Wladimir Putin lädt Recep Tayyip Erdogan nach Sankt Petersburg ein, die EU und die Nato schauen besorgt zu. Schmieden die beiden Präsidenten ein Zweckbündnis oder eine starke Allianz gegen den Westen? Was entzweit die beiden weiter? Die Antworten.
Wladimir Putin hat Recep Tayyip Erdogan empfangen - und alle fragen sich, ob der russische Präsident und sein türkischer Amtskollege eine neue Allianz gegen den Westen schmieden. Beide sind durch die Europäische Union (EU) und die USA weitgehend isoliert.
In welchen Punkten
Wirtschaftliche Zusammenarbeit: Putin beendet Sanktionen
Auf der wirtschaftlichen Entwicklungen lag wohl das Hauptaugenmerk des Treffens. Russland ächzt unter den Sanktionen des Westens, die Türkei wiederum unter russischen infolge des Abschusses des Kampfjets im vergangenen November.
Immerhin die sollen nun schrittweise aufgehoben werden. "Wir haben noch viel Arbeit vor uns, um die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen wieder zu beleben", meinte der 63-Jährige. "Der Prozess ist angestoßen, er wird aber seine Zeit brauchen."
Nach dem Abschuss des russischen Kampfjets durch das türkische Militär ließ Putin unter anderem Charterflüge in das bei Russen beliebte Urlaubsziel einstellen, Millionen Touristen blieben aus. Das soll sich nun ändern. "Dass Russland wieder Charterflüge in die Türkei einführt und landwirtschaftliche Produkte von uns nimmt", meinte Erdogan, "daran wollen wir gemeinsam arbeiten, Schritt für Schritt".
Putin kündigte an, dass beide Seiten ihre Wirtschaftsbeziehungen sogar mit Nachdruck vorantreiben wollten: "Wir sollten das vorherige Niveau nicht nur wiederherstellen, sondern übertreffen."
Ergebnis dazu: Beide Länder wollen nun doch die Schwarzmeer-Pipeline TurkStream bauen und damit ein Projekt wiederaufnehmen, das zuletzt festgefahren war. Von der südrussischen Stadt Anapa aus soll eine Leitung unter dem Schwarzen Meer bis nach Kiyiköy im europäischen Teil der Türkei verlegt werden. Ein Profiteur: der russische Konzern Gazprom.
Bündnis gegen die EU: Beide brauchen einander
Der Besuch Erdogans hat vor allem Symbolcharakter, auch wegen der zuletzt harschen Kritik aus Deutschland und Europa. Nach dem gescheiterten Putsch und den anschließenden "Säuberungen" war es sein erster Auslandsbesuch. Erdogan dankte Putin, dass dieser ihm nach dem Umsturzversuch als einer der ersten seine Unterstützung zugesagt habe und nannte ihn bei dem Treffen sogar zweimal "mein geschätzter Freund". Erdogan weiter: "Das hat mich, meine Kollegen und unser Volk erfreut." Im Gegensatz dazu hatte er die EU zuletzt heftig kritisiert, weil die Regierungschefs sich aus seiner Sicht erst allzu spät gegen die Putschisten gewendet haben.
Sowohl Putin als auch Erdogan wollen Druck auf die EU und die USA ausüben. Die Türkei etwa fordert von den USA, den Prediger Fethullah Gülen auszuliefern, der für den Putsch verantwortlich gemacht wird. Doch die USA wollen erst Beweise sehen. Gegenüber der EU droht Erdogan den Flüchtlingspakt aufzukündigen, falls die Visafreiheit für türkische Bürger nicht absehbar gewährt wird.
Putin setzte mit dem Ort des Treffens, dem Konstantin-Palast, ein Zeichen. Er hatte das Barockschloss für den G-8-Gipfel 2006 renovieren lassen. Seit dem Ukraine-Konflikt und der Annexion der Krim ist er nicht mehr Teil der Gipfeltreffen.
Ein Streitpunkt zwischen Putin und Erdogan bleibt
Ein Streitpunkt bleibt - und zwar Syrien. Dieses Thema sprachen die beiden Präsidenten nicht mal an, weil sie wohl auch auf auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen wären. ARD-Journalist Hermann Krause brachte die Differenzen in einem Kommentar für die "Tagesschau" auf den Punkt: "Während Erdogan den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad für einen Massenmörder hält und ihn absetzen will, unterstützt Putin den Diktator in Damaskus. Die Differenzen in Sachen Syrien sind nicht zu übersehen."
Putin lässt die Rebellen bombardieren, will, dass Erdogan diesen die Einreise über die Türkei erschwert. Erdogan lehnt das ab - zumindest bislang.
Fazit zum Treffen: Nicht mehr als ein Zweckbündnis
Harmonisch war das Treffen nicht. WDR-Moskau-Korrespondent Krause meinte: "Nun zeigt der Kreml-Chef, dass er auch andere Allianzen schmieden kann, koste es, was es wolle. Ob dies hilft, eine Achse zu schmieden, ist eher unwahrscheinlich." F.A.Z.-Journalist Klaus-Dieter Frankenberger sieht es ähnlich und schreibt von einem "allenfalls mit Versöhnungsrhetorik verzierten Zweckbündnis".
Was die nach dem Putschversuch entdeckte Solidarität wert sei, werde sich nirgendwo anders als in Syrien zeigen. Frankenberger: "Dort aber sind beide Länder faktisch Gegner."
Damit dürfte die nun erfolgte neue Annäherung zwischen Putin und Erdogan zumindest vorerst nicht mehr als eine Normalisierung des Verhältnisses und ein Zweckbündnis sein. Auch die Freundschaftsrhetorik gerade von Erdogan kann darüber nicht hinwegtäuschen.
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