Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Triumph für Alexander Lukaschenko: Mit seiner Vermittlung beendete er den Aufstand der Söldnertruppe Wagner gegen Moskau. Der Chef der Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, geht nach Belarus ins Exil. Langfristig könnte der Deal dem Autokraten in Minsk jedoch schaden, meinen Experten.
Die Erklärung von Lukaschenkos Pressedienst am Samstagabend kam überraschend: Den ganzen Tag über habe der Staatschef – mit Zustimmung des russischen Präsidenten
Diese Einigung ist ein Coup für Lukaschenko. Der 68-Jährige hält sich mit Gewalt seit fast 30 Jahren in der früheren Sowjetrepublik Belarus an der Macht. Wegen der höchst umstrittenen Wahlen 2020 und seiner Unterstützung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wird er vom Westen als Paria behandelt. Washington nennt Belarus die "letzte Diktatur Europas".
Nachdem Lukaschenko im Mai bei den Feiern zum Sieg über Nazi-Deutschland in Moskau angeschlagen gewirkt hat und danach für mehrere Tage aus der Öffentlichkeit verschwunden war, wurde über seinen Gesundheitszustand spekuliert. Jetzt kann er sich als der starke Mann präsentieren, der eine Revolte im Nachbarland beendet hat. Putin habe sich persönlich in einem Telefonat bei Lukaschenko bedankt, teilte der Pressestab in Minsk mit.
Expertin: "Lukaschenko wurde vom Kreml benutzt"
Dass der Wagner-Aufstand durch die Vermittlung von Lukaschenko beendet wurde, sei nach dem Putschversuch eine weitere Demütigung für Putin, sagte der SPD-Außenpolitiker Michael Roth am Montag den Sendern RTL und ntv. Lukaschenko sei eigentlich "Putins Vasall und plötzlich muss Putin ihm für die Vermittlung danken".
Laut der Vereinbarung muss Prigoschin nach Angaben des Kremls künftig in Belarus leben. Ob sich auch seine Miliz dorthin zurückziehen wird, war zunächst unklar. Katia Glod vom European Leadership Network in London bezweifelt, dass sich Lukaschenko freiwillig auf diesen Deal eingelassen hat. "Ich denke, er wurde vom Kreml benutzt", sagt die Belarus-Expertin. Putin habe den aufmüpfigen Milizen-Chef bei Lukaschenko "abgeladen".
Seine Anwesenheit berge "zahlreiche Risiken" in einem Land, in dem die Loyalität der Sicherheitskräfte für den Staatschef von größter Bedeutung sei, sagt Glod und verweist auf die Massenproteste nach der Wahl 2020, die Lukaschenko brutal niederschlagen ließ. "Der einzige Vorteil, den es für Lukaschenko geben könnte, ist, dass er Prigoschin als persönliche Armee gegen eine mögliche Revolte einsetzen" könnte.
"Prigoschin ist kein Geschenk für Lukaschenko, denn Putin, der Autokrat, wird ihm die Demütigung, die er erlitten hat, niemals verzeihen", sagt der ehemalige belarussische Kulturminister Pawel Latuschko, der jetzt in der Opposition ist. "Dies ist ein kleiner, künstlicher und oberflächlicher taktischer Sieg für Lukaschenko, der sich in ein strategisches Problem für den Diktator selbst verwandeln könnte", prophezeite er in einem Videokommentar, den der oppositionelle Telegram-Kanal Nexta verbreitete.
Lukaschenko extrem abhängig von Putin
Seit 2020 ist Lukaschenko für sein politisches Überleben auf den Kreml angewiesen, bei seinen regelmäßigen Treffen mit Putin tritt er als dessen Juniorpartner auf. Symbol für diese Abhängigkeit ist die Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus.
William Alberque vom Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) spricht von einer "Annexion von Belarus durch Russland in Zeitlupe". "Ich denke, Lukaschenko fühlt sich bereits in die Ecke gedrängt", analysiert Alberque. "Wenn Putin sagt: 'Tu mir einen Gefallen', dann wird er das natürlich tun, in der Hoffnung, dass er dadurch ein gewisses Druckmittel erhält."
Lukaschenkos Herrschaft beruhe auf zwei Säulen – Gewalt und Unterstützung durch Russland, sagt Glod. Nach dem Putschversuch vom Wochenende ist die eine Säule angeknackst. Der Machthaber in Minsk sei "jetzt ganz klar besorgt, weil der Kreml nicht so stark ist, wie er zu sein schien".
System Putin hat Kratzer bekommen
Politikwissenschaftler Tobias Fella sieht das im Gespräch mit unserer Redaktion ähnlich: "Lukaschenko ist sehr abhängig von Moskau und hat ein Interesse daran, Russland unter die Arme zu greifen." Er sieht deutliche Kratzer im System Putin und rechnet mit einer Reaktion des russischen Staatschefs: "In seinem System darf er kaum eine Schwäche zeigen. Wagner und Prigoschin im Speziellen sind auf jeden Fall in Gefahr."
Er sagt, dass möglicherweise Säuberungswellen bevorstehen, mit denen Putin seine Macht festigen will: "Vielleicht holt Putin zu einem Schlag gegen Verräter aus, der über Prigoschin hinausgeht. Vielleicht hat er Prigoschin sogar extra so lange gewähren lassen, um zu sehen, wer ähnlich denkt – um dann noch umfassender vorzugehen." (afp/lko)
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