- Die Ukraine hatte vergangene Woche große Geländegewinne gegen die russische Armee verzeichnen können.
- Das ist auch der Verdienst eines Mannes, der sonst das Rampenlicht scheut.
- Generaloberst Oleksandr Syrskyj ist einer der Verantwortlichen für die erfolgreiche Verteidigung Kiews und den jüngsten Geländegewinnen im Nordosten.
Es ist ein sehr bezeichnender Teil dieses Krieges, der von russischer Seite gerne als Bruderkrieg bezeichnet wird, dass er von Militärs geführt wird, die sich gegenseitig kennen. Generaloberst Oleksandr Syrskyj, der gerade die russische Armee im Nordosten der Ukraine das Fürchten gelehrt hat, dürfte einigen seiner Feinde auf der anderen Seite der Front noch aus früheren Zeiten bekannt sein.
Der ukrainische Offizier hatte selbst viele Jahre in der Sowjetarmee gedient und seine Ausbildung in der Militärakademie in Moskau absolviert. Gut möglich, dass er auch deshalb so erfolgreich gegen die russischen Kampfgruppen vorgehen konnte, weil er ihre Doktrin so gut kannte.
Doch nicht nur deshalb: Syrskyj hat Erfahrung im Kampf gegen die russische Armee. Während der Offensive im Donbass 2014/15 leitete er den Rückzug der ukrainischen Armee aus Debalzewo und erwarb sich hierbei große Anerkennung. Seit 2019 leitete er die Operationen der ukrainischen Armee im Donbass.
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Er trägt Helm und Kampfanzug, würde man es nicht besser wissen, man würde ihn für einen ganz normalen Soldaten halten. Bezeichnend: Der oberste Offizier der Ukraine scheut das Rampenlicht. Dabei ist er hoch dekoriert: Für seine Verdienste wurde er von Präsident Selenskyj als "Held der Ukraine" ausgezeichnet.
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Verteidiger der Hauptstadt
Zum "Helden der Ukraine" wurde Syrskyj bereits zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022. Während die Politiker noch versuchten mit Russland zu verhandeln und eine Offensive der russischen Armee für unwahrscheinlich hielten, bereitete das ukrainische Militär im Geheimen die Verteidigung von Kiew vor.
Dass die Hauptstadt Ziel eines russischen Angriffs sein würde, hielten viele, auch Selenskyj für unwahrscheinlich. Die Politik ging - wenn überhaupt – von einem Angriff in der Ostukraine und von der Krim aus, regional begrenzt, keine großangelegte Invasion. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko erklärte gegenüber der "Washington Post": "Die Führung des Landes sagte, es würde keinen Krieg geben, aber das Militär wusste es besser."
Selbst Generaloberst Syrskyj ging nach eigenen Angaben nicht davon aus, dass Russland versuchen würde, die Hauptstadt anzugreifen. Zu aufwändig und risikoreich sei der Häuserkampf, zu schwierig die Versorgung der Truppen. Trotzdem ließ er für den Fall der Fälle um Kiew herum zwei Verteidigungsringe einrichten und bereitete die Armee und Milizen auf eine Invasion vor.
Auf Syrskyj ging außerdem die Entscheidung zurück, alle Flugzeuge, Panzer, Artillerie und Fahrzeuge aus den Basen zu nehmen und zu verstecken. Durch diese entscheidende Maßnahme überlebte das meiste militärische Gerät die ersten Stunden und Tage der russischen Invasion. Denn der Generaloberst hatte richtig gelegen: Die russischen Aggressoren bombardierten tatsächlich die ukrainischen Militärbasen und Flughäfen und versuchten entlang zweier Achsen direkt zur Hauptstadt vorzudringen.
Eroberer im Nordosten
Nachdem die russische Armee sich aufgrund mangelnder Erfolge aus der Region um Kiew zurückgezogen hatte, begann die Offensive im Süden und Osten der Ukraine. Auch hier ging es nach anfänglichen Erfolgen kaum voran. Verantwortlich dafür sind nach verschiedenen Meinungen von Militärexperten vor allem russische Fehler.
Ganz ohne ukrainische Eigenleistung wäre die Gegenoffensive in den vergangenen Wochen allerdings nicht so schnell von Erfolg gekrönt gewesen. Trotz überlegener Feuerkraft der Russen konnten sich die Ukrainer nicht nur in den eigenen Stellungen festbeißen, sondern auch nennenswerte Angriffe gegen die Invasoren durchführen und dabei wichtige Nachschublager zerstören. Viele westliche Militärexperten erklärten im Vorfeld, dass die ukrainische Armee nicht ausgerüstet sei für großangelegte Offensiven, weil ihnen Panzer und Flugzeuge fehlten.
Syrskyj und seine Armee zeigten hingegen, dass der Überraschungserfolg von Kiew kein Zufall war und drängten die Angreifer teilweise bis an die russische Grenze zurück. Die geglückte Offensive ist auch darauf zurück zu führen, dass der ehemalige Sowjet-Offizier einiges davon, was er an der Militärakademie in Moskau gelernt hatte wieder vergessen hat.
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Die russische Armee ist ebenso wie die Sowjetarmee streng hierarchisch gegliedert. Befehle werden von den oberen Offiziersrängen gegeben und auf unteren Ebenen wird Gehorsam erwartet statt Eigeninitiative. Dieser Führungsstil hat in den ersten Kriegsmonaten dazu geführt, dass sich viele russische Generäle nahe der Front aufgehalten hatten, um ihren Männern in der unübersichtlichen Lage Befehle zu erteilen.
Dort waren sie ein leichtes Ziel für die ukrainische Armee und wurden bei Hinterhalten zu dutzenden getötet. Syrskyj hingegen hatte in seiner Truppe die Eigenverantwortlichkeit niederer Offiziersgrade gestärkt und sie motiviert selbstständig zu entscheiden. Einer der Gründe, warum die Ukraine derzeit die Oberhand behält – und Syrskyj im Gegensatz zu vielen seiner ehemaligen Kameraden aus der Militärakademie noch am Leben ist.
Verwendete Quellen:
- Spiegel.de: Der Generaloberst, der den Ukrainern Hoffnung gibt
- Washingtonpost.com: Battle for Kyiv: Ukrainian valor, Russian blunders combined to save the capital
- Video von Syrskyjs Rede auf Twitter
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