Autonome Drohnen, die eigenständig Ziele identifizieren und angreifen – was nach Science-Fiction klingt, ist im Ukraine-Krieg Realität. Braden Allenby erklärt, wie sich moderne und alte Kriegsführung im Konflikt verbinden.
Er kriecht durch das ukrainische Unterholz, kann Kunststücke vorführen, schwere Lasten tragen und gleichzeitig filmen, was er sieht. Wenn er steckenbleibt oder fällt, kann er sich selbst aus seiner misslichen Lage befreien. Ein Hund – aus Plastik, Metall und Software. Künstliche Intelligenz. Ein Roboter. Ausgestattet mit Kameras und Sensoren soll er, beziehungsweise sollen sie die Sicherheit der Soldaten erhöhen, indem sie gefährliche Bereiche erkunden und Informationen in Echtzeit liefern. Auch sollen sie Truppen entlasten, indem sie Ausrüstung oder Nachschub transportieren.
Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur das geopolitische Gleichgewicht in Europa verändert, sondern auch eine Welle von Innovationen in der militärischen Technologie ausgelöst. Die Ukraine wird gezwungen, sich zu behaupten, was den Innovationsdrang weiter vorantreibt. Das osteuropäische Land ist dem Feind Russland zahlenmäßig weit unterlegen – sowohl, was die Truppenstärke angeht als auch die Anzahl der Waffen. Demnach setzen Kiew und etliche Unternehmen sowohl aus der Ukraine als auch aus Ländern der westlichen Partner auf kreative und effektive Lösungen. Der US-amerikanische Think Tank "Jamestown Foundation" beschreibt die Ukraine als führend in der Drohneninnovation.
Zwischen Grabenkrieg und Künstlicher Intelligenz
Braden Allenby ist Professor für Ingenieurwesen und Ethik an der Arizona State University. Er ist vor allem Experte im Bereich Militärtechnologien. Ihm zufolge ist der Krieg in der Ukraine eine "höllische Mischung aus Science-Fiction und der Kriegsführung des Ersten Weltkriegs". Dies zeige sich, erklärt er auf Anfrage unserer Redaktion, in der Verwendung von Technologien, die einerseits alt, teils sogar obsolet seien, dann aber wieder mit neuesten Entwicklungen verknüpft werden.
"Der Krieg in der Ukraine mag zwar wie ein Grabenkrieg aussehen, der an den Ersten Weltkrieg erinnert, aber auf dem Schlachtfeld sind auch im Wesentlichen autonome und sehr tödliche Drohnen im Einsatz, die in informellen ukrainischen Werkstätten und nicht in großen, staatlichen und spezialisierten Fabriken hergestellt werden. Drohnen, die von GPS und
Alte Artilleriesysteme werden etwa mit neuartigen Sensoren ausgestattet, die erkennen, wann sie den Zünder betätigen müssen. Truppen harren in Gräben aus, nutzen teils längst aussortierte Panzer und anderes Kriegsgerät, während sie mit Drohnen verfolgt werden, die bereits eigenständig Entscheidungen treffen könnten. Insbesondere Drohnen wie der Saker Scout, seien in der Lage, Landziele autonom zu identifizieren, zu verfolgen und anzugreifen, ohne dass ein Mensch die endgültige Entscheidung über den tödlichen Einsatz treffen müsse, sagt Allenby. Die Saker Scout sei eine Antwort auf Russlands Innovationen, die es ihnen ermöglichte, reguläre Lenkdrohnen zu stören. Sie sei davor aber sicher.
Die Ukraine hat dem Experten zufolge auch im maritimen Bereich bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Etwa mit den beiden Seedrohnen-Modellen Sea Baby und Magura V5, die in der Lage gewesen seien, einen signifikanten Teil der russischen Schwarzmeerflotte zu zerstören oder zu deaktivieren. Diese Drohnen, die über Satellitenverbindungen gesteuert werden, repräsentieren einen strategischen Vorteil im maritimen Raum, erklärt Allenby.
Der Kampf mit Marine-Drohnen entwickle sich nicht nur technologisch, sondern auch taktisch rasant weiter. "Die Ukrainer setzen Flotten von zehn bis 20 Seedrohnen ein, die durch KI miteinander verbunden sind, um die Fähigkeiten eines einzelnen Kriegsschiffes zu replizieren – nur dass sie tödlicher und widerstandsfähiger sind als ein einzelnes Schiff."
Der stille Krieg im Internet
Die elektronische Kriegsführung und der Informationskrieg, ein Bereich, in dem die Russen seit langem führend sind, sei ein weiterer Bereich, in dem rasante Innovationen stattfinden. Die Ukraine ist seit längerer Zeit russischen Cyberangriffen ausgesetzt, etwa dem berüchtigten Angriff auf das ukrainische Stromnetz durch die russische Hackergruppe "Sandworm" im Jahr 2015. Allenby sagt: "Während die kinetischen Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen und offensichtlich sind, ist die anhaltende Cyberkriegsführung, die nicht nur ukrainische Ziele, sondern auch Infrastrukturen und Institutionen in ganz Europa und Amerika umfasst, ebenso komplex und umstritten."
Der traditionelle Kriegsschauplatz ist also ziemlich offensichtlich: Denn Explosionen und Panzer sind unübersehbar. Gleichzeitig existiert jedoch der Cyberkriegsschauplatz global und umfasst alle Aspekte der Infrastruktur eines Landes, einschließlich der zivilen Infrastruktur wie Verkehr, Gesundheit, Finanzen und andere Netzwerke. Dieser Krieg wird im Stillen geführt und entwickelt sich rasant weiter. Immer neue Lösungen werden gefunden, um den Gegner online zu schwächen – und immer neue Verteidigungsmechanismen antworten darauf.
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Die Entwicklungen in der ukrainischen Verteidigungsindustrie sind jedoch nicht nur auf die Selbstverteidigung beschränkt. Auch andere Länder wie Israel haben von den Fortschritten der Ukraine gelernt und ihre eigenen Technologien entsprechend angepasst, wie Allenby betont. Laut dem "Spiegel" hat der Krieg in der Ukraine eine neue Ära der militärischen Innovation eingeläutet, die das Potenzial hat, die Art und Weise, wie Kriege geführt werden, grundlegend zu verändern. Stichwort – erneut: Künstliche Intelligenz. Offenbar sollen künftig auch billige Drohnen fähig sein, zuvor definierte Fahrzeuge zu erkennen und autonom anzugreifen.
Das ewige KI-Dilemma
Das kann allerdings zu einem Dilemma führen: Panzer, schreibt der "Spiegel", könne KI leicht identifizieren, aber kann sie auch zwischen Freund und Feind, Soldat und Zivilist unterschieden? Hier stößt sie noch an ihre Grenzen. Etwaige ethische Bedenken würden allerdings oft verworfen, wenn es um das Überleben von Staaten ginge, wird Expertin Ulrike Franke vom European Council for Foreign Relations zitiert. Sie sieht in der KI-Technologie keinen entscheidenden Kriegsfaktor, aber durchaus einen vorübergehenden Vorteil. Russen und Ukrainer würden sich ständig an die Entwicklungen der Gegenseite anpassen, und Schwarmfähigkeiten von Drohnen könnten demnach eine Offensive unterstützen.
Dennoch werden diese ethischen Diskussionen geführt. Laut einem Bericht in der "New York Times" könnte die Ukraine durch den Einsatz von Technologien einen Vorteil gegenüber Russland erhalten. Der ukrainische Minister für digitale Transformation, Mykhailo Fedorov, ist sich demnach sicher: "Wir brauchen maximale Automatisierung. Diese Technologien sind grundlegend für unseren Sieg." Doch auch er betont, dass die menschliche Aufsicht weiterhin "von größter Bedeutung" sei.
Momentan erfordern Angriffe noch immer die sogenannte "Human-in-the-loop"-Anforderung. In der Zukunft könnten solche Einschränkungen jedoch nicht mehr existieren, was Fragen zur Verantwortlichkeit und zu potenziellen Fehlfunktionen aufwirft. Die Ukraine habe "auf brutale Weise deutlich gemacht, warum autonome Waffen Vorteile haben", erklärt KI-Wissenschaftler Stuart Russell der "New York Times". Ihm zufolge wird es in naher Zukunft "Massenvernichtungswaffen geben, die billig, skalierbar und leicht auf den Waffenmärkten erhältlich sind".
Die Frage nach den langfristigen Konsequenzen
Während sich also die Ukraine, gemeinsam mit ihren westlichen Partnern, in einem Wettlauf der Innovation mit Russland befindet, versucht die neuesten Technologien zu nutzen, um ihre nationale Sicherheit zu gewährleisten, bleibt die Frage nach den langfristigen Konsequenzen. Die rasanten technologischen Entwicklungen werden die Art und Weise, wie Konflikte geführt werden, zweifellos prägen. Wie werden künftige Innovationen die geopolitischen Dynamiken beeinflussen? Welche Rolle werden ethische Überlegungen dabei noch spielen?
Gesichtserkennung, um mutmaßliche Kriegsverbrecher zu identifizieren, Waffen, die eigenständig handeln können, Laser, die Drohnen abschießen, Störsender, die andere Flugobjekte vom Himmel holen. All diese Technologien werden bereits eingesetzt, während sich Organisationen wie die Vereinten Nationen für ein Verbot autonomer tödlicher Waffensysteme einsetzen. Doch Experte Allenby sagt: "Die meisten zivilen Entscheidungsträger haben wenig Erfahrung und Kompetenz im Krieg." Innovationen, angetrieben von der existenziellen Natur des Krieges, entwickelten sich allerdings in einem viel schnelleren Tempo, "als politische Institutionen auch nur hoffen können, mitzuhalten".
Über den Gesprächspartner
- Braden R. Allenby ist Professor für Ingenieurwesen und Ethik an der Arizona State University. Er ist Präsident des Lehrstuhls für Zivil-, Umwelt- und nachhaltige Ingenieurwissenschaften sowie Gründungsdirektor des Zentrums für Erdsystemtechnik und -management. Allenby hat Abschlüsse in verschiedenen Disziplinen, darunter einen Bachelor of Arts von der Yale University, einen Jurastudiengang und einen Master in Wirtschaft von der University of Virginia sowie einen Master of Science und einen Doktortitel in Umweltwissenschaften. Seine Expertise umfasst die Schnittstelle von Technologie, Militäroperationen und nationaler Sicherheit.
Verwendete Quellen
- Schriftliche Anfrage an Braden Allenby
- Jamestown.org: Ukraine Leads World in Drone Innovation and Production
- Theguardian.com: AI’s ‘Oppenheimer moment’: autonomous weapons enter the battlefield
- Youtube.com: The Armourer’s Bench: Ukraine Unleashes the Robot Dogs of War
- Nytimes.com: A.I. Begins Ushering In an Age of Killer Robots
- Spiegel.de: Mit Stöcken und Kolibris zur Luftherrschaft
- Cyber-peace.org: BlackEnergy / KillDisk
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