• Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow ist derzeit auch Präsident des Bundesrats.
  • Im Interview mit unserer Redaktion kritisiert der Linken-Politiker scharf die Energiepolitik der Ampel-Koalition: "Die Bundesregierung ist nicht gezwungen, immer neue Entlastungspakete aufzulegen. Sie müsste in den Strommarkt eingreifen."
  • Außerdem spricht Ramelow über die Sanktionen gegen Russland, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und den Streit in seiner eigenen Partei.
Ein Interview

Herr Ramelow, Sie sind noch bis zum 1. November Bundesratspräsident – als erster Politiker der Linken. Standen Sie unter besonderer Beobachtung Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Landesregierungen?

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Ramelow: Das stand ich schon, als ich der erste Ministerpräsident meiner Partei wurde. Man könnte sagen: Es ist Routine und Standard, dass ich auch zum Präsidenten des Bundesrates gewählt worden bin. Aber das stimmt nicht. Kollegen der CDU haben mir im Vorfeld gesagt, dass ihnen das schwerfällt. Nicht wegen mir, aber wegen mancher Positionen in meiner Partei. Es war eine großartige Chance, dass die Kollegen trotzdem gesagt haben: Wir fühlen uns von dir ordentlich vertreten.

Sie haben in diesem Amt gerade Polen besucht. Als Sie zurückgekommen sind, haben Sie gesagt: Deutschland darf auf keinen Fall eigene Verhandlungen mit Russland aufnehmen, um die Gasversorgung zu verbessern. Warum?

In der Linksfraktion im Bundestag haben Sahra Wagenknecht und Klaus Ernst den Eindruck erweckt, man könne den Gasmangel beheben, indem man die Pipeline Nord Stream 2 öffnet und separate Verhandlungen mit Russland aufnimmt. Ich habe dem schon mehrfach widersprochen. Die Gasversorgung wäre auch über andere Pipelines möglich, dazu braucht man weder Nord Stream 1 noch 2. Die Polen haben mir außerdem deutlich gesagt: Wir haben Angst, dass uns die Deutschen in den Rücken fallen. Polen weiß, was es heißt, permanent unter russischem Druck zu stehen. Das Gleiche gilt für Finnland und Schweden, für Rumänien, Bulgarien oder Litauen. Wer in dieser Lage ohne die osteuropäischen Staaten handelt, der legt die Axt an ein geeintes und freies Europa.

Bodo Ramelow: "Der Bund greift direkt in die Landeshaushalte ein, ohne mit uns ein Wort zu reden"

Finden Sie die Sanktionen gegen Russland richtig?

Sie sind eine logische Folge des Angriffs von Wladimir Putin gegen den souveränen Staat Ukraine. Nord Stream 1 und 2 sind außerdem von den Sanktionen gar nicht betroffen. Leider wird die falsche russische Behauptung, diese Pipelines wären Teil des Sanktionspakets, auch hier aufgegriffen. Das ist aber nicht so. Der Aggressor ist Wladimir Putin. Unter den Toten des Kriegs sind auch seine Soldaten. Er trägt auch dafür die Verantwortung.

Allerdings sind auch Sie gerade in Erfurt bei einer Demonstration gegen die Energiepolitik der Bundesregierung auf die Straße gegangen. Wie passt das zusammen?

Ein Teil der Energiepolitik der Bundesregierung hat nur indirekt etwas mit Putin zu tun. Die Spritpreise sind eindeutig spekulationsgetrieben, da müsste jetzt dringend eingegriffen werden. Der hohe Strompreis ist nur den Marktegeln Deutschlands geschuldet, nämlich dem Merit-Order-Prinzip.

Es hat zur Folge, dass sich die Strompreise am Erzeuger mit dem höchsten Preis orientieren – das sind derzeit die Gaskraftwerke.

In Deutschland ist das Merit-Order-Prinzip einmal entwickelt worden, um die Erneuerbaren Energien zu schützen. Das war auch richtig. Jetzt sorgt es aber dafür, dass der hohe Gaspreis auch den Strompreis in exorbitante Höhen treibt. Das ist unser eigener deutscher Fehler. Es geht um das falsche Marktdesign.

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Was müsste denn Ihrer Meinung nach passieren?

Die Bundesregierung ist nicht gezwungen, immer neue Entlastungspakete aufzulegen. Sie müsste in den Strommarkt eingreifen. Es geht bei den Entlastungspaketen um unglaublich viel Geld, dessen größter Teil auch noch über die Landeshaushalte finanziert wird. Der Bund greift direkt in die Landeshaushalte ein, ohne mit uns ein Wort zu reden. Das ist wie ein Kellner, der kommt und die Rechnung präsentiert, ohne einen Service geleistet zu haben. Dieser Umgang ist nicht zu akzeptieren.

Dann müssten die Länder eigentlich sagen: Wir lassen das dritte Entlastungspaket im Bundesrat scheitern.

Ich sage ganz deutlich: Wenn die Bundesregierung nicht in den Strommarkt eingreift, haben alle Entlastungspakete wenig Wirkung. Wenn die Energieunternehmen diese übermäßigen Gewinne einstreichen, ist das ein Abfluss von deutschem Wohlstand in private Kanäle. Finanzminister Christian Lindner spricht von "Zufallsgewinnen" am Strommarkt. Der Markt ist aber genau so geregelt. Das ist doch kein Zufall. Das ist systematisches Ausplündern, weil die Regierung zuschaut.

Noch einmal die Frage: Werden Sie also dem Entlastungspaket nicht zustimmen?

Wir können bisher gar nicht zustimmen, weil wir gar nicht gefragt wurden. Die Bundesregierung redet nicht mit uns. Man verkündet das einfach. Wenn uns der Markt um die Ohren fliegt – und das macht er jeden Tag –, werde ich nicht aufhören zu fordern, zuerst in den Markt einzugreifen. Im dritten Entlastungspaket sind 300 Millionen Euro "Abzug" aus dem Thüringer Landeshaushalt 2023 vorgesehen. Ich weiß nicht, wo ich das abziehen soll. Bei den Lehrerinnen und Lehrern? Bei der Polizei? In der Gesundheitsvorsorge? Hilfspakete sind gut, wenn sie die Menschen entlasten, die sie wirklich brauchen. Beim ersten Hilfspaket gab es 300 Euro Energiekostenzuschuss für Berufstätige – also auch für Ministerpräsidenten. Da ist es doch absurd, wenn Rentner, Studierende und Soloselbständige außen vor blieben. Hätte man zielgerichtet helfen wollen, hätte man sagen müssen: Wir machen die Zahlungen abhängig vom Einkommen, aber dafür für alle Menschen.

Wenn Sie die jetzige Ampel-Koalition mit der Vorgänger-Regierung vergleichen: Wie hat sich die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern verändert?

Das ist wie mit Edelstahl und Diebstahl: Hört sich ähnlich an, hat aber nichts miteinander zu tun. Für mich gibt es faktisch keine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Bundes mit uns. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir brauchen in dieser Situation einen Schutzschirm für Stadtwerke. Sie müssen im Notfall Bürgschaften des Bundes erhalten, um ihre Liquidität zu sichern. Das habe ich mündlich in der Bund-Länder-Konferenz vorgetragen, dann habe ich einen Brief an den Bundeskanzler geschrieben und den Wirtschaftsminister darüber informiert. Ich habe bis heute nicht einmal eine Eingangsbestätigung bekommen.

"Ich habe keine Angst vor Neuwahlen"

Die steigenden Energiepreise treiben viele Menschen um. Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, hat vor Massenprotesten und Krawallen im Herbst und Winter gewarnt. Er hält sogar "klassischen Terrorismus mit dem Ziel eines Umsturzes" für möglich. Hat er recht?

Ich schätze Stephan Kramer sehr und habe das auch mit ihm besprochen. Apokalyptische Beschreibungen helfen uns hier nicht weiter, auch wenn es einen anwachsenden Unmut gibt, den bestimmte Akteure auszunutzen versuchen. Das war schon in der Flüchtlingskrise so. Das waren alles lösbare Aufgaben, und wir haben sie mittlerweile gestemmt. Trotzdem sagen jetzt mehr Menschen, was früher nur der Nazi gesagt hat: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus, die nehmen uns was weg." Diese Polarisierung der Gesellschaft findet statt. Deswegen sage ich ja der Bundesregierung: Um Leuten, die diese Stimmung ausnutzen, nicht noch mehr Futter zu geben, wäre es gut, wenn der Strompreis jetzt schnell deutlich sinken würde.

Sie regieren in Thüringen seit 2020 unter schwierigen Bedingungen: mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, die auf die Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen ist. Wann findet die nächste Landtagswahl statt?

Wenn Sie mich als Ministerpräsidenten fragen: Der frühestmögliche Termin wäre nach dem Gesetz der 1. September 2024. Wer einen anderen Wahltermin möchte, muss einen Antrag im Landtag stellen, für dessen Annahme es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Ich habe keine Angst vor Neuwahlen, ich scheue sie nicht.

Wollen Sie denn noch einmal als Spitzenkandidat der Linken antreten?

Ich werde mich dazu erst äußern, wenn ich nicht mehr das Amt des Bundesratspräsidenten innehabe.

"Zurzeit arbeitet Sahra Wagenknecht daran, dass sich die Partei vor allem polarisiert"

Falls Sie noch einmal antreten: Machen Sie dann auf Ihren Wahlplakaten deutlich, welcher Partei Sie angehören? Bei der vergangenen Landtagswahl war das nicht immer der Fall.

Bei der letzten Wahl fehlte das Parteilogo nur auf meinem letzten Plakat. Das war ein werbepsychologischer Trick, für den sich meine Landespartei entschieden hat. Wurden Thüringer Wählerinnen und Wähler gefragt, haben die meisten von ihnen selbstverständlich meine Person mit meiner Partei in Verbindung gebracht. Einige Journalisten haben sich dann aber auf das fehlende Logo fokussiert und daraus abgeleitet, ich wolle mich von meiner Partei distanzieren.

Also ist Ihnen Ihre Partei nicht peinlich?

Ganz im Gegenteil. Zu meiner Landespartei stehe ich eisern. Das sind Menschen, mit denen ich das Land gestalten möchte.

Und zur Bundespartei?

Auch zu der stehe ich. Ich habe sie mal entstehen lassen. Ich räume aber ein, dass es da Verwerfungen gibt, die ich ausgesprochen befremdlich finde.

Müssten Sie nicht eher alarmiert sein, wenn die Partei sich öffentlich so sehr streitet?

Ja klar. Der Arbeitslose oder der Niedriglöhner bräuchten in dieser Zeit eine Linke, die laut über eine Modernisierung der Gesellschaft zugunsten der Schwachen spricht. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, die auch die Kindergartengebühren komplett umfasst. Wir brauchen ein Bürgergeld ohne Sanktionen. Wenn aber Sahra Wagenknecht sich vor allem über die Sanktionen gegen Russland erregt und sie dadurch keine Zeit mehr hat, sich über die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger zu erregen, dann reibe ich mir verblüfft die Augen.

Droht der Linken die Spaltung?

Ich glaube nicht, dass die Partei auseinanderfällt. Die Frage ist eher: Wie viel Ausstrahlung hat die Partei noch? Zurzeit arbeitet Sahra Wagenknecht daran, dass sich die Partei vor allem polarisiert, was dieser Ausstrahlung sicher nicht zuträglich ist.

Zur Person: Bodo Ramelow wurde 1956 in Osterholz-Scharmbeck (Niedersachsen) geboren und wuchs dort und in Rheinland-Pfalz auf. Er machte einen Hauptschulabschluss und arbeitete als Einzelhandelskaufmann sowie als Gewerkschaftssekretär in Hessen. Nach dem Fall der Mauer ging er nach Thüringen, 1994 wurde er Mitglied der PDS. Er war im Thüringer Landtag und im Bundestag aktiv und gehörte zu den Gründern der Linkspartei. Vom Dezember 2014 bis Februar 2020 war er das erste Mal Ministerpräsident von Thüringen, seit dem 4. März 2020 ist er es erneut. Ramelow ist der erste Ministerpräsident der Linken. Seit dem 1. November 2021 amtiert er zudem ein Jahr lang als Bundesratspräsident.
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