen dieser Kontrolle.

Was meinen Sie?

Zum einen geht es um die Sanktionierung von individuellem Fehlverhalten von Angehörigen der Polizei. Dafür haben wir das Disziplinar- und das Strafrecht. Hier ist das Problem, dass die Ermittlungen zu dieser Art von Fehlverhalten von der Polizei selbst geführt werden und dass die Polizei in ihrem Alltag eng mit den anderen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitet. Für mehr Unabhängigkeit wäre es an dieser Stelle insbesondere denkbar, dass man eine eigenständige Behörde schafft, die die Strafprozessualen gegen Polizistinnen und Polizisten übernimmt.

Die Polizei hat als Organisation in der Gesellschaft schon eine sehr machtvolle Position.

Tobias Singelnstein, Polizeiforscher

Ist das nicht Aufgabe von Herrn Grötsch?

Nein. Bei dem Amt geht es nicht darum, individuelles Fehlverhalten zu sanktionieren. Stattdessen steht hier die zweite Kontrollebene im Vordergrund. Der Bundespolizeibeauftragte soll Konflikte zwischen Polizei und Bürgern klären und generelle Missstände und strukturelle Probleme bei der Polizei in den Blick nehmen. Aber es braucht eben auf beiden Ebenen unabhängige Stellen, die auch mit den entsprechenden Befugnissen ausgestattet sind.

Gibt es dann überhaupt Sinn, dass Herr Grötsch auch Ansprechpartner für Polizei sein soll? Schließlich hat diese bereits eine starke Interessenvertretung innerhalb der Politik. Die von polizeilichem Fehlverhalten betroffenen Bürger hingegen nicht.

Das kommt auf das Ergebnis an. Wenn man an Whistleblowing denkt, kann das Amt ein hilfreicher Baustein sein. Polizeibeamtinnen und Beamte könnten hier Missstände in der Polizei melden.

Aber?

Wenn Angehörige der Polizei über den Beauftragten ihre persönlichen und beruflichen Interessen durchsetzen, geht das am Sinn der Sache vorbei. Die Polizei hat als Organisation in der Gesellschaft schon eine sehr machtvolle Position. Nicht nur wegen ihrer rechtlichen Befugnisse, auch weil sie in der Lage ist, öffentliche Debatten zu prägen und ihre Interessen durchzusetzen. Wenn der Polizeibeauftragte diese Position noch verstärkt, ist das nicht zielführend.

Wir wissen zum Beispiel nicht, wie häufig setzt die Polizei überhaupt Gewalt ein

Tobias Singelnstein, Polizeiforscher

Herr Grötsch hat mir im Interview versichert, dass er Wissenschaftler wie Sie, stark in seine Arbeit miteinbeziehen will. Hat das Amt dadurch tatsächlich eine Chance, die Debatte über Missstände bei der Polizei aufzubrechen?

Grundsätzlich bleibt das Problem, dass die Polizei bemüht ist, sich nach außen abzuschirmen, was ihr Innenleben angeht. Sie ist deshalb immer ein schwieriges Forschungsfeld. Natürlich gibt es auch Veränderungen, weil die Polizei feststellt, dass es angesichts der öffentlichen Debatten nicht mehr so gut funktioniert, Kritik einfach abzublocken. Aber wie weit sich das in Zukunft bessert, wird sich zeigen müssen.

Herr Grötsch sagte uns: Zumindest was die Bundespolizei angeht, wird die Frage, ob Fehlverhalten dort systematischer Natur ist, oder es nur einzelne Fälle sind, nach seiner Amtszeit geklärt sein.

Ich würde mich wundern, wenn diese Debatte um Einzelfälle oder strukturelles Problem in fünf Jahren beendet ist.

Wo müsste man Ihrer Meinung nach als Erstes ansetzen, um strukturelle Probleme bei der Polizei wissenschaftlich aufzudecken

Das ist ein riesiges Feld. Zu Rassismus in der Polizei gibt es immer noch eine große Forschungslücke. Aber uns fehlen auch in vielen anderen Bereichen Daten. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie häufig setzt die Polizei überhaupt Gewalt ein – egal ob rechtswidrig oder rechtmäßig. Man kann noch nicht mal genau sagen, wie viele Menschen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen zu Tode kommen. Es gibt noch tausende offene Fragen.

Über den Gesprächspartner:

  • Tobias Singelnstein ist Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt. Seine akademische Karriere begann er 1998 mit einem Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, wo er 2008 auch promovierte. Von 2017 bis 2022 war er Inhaber des Kriminologie-Lehrstuhls an der Ruhr-Universität in Bochum.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.