- Im Ukraine-Konflikt hat Russland offen gedroht, das Gas abzudrehen und Lieferungen durch die Ostseepipeline "Nordstream 1" zu stoppen.
- Die US-Regierung hat bereits ein Importverbot für russisches Öl und Gas verhängt. Kanzler Scholz sieht dafür aktuell keine Möglichkeit.
- Experten erklären die Vor- und Nachteile.
Die USA haben bereits Nägel mit Köpfen gemacht und ein Importverbot für russisches Öl erlassen. US-Präsident
Russland hatte zuvor in Reaktion auf den Stopp von "Nordstream 2" offen mit Gaslieferstopps gedroht. Nun wird auch hierzulande über einen Boykott russischer Energielieferungen diskutiert. Ökonomin Xenia Matschke hielte das zumindest für ein klares Signal, den russischen Angriffskrieg nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu verurteilen.
Ein Boykott wäre teuer
"Gerade, weil Deutschland die größte Volkswirtschaft der EU ist und gleichzeitig einen großen Anteil seiner fossilen Brennstoffe aus Russland bezieht, wäre ein Importstopp ein Schritt, der Russland hart treffen würde", ist sie sich sicher und erinnert: "40 Prozent des russischen Staatsbudgets stammt aus dem Energiesektor."
Deutschland dürfte ein kompletter Boykott russischer Energielieferungen allerdings deutlich teurer zu stehen kommen, als den USA: Russland gilt als größter Öllieferant in der EU – mit etwa 30 Prozent Anteil an der Deckung des jährlichen Verbrauchs von 500 Millionen Tonnen, in Deutschland liegt er noch darüber.
Russland wichtigster Lieferant
"2021 stammte ein Drittel der Rohöleinfuhren Deutschlands aus Russland", sagt Ökonom Hans-Wilhelm Schiffer. Bei Steinkohle und bei Erdgas habe der Anteil russischer Lieferungen an den jeweiligen gesamten Einfuhrmengen sogar rund die Hälfte ausgemacht. "Russland ist damit bei allen drei Energie-Rohstoffen der für Deutschland wichtigste Lieferant", betont Schiffer.
Die Russen wissen um diesen wunden Punkt: Es sei "offensichtlich, dass der Verzicht auf russisches Öl zu katastrophalen Folgen auf dem Weltmarkt führt", betonte auch Nowak. Die Rohstoffmacht selbst betont, sie werde andere Absatzmärkte finden.
Doppelte Signalwirkung
"Weder China noch Indien haben den russischen Angriff auf die Ukraine in der UN-Vollversammlung verurteilt", erinnert auch Matschke. Gerade China sei sicher an einer Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland interessiert.
Ein Boykott russischer Importe hätte aus Sicht der Expertin gleichzeitig eine Signalwirkung an China: "Die Volksrepublik China beobachtet ganz genau, wie die westliche Welt auf die russische Aggression reagiert, weil man selbst gern Taiwan wieder heim ins chinesische Reich holen würde", analysiert sie. Matschke fürchtet allerdings: Mit einem Importstopp wäre das Pulver aus deutscher Sicht weitgehend verschossen.
Scholz schließt Boykott aus
Aktuell sieht die deutsche Bundesregierung ohnehin keine Möglichkeit für einen sofortigen Boykott. Anders als Deutschland seien die USA Exporteur von Gas und Öl, erklärte Bundeskanzler
Ökonomin Matschke räumt ebenfalls ein: "Ein Importstopp würde die deutsche Wirtschaft, aber auch uns Bürger, die Auto fahren und ihre Wohnung heizen wollen, sehr empfindlich treffen." Man könne nicht direkt umrüsten: Es gäbe Lieferengpässe, eine begrenzte Zahl an Heizungsinstallationsbetrieben und einen zu großen Fahrzeugbestand an Diesel- und Benzinmotoren.
Ökonom Sebastian Dullien ist sich allerdings sicher: "Mittel- und langfristig sollte es für Deutschland kein Problem sein, sich von russischem Erdöl und Erdgas unabhängig zu machen." Deutschland plane ohnehin, die Energieversorgung auf CO2-neutrale Energien umzustellen, was ein absehbares Ende der Verwendung fossiler Energieträger in den kommenden Jahrzehnten bedeute.
"Kurzfristig ist ein Abkoppeln von russischem Erdöl wesentlich leichter als vom russischen Erdgas", differenziert er. Erdöl werde auf einem Weltmarkt gehandelt und üblicherweise mit Tankern transportiert. "Hier ist es relativ einfach möglich, das Öl nach Deutschland statt in andere Verbraucherländer zu lenken, insbesondere, wenn Deutschland bereit ist, einen entsprechenden Preis zu bezahlen", erklärt der Experte.
Lieferungen ersetzen
Auch aus Sicht von Schiffer stellt sich die Situation bei den Energieträgern unterschiedlich dar. "Bei Steinkohle gibt es auf dem Weltmarkt ein breit diversifiziertes Angebot", sagt er. Lieferungen aus Russland könne man etwa mithilfe der USA, Kolumbien, Südafrika, Australien und Indonesien ersetzen.
Bei Öl habe Deutschland für den Fall kurzfristiger Versorgungsausfälle eine gesetzlich geregelte Bevorratung. "Mittelfristig wäre ein Ausgleich für die Lieferungen aus Russland vor allem dadurch möglich, dass Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die Förderung erhöhen und mehr Öl exportieren", schätzt Schiffer.
Pipeline-Infrastruktur fehlt
Beim Erdgas ist die Situation aus Sicht der Experten schwieriger: "Erdgas anderer Förderländer ist oft durch längerfristige Verträge anderweitig verkauft, und man braucht eine Pipeline-Infrastruktur, um Gas nach Deutschland zu liefern", sagt Dullien.
Ein Flüssiggas-Terminal, über das LNG ins deutsche Gasnetz eingespeist werden könnte, gibt es bislang nicht. Allerdings hat Scholz den Bau zweier solcher Terminals angekündigt: in Brunsbüttel und Stade.
Experte: "Erhebliche Anstrengungen" nötig
"Über diesen Winter kommen wir auch dank der Vorräte, die noch in den Speichern verfügbar sind", ist sich Experte Schiffer sicher. Für den nächsten Winter seien dann aber erhebliche Anstrengungen notwendig. Matschke prognostiziert: "Wir müssen davon ausgehen, dass nicht nur die Energiepreise weiter steigen werden, sondern wir werden uns wohl auch mittelfristig auf Einschränkungen beim Energieverbrauch einstellen müssen."
Schiffer hält deshalb Maßnahmen zur Senkung des Erdgasverbrauches für ratsam – beispielsweise den Ersatz von Erdgas durch Kohle im Stromerzeugungssektor. "Zudem müssen die erneuerbaren Energien im Stromsektor und im Wärmemarkt verstärkt ausgebaut werden", so der Experte. Das verringere die Abhängigkeit von Erdgasimporten. Auch die Bereitstellung von "grünem" Wasserstoff sei eine wichtige Option.
Erneuerbare Energien ausbauen
Inwieweit man ohne russische Energielieferungen schnell ganz Deutschland versorgen kann, hängt aus Sicht von Ökonom Dullien insgesamt deshalb davon ab, wie schnell man die Flexibilität im System nutze, Energiesparmaßnahmen umsetze und alternative Energiequellen erschließe.
"Dabei kommt Deutschland entgegen, dass bei uns im Sommer weniger fossile Energieträger benötigt werden, weil die Photovoltaik mehr Strom liefert und gleichzeitig nicht geheizt wird", kommentiert Dullien. Er appelliert, die nächsten Monate zu nutzen: Zum Anlegen neuer Lagerbestände, zur Erschließung neuer Energielieferanten, zur energetischen Gebäudesanierung und zum Ausbau erneuerbarer Energien.
Langfristig ganz ohne Russland?
"Mittel- und langfristig ist eine Versorgung Deutschlands ohne Russland problemlos möglich, weil es global ausreichend Erdöl und Erdgas gibt und bei entsprechender Zahlungsbereitschaft Deutschlands die Lieferströme umgelenkt werden können", bilanziert er.
Matschke hält es allerdings für keine gute Idee, langfristig ganz ohne Russland auskommen zu wollen. "Dafür ist Russland mit seinen großen Energiereserven zu wichtig, und irgendwann wird wohl auch die geopolitische Lage wieder anders sein", sagt sie. Eine so starke Abhängigkeit von einem Land, wie sie derzeit vorherrsche, sollte man in Zukunft aber vermeiden und die Energieversorgung diversifizieren.
Druck durch Ölländer?
Dass die erdölfördernden Staaten sich zusammenschließen und sich gemeinsam auf eine Preissenkung einigen, um Russland unter Druck zu setzen, halten die Experten für unwahrscheinlich. "Russland arbeitet in der OPEC Plus mit diesen Staaten zusammen", erinnert Schiffer. Eine Erhöhung der Fördermenge, die eine Preis dämpfende Wirkung hätte, sei ein aussichtsreicherer Weg.
Dullien sagt allerdings: "Das Problem ist, dass die anderen erdölfördernden Staaten nur einen geringen Anreiz haben, jetzt die Förderung zu erhöhen, um die Preise zu senken". Sie profitierten derzeit von den hohen Preisen für ihr Öl. "Das Risiko aus Sicht der Erdölförderländer wäre, dass sich der aktuelle Preisanstieg als in Teilen spekulativ übertrieben herausstellt und bei Ausweitung der Ölförderung die Preise zu weit fallen", analysiert er.
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