- Die große Party für Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva blieb aus. Zwar gewann der Ex-Präsident der Arbeiterpartei PT im ersten Wahlgang. Die erhoffte absolute Mehrheit verpasst er aber dennoch recht deutlich.
- Am Ende errang der Kandidat eines breiten Mitte-Links-Bündnisses 48,4 Prozent der Stimmen und blieb damit am unteren Ende der in den Umfragen zuvor prognostizierten Ergebnisspanne.
- Dort hatte man für ihn zuletzt gute Chancen auf einen Wahlsieg im ersten Durchgang gesehen.
Gewinner des Abends war der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Und einmal mehr haben die Wahlumfragen im Falle eines rechtspopulistischen Kandidaten keine zuverlässige Prognose abgegeben. Hatten die Demoskopen für ihn am Vorabend der Wahl noch Ergebnisse von 36 beziehungsweise 37 Prozent vorhergesagt, legte er im letzten Moment noch ordentlich zu und erreichte am Ende 43,3 Prozent.
Demoskopen liegen daneben, Wähler gehen nicht wählen
Bemerkenswert hoch auch die Zahl der Nicht-Wähler. Sie lag absolut bei gut 30 Millionen Wahlberechtigten oder 20,9 Prozent – ein Wert so hoch wie seit 1998 nicht mehr. Insgesamt waren 156 Millionen Wähler aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Nun werden sich Lula und Bolsonaro am 30. Oktober in der Stichwahl gegenüberstehen, womit Brasilien weitere vier anstrengende und aufreibende Wahlkampfwochen bevorstehen.
Bolsonaro dürfte nun mit ordentlich Rückenwind in das entscheidende Duell gehen, denn auch bei den anderen Ämtern, die ebenfalls zur Wahl standen - Abgeordnete, Senatoren, Gouverneure - konnten die Kandidaten des Bolsonarismus etliche wichtige Ämter gewinnen.
So wurden mit Ex-Familienministerin Damares Alves in Brasilia, Ex-Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina (Mato Grosso do Sud), Ex-Justizminister Sergio Moro (Curitiba) und Ex-Vize-Präsident Hamilton Mourão (Rio Grande do Sul) gleich vier ehemalige Regierungsmitglieder als Senatoren gewählt. Die evangelikale Pastorin Alves sogar mit 600.000 Stimmen Vorsprung.
Im Kongress und Senat viele Kandidaten Bolsonaros
Im Bundesstaat Rio de Janeiro wurde der Gouverneur und Bolsonaro-Kandidat Cláudio Castro im Amt bestätigt. Insgesamt wurden acht Politiker aus dem Lager Bolsonaros zu Gouverneuren gewählt. Im größten und wichtigsten Bundesstaat São Paulo hat PT-Kandidat Fernando Haddad zwar die Stichwahl erreicht, ist nach dem ersten Wahlgang jedoch mit 35,7 Prozent deutlich hinter Tarcísio de Freitas, der 42,3 Prozent gewann.
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Ernüchternd auch das Wahlergebnis in den Bundesstaaten, die im Gebiet der unter Bolsonaro so geschundenen Amazonasregion liegen. Dort siegte der Amtsinhaber sehr deutlich, gewann 70 Prozent der Stimmen.
In einer ersten Reaktion auf das Ergebnis sagte Bolsonaro, dass er einen Wunsch zu Veränderungen festgestellt habe. Diese könnten sich aber auch zum Schlechteren entwickeln, sagte er mit Blick auf das Ergebnis Lulas. Zugleich kündigte er an, offen für Gespräche mit den Kandidaten zu sein, die nicht in den zweiten Wahlgang einziehen werden.
Lula gab sich am Abend trotzig und kämpferisch zugleich. "Nun haben wir vier weitere Wochen Wahlkampf und ich liebe Wahlkampf." Zudem habe er alle Wahlen stets im zweiten Wahlgang gewinnen können. So werde es auch dieses Mal sein.
Wer liefert nun die nötigen Stimmen?
Mögliche Lieferanten für die fehlenden Stimmen beider Kandidaten könnten Ciro Gomes (PDT) und Simone Tebet (PMDB) sein. Beide waren als Vertreter des so genannten dritten Wegs ins Rennen gegangen. Der Begriff umschreibt die Hoffnung der Wähler, die sich eine Alternative für den Lagerwahlkampf zwischen Lula und Bolsonaro erhofft hatten. Jedoch blieben beide hinter den Prognosen zurück. Gomes, den Demoskopen mit acht Prozent der Stimmen vorhergesagt hatten, erreichte gerade einmal drei Prozent. Mit gut vier Prozent erreichte auch Simone Tebet nicht die vorausgesagten fünf.
In den letzten Wochen vor der Wahl war in Brasilien verstärkt über mögliche taktische Wählerwanderungen spekuliert worden – vielfach in der Annahme, Lula damit einen Sieg im ersten Wahlgang ermöglichen zu wollen. Das Ergebnis nun zeigt aber genau das Gegenteil: Gomes und Tebet hat das Elefantenduell zwischen Lula und Bolsonaro schon jetzt so aufgerieben, dass kaum noch Spielraum für Wechselwähler ist. Tebet kündigte dennoch an, in den kommenden 48 Stunden ihren Wählern einen Vorschlag zu unterbreiten. Von Ciro Gomes war bislang noch nichts zu vernehmen. Bei der Wahl 2018 hatte Gomes das genau nicht getan.
Auch wenn Lula gewinnen sollte, wird das Regieren schwieriger
Auch wenn die endgültige Entscheidung, wer in den kommenden vier Jahren Brasilien regieren wird, noch fallen wird, so lassen sich aus dem Wahlergebnis doch schon jetzt einige Lehren ziehen. Der Bolsonarismus war kein einmaliger Unfall der Geschichte er bleibt und setzt sich fest. Das würde für einen möglichen Präsidenten Lula und seine Regierung viel Gegenwind bedeuten.
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Außerdem: Selbst wenn Lula eine Regierung führen sollte: So wenig PT wie diesmal hätte es dann noch nie gegeben. Denn schon im Vorfeld der Wahl hatte sich Lula sehr weit in Richtung politischer Mitte geöffnet, hatte mit Geraldo Alckmin sogar aus taktischen Gründen einen früheren Gegner mit ins Boot geholt. Um halbwegs ruhig regieren zu können, wird er sich um weitere Koalitionspartner bemühen müssen. Das dürfte den Einfluss der PT auf die Inhalte der Politik verwässern. Auch wenn also an einer Lula-Regierung außen sozialdemokratisch dranstünde, wäre unter Umständen wenig davon enthalten.
Das alles geschähe in einem wirtschaftlichen Umfeld, das kaum mit der Ausgangslage der ersten Amtszeit Lulas zu vergleichen ist. 2003 übernahm er von Fernando Henrique Cardoso ein gut bestelltes Feld in wirtschaftlich positivem Umfeld. Heute kommt Brasilien aus einer jahrelangen Wirtschaftskrise, die sich erst zuletzt etwas zu erholen schien. Darüber hinaus beutelte die Pandemie Brasilien so sehr wie kaum ein anderes Land. Ob die nun wachsende Nachfrage nach Rohstoffen aus Europa – Stichwort Öl und Gas – Brasilien nutzen wird können, muss sich erst noch zeigen.
Und das Ganze geschieht in einem Umbruch, in dem sich die brasilianische Linke, insbesondere aber die PT, auch personell erneuern muss. Lula wird Ende Oktober 77 Jahre alt. Er hat sich nur angesichts der Bedrohung, die vom Bolsonarismus für die Demokratie ausgeht, dazu breitschlagen lassen, noch einmal ans Steuer zurückzukehren, um das schlingernde Schiff sicher durch den Sturm zu bringen. Die kommenden vier Jahre wird die PT also nutzen müssen, um Politiker aufzubauen, die einmal in der Lage sein werden, das Ruder zu übernehmen.
Brasilien geht in die Wahlkampfverlängerung
Nun geht Brasilien also in die Wahlkampfverlängerung. Beobachter befürchten schon jetzt in Brasilien ähnliche Unruhen wie am 6. Januar 2021, beim so genannten Capitol-Sturm in Washington, für den Bolsonaro seinerzeit durchaus Verständnis aufgebracht hatte. Und so, wie er die trumpsche Wahltaktik mit den Betrugsvorwürfen gegen die Wahlurnen kopierte, könnte auch dies womöglich als Blaupause für Brasilien herhalten.
Sorgen bereitet vielen Brasilianern auch die Militanz und Gewaltbereitschaft des harten Kerns der Anhänger Bolsonaros. Durch systematisch gelockerte Waffengesetze haben sich viele Bolsonaro-Anhänger mit Waffen versorgt. Dank Bolsonaros Liberalisierung sollen heute rund eine Million Bürger eine Waffe tragen.
Schon im Wahlkampf war es zu zum Teil tödlicher Gewalt gekommen. So erschoss ein Bolsonaro-Anhänger im Juli ein PT-Parteimitglied im südbrasilianischen Foz do Iguaçu bei dessen Geburtstagsfeier. Mindestens zwei weitere Fälle, in denen Anhänger Bolsonaros Lula-Wähler getötet haben, werden als politisch motivierte Gewalt eingestuft.
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