Tausende Vertreter aus Politik und Wirtschaft beraten in Berlin über den Wiederaufbau der Ukraine. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj wirbt um ausländische Investitionen – aber auch um die Rückkehr geflüchteter Landsleute: "Wir brauchen Arbeitskräfte."
Der Tag in Berlin beginnt mit einem Ausnahmezustand. Am Morgen wird der Bahnverkehr in Teilen der Stadt vorübergehend eingestellt. Zwischen Regierungsviertel und Charlottenburg geht nichts mehr. Am Bahnhof Zoo hat die Polizei Kreuzungen mit Räumfahrzeugen gesperrt. Die Hauptstadt steht still.
Grund ist der so hochrangige wie stark geschützte Staatsgast: Irgendwo in der Stadt wird der ukrainische Präsident Wolodymr Selenskyj zum Messezentrum gefahren.
Wiederaufbau-Konferenz mit 2.000 Teilnehmern
Die Bundesregierung lädt am Dienstag und Mittwoch gemeinsam mit der ukrainischen Regierung zu einer Wiederaufbau-Konferenz ein. Rund 2.000 Politikerinnen und Unternehmer, Vertreter aus Verwaltung und Zivilgesellschaft sollen sich dort vernetzen. Und sie sollen beraten, wie das Land seine Infrastruktur einigermaßen aufrechterhalten kann, während Russland jeden Tag Energieversorgung und Städte beschießt.
Selenskyj erklärt, allein in den vergangenen 24 Stunden habe Russland 135 Bomben auf das Nachbarland abgefeuert. Energiekapazitäten in der Höhe von neun Gigawatt seien bereits insgesamt bei den russischen Angriffen zerstört worden. Zur Einordnung: In Spitzen habe die Ukraine einen Energieverbrauch von 18 Gigawatt. Die Hälfte seiner Energieerzeugung hat das Land also verloren.
Wiederaufbau könnte 500 Milliarden Dollar kosten – Stand jetzt
Damit die Menschen mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden, muss der Wiederaufbau schon jetzt stattfinden – auch wenn Repariertes und Neugebautes am nächsten Tag schon wieder zerstört werden kann. Russland wird sich aus freien Stücken wohl kaum daran beteiligen.
Die Aufgabe ist also gewaltig: Der Wiederaufbau könnte nach Einschätzung der Weltbank in den kommenden zehn Jahren rund 500 Milliarden US-Dollar kosten (umgerechnet etwa 465 Milliarden Euro). Stand jetzt wohlgemerkt – niemand weiß, wie lange der Krieg noch dauert.
Nicht nur in Deutschland, auch bei anderen Partnern der Ukraine, sitzt das Geld aus der Staatskasse allerdings alles andere als locker. Bundeskanzler
Wer aber investiert in einem Land, in dem Krieg herrscht? Die Konferenz soll auch dazu dienen, Vorbehalte abzubauen. Kanzler Scholz nennt in Berlin mehrere Maßnahmen, mit denen Deutschland und die Europäischen Union die Wirtschaft in der Ukraine ankurbeln wollen. Ein Entwicklungsfonds, über den vor allem kleine und mittlere Unternehmen unterstützt werden, soll weiter ausgebaut werden. Mit einem "Investoren-Guide" sollen Firmen herausfinden, wie und wo sie sicher investieren können.
"Ich danke jeder deutschen Stadt, jedem Bundesland, jedem Unternehmen, das mit der Ukraine zusammenarbeitet", sagt Selenskyj. Der ukrainische Präsident hat zur Konferenz aber auch eine Botschaft an seine Landsleute mitgebracht, die im Ausland Schutz gesucht haben: Für die alltäglichen Reparaturen und den langfristigen Wiederaufbau braucht es nicht nur Geld. "Wir brauchen auch Arbeitskräfte."
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Selenskyj lobt Deutschland für "Schutz des Himmels"
Damit viele Geflüchtete in das Land zurückkehren, muss dort allerdings zumindest eine gewisse Sicherheit herrschen. Alles hängt miteinander zusammen – daher geht es auf der Konferenz immer auch um die militärische Komponente. Der Bundeskanzler fordert andere Staaten auf, der Ukraine mehr Kapazitäten für die Luftverteidigung zur Verfügung zu stellen.
Die deutsche Regierung wird zwar von ukrainischer Seite immer wieder scharf für zu zögerliche Waffenlieferungen kritisiert. Bei diesem Thema aber sieht sich Berlin als Vorreiter: Deutschland hat der Ukraine die Raketenabwehrsysteme Iris-T und Patriot zur Verfügung gestellt. "Deutschland ist der Führer in der Unterstützung der Ukraine beim Schutz unseres Himmels", sagt Selenskyj. Gleichwohl kann der Präsident von der Konferenz keine neuen Zusagen für weitere Waffenlieferungen mit nach Hause nehmen.
Die nächste Konferenz steht schon an
Die Berliner Konferenz ist nur der Auftakt für weitere Gipfeltreffen. Am Donnerstag kommen die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten in Süditalien zusammen. Am Wochenende folgt die Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz. Wohlgemerkt wird ein zentraler Akteur dort fehlen – nämlich die Kriegspartei Russland.
Selenskyj und Scholz verteidigen die Schweizer Konferenz dennoch. Allein, dass sie stattfindet, ist aus Sicht des ukrainischen Präsidenten ein Erfolg. Der Bundeskanzler sagt, man werde dort den Einstieg in einen Weg zum Frieden suchen. Er stellt aber auch klar: Um diesen Weg gehen zu können, müsse zunächst der russische Präsident Wladimir Putin zu erkennen geben, dass er von der Ukraine ablässt.
Verwendete Quellen
- Pressekonferenzen auf der "Ukraine Recovery Conference"
- worldbank.org: Updated Ukraine Recovery and Reconstruction Needs Assessment Released
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