- Russland hat die Ukraine von mehreren Seiten angegriffen, seit dem Morgen des 24.2.2022 werden Explosionen aus verschiedenen Teilen des Landes gemeldet.
- Auch aus Odessa, wo der 28-jährige Hannes Jung aus Deutschland vor Ort ist.
- Er berichtet über die Lage in der Stadt am Schwarzen Meer und die Reaktionen der Ukrainer. Manche davon haben ihn überrascht.
Am Mittwochmorgen war Hannes Jung (Name geändert) noch im Supermarkt in Odessa einkaufen - da war noch alles wie immer. Nur an der Kasse musste er länger als üblich warten. In der Nacht hatte er dann aus den ukrainischen Online-Medien erfahren: Russland hat die Ukraine angegriffen – nicht nur im Osten des Landes im Donbass, sondern von mehreren Seiten.
Seit dem Morgen des 24.2. werden Explosionen aus verschiedenen Teilen des Landes gemeldet, etwa aus Maiupol, Odessa, Kiew, Charkiw und der Region Lwiw. Laut russischen Angaben wurde die militärische Infrastruktur der ukrainischen Luftwaffenbasen zerstört. "Ich habe bereits laute Knalle gehört und die Alarmanlagen von Autos", sagt der 28-Jährige, der ursprünglich aus Münster kommt.
Gefahr erst spät gesehen
Ebenso mache ein Video die Runde, auf dem Rauchwolken über Odessa, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, zu sehen seien. Aus der Hauptstadt Kiew gehen derweil Bilder von Menschenschlangen an Tankstellen und Geldautomaten sowie kilometerlangen Staus auf den Hauptverkehrsstraßen um die Welt.
"Auch hier sind die Schlangen vor den Geldautomaten lang, besonders an der ukrainischen Export-Import Bank", ist Jung aufgefallen. Bis vor wenigen Tagen hätten viele Ukrainer allerdings noch gesagt: "Es kann und wird nichts passieren", erinnert sich Jung, der nach seinem Studium der Politik und Wirtschaft für einen Bildungsanbieter arbeitet. Von dieser Gelassenheit war er überrascht. In den Medien und vor Ort hat er den Konflikt von Beginn an verfolgt.
Einstellung gekippt
"Als in der westlichen Presse schon intensiv berichtet wurde, wurde das Thema hier noch weitgehend ignoriert oder als Übertreibung abgetan", erinnert sich der Deutsche. Darin sieht er eine Parallele zur Corona-Pandemie: "Auch in diesem Bereich sehen viele Menschen hier die Gefahren nicht", ist seine Erfahrung.
In Bezug auf den Konflikt mit Russland sei diese Einstellung nun aber gekippt. "Der Konflikt wird auch hier immer präsenter, zunehmend werden Sorgen geäußert", sagt er. Weil viele in der Metropole, die im Süden des Landes gelegen ist, noch in der letzten Woche gesagt hätten: "Das hat nichts mit uns in Odessa zu tun", seien sie umso überraschter von den jetzigen Angriffen gewesen.
Sicherheitslage ändert sich schnell
Ukrainische Behörden haben auch vorrückende russische Bodentruppen gemeldet, ebenso den Abschuss von fünf russischen Flugzeugen über Luhansk. Separatisten teilen derweil mit, zwei weitere Orte in der Region Luhansk zu kontrollieren.
Sieben Menschen sind laut ukrainischen Angaben durch Beschuss bereits getötet worden. Das Auswärtige Amt hat deutsche Staatsbürger aufgefordert, die Ukraine zu verlassen. "Ich beobachte die aktuelle Sicherheitslage und entscheide von Tag zu Tag und Stunde zu Stunde neu", sagt Jung.
Bislang keine Ausgangssperre
In der Ukraine lebte er bereits für mehrere Monate, ist nun seit wenigen Tagen wieder im Land. Russisch spricht er bereits auf gehobenem Niveau, hat deshalb auch immer wieder Kontakte zu Einheimischen. "Eine Ausgangssperre gibt es bislang nicht, ich sehe auch Spaziergänger auf den Straßen", sagt Jung.
Doch er ist sich bewusst: Schnell kann die Lage anders aussehen. "Es ist möglich, dass Odessa morgen unter russischer Kontrolle steht, vielleicht werden hier aber auch nur strategische Punkte angegriffen, um zu verhindern, dass Hilfe in den Donbass entsandt wird", sagt Jung.
Ukrainer: Gemischte Einstellungen
Es sei für ihn schwierig abzuwägen, ob es sicherer sei, auszureisen, oder sich in der Ukraine an einem sicheren Ort aufzuhalten. In Gesprächen in dem vergangenen halben Jahr sind ihm gemischte Einstellungen der Ukrainer gegenüber dem Westen und Russland begegnet. "Teilweise waren die Erwartungen an den Westen vollkommen falsch und viel zu hoch", erinnert er sich.
Da habe es geheißen: "Der Westen wird doch sicherlich helfen". Inzwischen ist allerdings klar: Militärische Truppen sollen nicht entsandt werden. Die deutsche Regierung sorgte derweil mit ihrem Hilfsangebot von 5.000 Schutzhelmen für Spott in der Ukraine. "Gleichzeitig war ich erstaunt, wie russland-freundlich viele Ukrainer dennoch sind", gibt Jung zu.
Erstaunt über Russland-Verhältnis
Die Nachbarn Rumänien und Moldawien würden dann als "Ausland" gelten, bei Russland sei die Identifikation viel größer. "Da hört man dann: Das sind doch auch wir", erzählt der Auswanderer. Gleichzeitig gäbe es auch jene, die betonten: "Jedem Volk sein Staat".
"Das hängt insgesamt sehr stark von der Region in der Ukraine ab, sie sind unterschiedlich von Russland geprägt", erklärt Jung. Dass sich die Lage vor Ort verschlechtert, dass hofft der 28-Jährige natürlich nicht. Viel lieber würde er Odessa wohl ganz anders in Erinnerung behalten: Mit seiner potemkischen Treppe, dem Woronzow Leuchtturm und der bekannten Primorskij-Promenade aus Herrenhäusern und Denkmälern.
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