Die intensive Phase des israelischen Militäreinsatzes gegen die radikalislamische Hamas in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens wird nach Angaben des israelischen Regierungschefs Netanjahu bald enden. Dies bedeute aber nicht, "dass der Krieg bald zu Ende ist", sagte er.
Israels Ministerpräsident
Auf die Frage, ob er nach Ende der intensiven Kampfphase bereit sei, mit der Hamas eine Vereinbarung zu treffen, die eine Verpflichtung zur Beendigung des Krieges darstellen würde, antwortete Netanjahu mit Nein.
Er sei zu einer vorübergehenden Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung einiger Geiseln bereit. Danach aber müssten die Kämpfe weitergehen, bis die Hamas zerstört sei. Netanjahus Äußerungen bei dem seltenen Live-Auftritt vor heimischem Publikum lösten laut israelischen Medienberichten Wirbel aus.
Netanjahu: Die Hamas lehnt ein Abkommen ab, nicht Israel
Gleich darauf sah sich das Büro des Ministerpräsidenten zu einer Klarstellung veranlasst: "Es ist die Hamas, die ein Abkommen ablehnt, nicht Israel", hieß es gestern Abend in einer knappen Mitteilung. Netanjahu habe deutlich gemacht, "dass wir Gaza nicht verlassen werden, bis wir alle 120 unserer Geiseln, lebende und verstorbene, zurückgebracht haben", hieß es weiter.
Ende Mai hatte US-Präsident Joe Biden überraschend einen dreistufigen Plan für eine Waffenruhe vorgestellt. Dieser sieht vor, dass eine vorübergehende Feuerpause eingehalten wird und währenddessen einige der Geiseln freikommen. In einer zweiten Phase würden die Kämpfe dann dauerhaft eingestellt und die verbliebenen Geiseln auf freien Fuß kommen. In einer letzten Phase soll dem Entwurf zufolge der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.
Netanjahu kündigt Truppenverlegung nach Norden an
Nachdem die intensive Phase im Gaza-Krieg beendet sei, werde man die Möglichkeit haben, einen Teil der Truppen nach Norden zu verlegen, sagte Netanjahu. Dort, im Grenzgebiet zum Libanon, beschießen sich Israel und die libanesische Hisbollah seit mehr als acht Monaten. Zuletzt nahm die Intensität der Gefechte deutlich zu.
Israel will durch diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Miliz hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es eine UN-Resolution vorsieht. Notfalls sei Israel aber auch zu einem größeren Militäreinsatz bereit, warnte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant.
Vor seiner Abreise in die USA bekräftigte Galant, sein Land sei "auf jeden Einsatz vorbereitet, der erforderlich sein könnte, im Gazastreifen, im Libanon und in anderen Gebieten". Es wird befürchtet, dass ein offener Krieg zwischen Israel und dem Libanon sich zu einem regionalen Konflikt ausweiten könnte, in den auch die USA als wichtigster Verbündeter Israels hineingezogen würden. Angesichts der wachsenden Sorgen vor einer Eskalation reist Bundesaußenministerin
Baerbock zu Krisengesprächen in Israel und Libanon
Es ist der achte Israel-Besuch Baerbocks seit der Terrorattacke der Hamas auf das Land am 7. Oktober. Der blutige Überfall war der Auslöser des Krieges gewesen. Bei den Gesprächen der Grünen-Politikerin morgen in Israel und den Palästinensischen Gebieten werden nach Angaben einer Sprecherin des Auswärtigen Amts der Krieg im Gazastreifen sowie die katastrophale humanitäre Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet im Zentrum stehen. Morgen Abend will Baerbock auch Gespräche in der libanesischen Hauptstadt Beirut führen.
Unterdessen wiesen der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sowie der EU-Kommissar für Krisenschutz, Janez Lenarčič, in einer gemeinsamen Erklärung auf die verheerende Versorgungslage in Gaza hin. Es sei inzwischen nahezu unmöglich geworden, in dem Kriegsgebiet nennenswerte humanitäre Hilfe zu leisten.
Die hungernden Menschen griffen zu verzweifelten Maßnahmen, um an die wenigen Hilfsgüter heranzukommen, die ins Land gelangen. "Wir appellieren erneut an alle Konfliktparteien, ihrer völkerrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden", hieß es. Zuvor hatte auch UN-Generalsekretär Guterres beklagt, Chaos und "totale Gesetzlosigkeit" verhinderten die Verteilung humanitärer Hilfe.
Israels Oberstes Gericht fordert Aufklärung über Gefangenenlager
Das Oberste Gericht in Israel hat derweil laut Medienberichten von den staatlichen Stellen des Landes einen Bericht über die Zustände im Gefangenenlager Sde Teiman angefordert, das für militante Palästinenser eingerichtet worden ist. Ehemalige Insassen, Menschenrechtsgruppen und israelische Hinweisgeber, unter ihnen frühere Ärzte, hatten mehrfach über Gewalt gegen die Gefangenen bis hin zu Folter berichtet. Unter anderem sollen Häftlinge geschlagen, sexuell missbraucht und verletzt worden sein.
Das Militär hatte das Lager von Sde Teiman in der Nähe der südisraelischen Stadt Beerscheba nach dem Terrorüberfall vom 7. Oktober errichtet. Die Armee inhaftiert dort Terrorverdächtige und Militante, die im Zuge des Gaza-Krieges festgenommen wurden. Nach israelischer Lesart handelt es sich bei ihnen um "illegale Kombattanten".
Damit ist gemeint, dass sie als Mitglieder einer Terrororganisation keinen Schutz eines Kriegsgefangenen erhalten und für sie auch nicht die dritte Genfer Konvention mit detaillierten Regeln über die Behandlung von Kriegsgefangenen gilt. Diese Praxis ist international umstritten.
Was heute wichtig wird
Außenministerin Baerbock nimmt zunächst an der regulären Sitzung des Außenrats der Europäischen Union in Luxemburg teil. Dort soll es um die gemeinsame Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg sowie die Lage im Nahen und Mittleren Osten gehen.
Danach reist die Grünen-Politikerin nach Israel weiter und will heute in Tel Aviv bei der Herzlija-Sicherheitskonferenz des Instituts für Politik und Strategie sowie der Reichman-Universität eine Rede halten. Währenddessen führt Israels Verteidigungsminister Galant Gespräche in Washington. Er wollte neben seinem US-Kollegen Lloyd Austin auch Außenminister Antony Blinken treffen. (dpa/lag)
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