Recherchen von "Der Spiegel" und des BR zeigen, dass Personen mit ausländischen Namen bei der Wohnungssuche vielerorts diskriminiert werden. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt ein Rassismusforscher, warum auch an Schulen, Hochschulen und in der Arbeitswelt Diskriminierung weit verbreitet ist – und was wir dagegen tun können.
"Wir denken viel zu wenig daran, wie es für die ist, die zurückgewiesen werden." Prof. Dr. Claus Melter schlägt Alarm.
Der Rassismusforscher hat sich ausführlich mit Diskriminierung in Deutschland beschäftigt. Er sagt: Wohnungssuche, Ausbildung, die Job-Welt – kaum ein Bereich ist nicht von Diskriminierung betroffen.
Ein Interview über zurückgewiesene Menschen, verschenkte Potenziale und den Rechtsanspruch auf Toleranz.
Herr Melter, jüngste Recherchen von "Der Spiegel" und dem Bayerischen Rundfunk zeigen, dass Mitbürger mit Migrationshintergrund bei der Wohnungssuche diskriminiert werden. Alles Einzelfälle?
Professor Doktor Claus Melter: Alle Studien weisen nach, dass es eine systematische Diskriminierung gibt. Das gilt zum Beispiel für die Schule.
Aber auch beim Thema Wohnungssuche gab es Tests, bei denen Leute mit genau demselben Einkommen und Alter, aber einem als ausländisch angesehenem Namen sich beworben haben.
Sie wurden dann nicht eingeladen oder haben vor Ort die Wohnung nicht bekommen, wenn sie nicht bestimmten Kriterien entsprochen haben, zum Beispiel, wenn das Aussehen als "nicht-deutsch" angesehen wurde.
Welche Personen sogenannter "ausländischer Herkunft" sind besonders betroffen?
Studien zeigen, dass Menschen mit zugeschriebener afrikanischer Herkunft besonders häufig diskriminiert werden.
Personen mit zugeschriebener türkischer oder arabischer Herkunft machen ebenfalls viele Erfahrungen mit Diskriminierung.
Wenn jemand eine Wohnung verkauft oder vermietet, entscheidet er sich zwangsläufig nach eigenen Kriterien. Kann man da tatsächlich von Diskriminierung sprechen?
Die einfachste Form von Diskriminierung, die im Gleichbehandlungsgesetz festgehalten ist, heißt: Gruppen werden konstruiert, also erfunden, und dann wird eine Gruppe bevorzugt und die andere Gruppe benachteiligt.
Wenn jetzt Wohnungsbesitzende eine Gruppe nachteilig behandeln, sei es nach Herkunft, Geschlecht oder Behinderung, ist ganz klar von Diskriminierung zu sprechen.
In Großstädten wirkt die Kommunalpolitik recht machtlos. Was machen die Landes- und die Bundespolitik?
Der Bund hat eine Antidiskriminierungsstelle, was erfreulich ist. Auch wenn diese zu wenig Ressourcen hat.
Generell wird Wohnraum in Großstädten und Ballungsgebieten teurer. Kommunen und Länder veräußern und privatisieren ihre Wohnungsbaugesellschaften.
Weder bei Wohnungsbaugesellschaften noch auf dem privaten Markt wird das Problem systematisch angegangen.
Was wären Lösungen?
Erste Schritte, das stellt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fest, wären, dass Wohnbehörden darauf achten, dass die gesellschaftliche Vielfalt abgebildet wird, dass versucht wird, mehr sozialen Wohnraum zu bauen, dass eine real effektive Mietpreisbremse eingeführt wird, was in vielen Bundesländern eine Alibigeschichte ist.
Was das Gleichbehandlungsgesetz angeht: Hier müssten in Fällen, in denen Strafen ausgesprochen werden, diese Strafen viel härter ausfallen.
Wenn jemand Eigentum veräußert oder vermietet, hat er sich dieses in der Regel erarbeitet. Sanktionen wären schwer vermittelbar, meinen Sie nicht?
Durch Privateigentum haben wir einerseits Selbstbestimmung. Andererseits haben wir aber im Grundgesetz das Prinzip, dass alle vor dem Gesetz gleich sind.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz besagt, dass niemand wegen Religion, Geschlecht, Behinderung, Alter oder ethnischer Herkunft diskriminiert werden darf.
Für den Einzelnen ist deshalb ein Rechtsanspruch vorhanden, nicht diskriminiert zu werden.
Ich glaube, dass wir viel zu wenig daran denken, wie es für die ist, die vielfach zurückgewiesen werden.
Sie haben davon gesprochen, dass es diese Alltagsdiskriminierung auch an Schulen gebe.
Studien zeigen: Schüler und Schülerinnen werden bei gleicher Leistung nicht gleich benotet.
Wir haben selbst an Hochschulen das Phänomen, dass Diskriminierung, wenn zum Beispiel die Sprachfähigkeiten im Deutschen mehr als die Inhalte benotet werden, teils sogar verleugnet wird.
Auch in der Arbeitswelt?
Es gibt erschreckende Beispiele, dass Leute mit besserem Schulabschluss trotzdem nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, da ihnen eine Migrationsgeschichte zugeschrieben wird.
Aktuelle Studien, zum Beispiel von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder vom Duisburger Zentrum für Türkei-Studien, stellen fest, dass insbesondere beim Berufszugang diejenigen diskriminiert werden, die mittlere oder höhere Abschlüsse haben.
Je mehr die Leute aufsteigen, umso mehr Diskriminierung gibt es. Seit den 1990er Jahren gibt es Studien innerhalb der Gewerkschaften, dass Personen ohne Migrationsgeschichte bevorzugt behandelt werden.
Dabei haben wir gerade in dieser Generation viele Söhne, Töchter, teils Enkel ehemaliger Gastarbeiter, mit höheren Bildungsabschlüssen.
Viele aus der zweiten, dritten, vierten Generation sind immer besser gebildet. Die Zahl der Abiturienten und Abiturientinnen mit Migrationshintergrund steigt deutlich.
Wenn sie dann aber auf den Arbeitsmarkt kommen, müssen sie sich vier bis acht Mal häufiger bewerben. Wirtschaftliche und soziale Potenziale werden verschenkt.
Ergo: Haben wir hierzulande einen viel ausgeprägteren Alltagsrassismus, als wir es uns eingestehen wollen?
Wir wachsen mit rassistisch-diskriminierenden Erklärungen auf. Gleichzeitig kennen wir demokratische, auf Gleichwertigkeit abzielende Erklärungen.
Die Frage ist nun, wie Menschen handeln. Wir stellen uns zu wenig die Frage, ob wir als Einzelne, in Betrieben und Institutionen fair handeln.
Wenn Einzelne sich beschweren, werden diese oft als störend behandelt. Wir brauchen andere Strategien.
Etwa, dass anerkannt wird, wenn sich jemand als Deutsch-Türke oder Deutsch-Syrerin begreift, müssen diese Personen gleiche Rechte und Möglichkeiten erhalten.
Ansonsten wird eine gesellschaftliche Spaltung vorangetrieben.
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