- Mehrere deutsche Städte sind zuletzt Schauplatz pro-russischer Demonstrationen geworden.
- Sie haben großen Gegenprotest hervorgerufen und in Politik und Gesellschaft für Entsetzen gesorgt.
- Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Fast erklärt, wer an den Veranstaltungen teilnimmt und was die Motive dafür sind.
- Sie ist sich sicher: Angriffe auf Russen werden instrumentalisiert.
Stuttgart, Frankfurt, Osnabrück und Hannover im weiß-blau-roten Flaggenmeer: In mehreren deutschen Städten haben in den vergangenen Wochen pro-russische Demonstrationen stattgefunden. Angemeldet waren die Demonstrationen, die mehrere hundert Teilnehmer zählten, dabei stets unter Titeln wie "Gegen die Diskriminierung russischsprechender Menschen".
Doch vor Ort wurde schnell klar: Es geht nicht nur um "Russophobie" oder "Diskriminierung". In Sprechchören skandierten die Teilnehmenden "Russland, Russland" und schwenkten russische sowie sowjetische Fahnen. Auch zu russischen Volksliedern wie "Kalinka" wurde getanzt, an Autokorsos beteiligten sich mehrere hundert Fahrzeuge.
Verbotene Symbole auf pro-russischen Demos: Buchstaben "V" und "Z" verboten
Teilweise waren auch verbotene Symbole, die die russischen Kriegsaktivitäten in der Ukraine gutheißen, zu sehen. Dazu zählen Abbildungen mit den Buchstaben "V" und "Z" sowie das "Sankt-Georgs-Band". Mehrere Kommunen haben Autokorsos bereits verboten und strenge Auflagen erlassen.
Weitere Demonstrationen werden erwartet. Auf Plakaten von Gegendemonstranten waren bereits jetzt Sprüche zu lesen wie "Ihr seid Mittäter". Wer sind die Menschen, die die pro-russischen Demonstrationen besuchen? Und: Welche Gefahr geht von den Veranstaltungen aus?
Drei Gruppen an Demonstranten
Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Fast sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Es gibt noch keine soziologischen Untersuchungen zu den Pro-Russland-Demonstrationen, sodass man nicht ganz genau sagen kann, wer die Teilnehmenden sind." Aus Beobachtungen des Protestgeschehens ließen sich aber drei Gruppen von Menschen identifizieren.
"Die vermutlich größte Gruppe besteht aus russischstämmigen oder -sprechenden Menschen, die in Deutschland leben", erklärt die Expertin. Ihre Motive, die Veranstaltungen zu besuchen, seien vielfältig. "Zu ihren Beweggründen zählt ein Nationalchauvinismus – sie wollen das eigene Land oder den Krieg, den Russland führt, unterstützen", weiß Fast.
Verschwörungsideologen mit dabei
Ein weiteres Motiv sei eine Form der Schuldabwehr: "Wenn man den Krieg leugnet, schützt man sich zu einem gewissen Grad davor, als russischsprechende Person mit dem Krieg assoziiert zu werden", sagt die Expertin. Außerdem gingen die Demonstranten auch als Folge wirksamer russischer Propaganda auf die Straße.
"Die zweite Gruppe stellen Vertreter aus dem klassischen verschwörungsideologischen Milieu dar", hat Fast beobachtet. Vorherrschend in dieser Gruppe sei das Narrativ: "Der Krieg ist die nächste Stufe nach Corona und soll uns allen Angst machen". Die Ablehnung der Nato spiele eine große Rolle, ebenso die Verherrlichung von Putin als starken Mann. "Russland wird eine symbolische Wirkung zugesprochen – ein Land, in dem man noch 'normal' sein darf", erläutert Fast.
Auch "Gemäßigte" auf den Demos?
"Die dritte Gruppe besteht aus Friedensaktivisten und -aktivistinnen. Sie fordern Frieden, meinen damit aber keine freie Ukraine", erklärt die Wissenschaftlerin. Die Vertreter dieser Gruppe forderten den Stopp aller Waffenlieferungen und militärischen Bündnisse.
"In ihrer undifferenzierten Nato-Kritik sympathisieren sie traditionell mit Russland und sagen: 'Es gibt keinen Frieden ohne Russland'", sagt die Expertin. Dass auf den Demonstrationen auch "gemäßigte" russische Personen anzutreffen sind, die sich nur gegen Anfeindungen im Alltag wehren wollen, hält die Expertin für unwahrscheinlich.
Angriffe auf Russen als Instrument
Zwar seien Russlanddeutsche seit Kriegsbeginn stark verunsichert und müssten sich immer wieder damit auseinandersetzen, was es bedeute, aus Russland zu kommen, Russisch zu sprechen oder einen russischen Pass zu besitzen. Auf den Demonstrationen bleibe es aber nie dabei, den Unmut über etwaige Anfeindungen kundzutun. "Es geht im nächsten Schritt auch immer darum, Russland zu feiern", stellt Fast klar.
Die Demonstrationen griffen das Thema "Russophobie" auf und würden diesen Menschen eine Möglichkeit geben, ihre Unsicherheit zu kanalisieren. "Es macht aber nicht den Eindruck, als gehe es primär darum, diese Menschen vor Angriffen zu schützen", sagt Fast. Gleichzeitig hätten die Menschen auch noch ganz andere Möglichkeiten zu zeigen, dass sie sich anders als Putin positionieren.
Narrative aus der Kreml-Propaganda
"Es gibt Russlanddeutsche, die in der Geflüchtetenarbeit helfen oder gegen den Krieg demonstrieren", erinnert Fast. Auf den Pro-Russland-Demonstrationen würden Angriffe auf Russen unter dem Schlagwort "Russophobie" für Propagandazwecke benutzt, um die russischsprechende Community zu mobilisieren.
"Diese Strategie kam seinerzeit auch in Transnistrien, auf der Krim und im Donbass zum Einsatz. Es wurde darauf abgezielt zu sagen: Russischsprachige Menschen werden unterdrückt und müssen sich zusammentun", warnt die Expertin.
Manche Veranstaltungen seien klare Community-Veranstaltungen, bei anderen handele es sich um politische Szene-Veranstaltungen. "Bei den Community-Veranstaltungen werden Narrative aus der Kreml-Propaganda starkgemacht wie zum Beispiel 'Russland kämpft gegen Nazis in der Ukraine' oder 'Es gibt gar keinen Krieg'", analysiert Fast.
Die verschwörungstheoretische Szene in Deutschland habe derweil noch kein richtiges Narrativ gefunden. "Sie vollführt einen Balanceakt zwischen ihrer klassischen Russlandsympathie und der Verurteilung offensichtlicher Kriegsverbrechen", sagt die Kulturwissenschaftlerin.
Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk über pro-russische Demos erzürnt
Die Veranstaltungen haben besonders bei Ukrainern in Deutschland Fassungslosigkeit hervorgerufen, Kritik gab es auch von den politischen Parteien. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk twitterte: "Ist das noch Meinungsfreiheit? Oder eine geduldete Verherrlichung eines Vernichtungskriegs gegen ukrainische Frauen & Kinder?" Er forderte ein Verbot russischer Fahnen und anderer staatlicher Symbole bei Demonstrationen in Deutschland.
Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht, welches nur in begründeten Fällen eingeschränkt werden darf. Bei den pro-russischen Demonstrationen muss die Frage geprüft werden, inwieweit die Gefahr besteht, dass Straftaten verübt werden, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Dazu zählt laut Strafgesetzbuch und Völkerstrafgesetzbuch auch die Billigung eines Angriffskriegs.
Expertin blickt mit Sorge auf pro-russische Demos
Im Vorfeld lassen sich die Demonstrationen aber nur dann verbieten, wenn zum Beispiel bereits ihr Titel auf eine solche Billigung hinweist. Vor einem Verbot muss die Kommune außerdem mildere Mittel in Erwägung ziehen – etwa Auflagen, die bestimmte Zeichen verbieten.
Auch Expertin Fast blickt mit Sorge auf die pro-russischen Demonstrationen: "Bei den Demos werden Brücken gebaut zwischen anti-demokratischen Milieus, das ist beunruhigend", sagt sie. Politik und Gesellschaft müssten sich deshalb immer wieder von der dortigen Propaganda abgrenzen. "Wir dürfen dem nicht auf den Leim gehen", betont sie.
Über die Expertin:
- Elisabeth Fast studierte Medien- und Kulturwissenschaften an den Universitäten Düsseldorf und Leipzig. Sie ist Bildungsreferentin bei der Amadeu Antonio Stiftung.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Expertin Elisabeth Fast
- Twitter-Profil von Andrij Melnyk
- Kommunal.de: Pro-russische Demos – Was ist rechtlich möglich?
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