- Die Kremlpartei Geeintes Russland hat sich erneut als stärkste Kraft behauptet.
- Die Wahl der neuen Staatsduma galt als wichtiger Stimmungstest für Präsident Putin.
- An der von Betrugsvorwürfen überschatteten Abstimmung gibt es viel Kritik.
Bei der Wahl einer neuen Staatsduma hat die Kremlpartei Geeintes Russland schon nach Auszählung der ersten Stimmen ihren Sieg in Moskau gefeiert. "Rossija, Rossija!", riefen Menschen trotz Regens auf der Straße in der russischen Hauptstadt mit Fahnen der Kremlpartei am Sonntagabend. "Wir sind die Mannschaft Putins", riefen kremltreue Aktivisten. Parteifunktionäre sagten bei einem Auftritt, dass der Kurs Putins fortgesetzt werde. Der Ausgang der Wahl sei ein "Festtag", sagte Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin.
Nach Auszählung von über 20 Prozent der Stimmzettel kam die Kremlpartei laut Wahlkommission auf 42,9 Prozent. Die Kommunisten erhielten demnach 23 Prozent. Die rechtspopulistische Partei LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski landete bei 8,8 Prozent und die Partei Gerechtes Russland bei 7,1 Prozent.
Putin feierte nicht mit - er befindet sich in Quarantäne
Die Parteien sind allesamt systemtreu und auch bisher schon vertreten gewesen in der Duma. Als fünfte Partei konnte sich die neue Kraft Nowyje Ljudi - auf Deutsch: Neue Leute - Hoffnung auf den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde machen. Sie kam den ersten Ergebnissen zufolge auf 6,87 Prozent.
Die ersten Ergebnisse entsprachen etwa den Prognosen, die nach Schließung der Wahllokale veröffentlicht worden waren. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission kann die Kremlpartei erneut auf eine absolute Mehrheit der Stimmen hoffen und zwar auf 240 der 450 Plätze. Für
Putin, der die Partei unterstützt hatte, kam nicht in die Wahlkampfzentrale in Moskau, weil er in Selbstisolation ist nach Kontakt mit Dutzenden Corona-Infizierten. Ihm gehe es gut, hieß es. Auch Parteichef Dmitri Medwedew trat nicht öffentlich auf. Er ließ sich nach Parteiangaben wegen eines "schweren Hustens" entschuldigen.
Opposition um Nawalny ausgeschlossen - 45 Prozent Wahlbeteiligung
Die Opposition um den inhaftierten Kremlgegner
In Russland und im Ausland waren rund 110 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen gewesen, eine neue Staatsduma für die kommenden fünf Jahre zu bestimmen. 14 Parteien standen zur Auswahl, unter den Kandidaten waren kaum echte Oppositionelle. Überschattet wurde der Urnengang von Hunderten Beschwerden über massenhafte Verstöße. Das Innenministerium sprach von 750 Beschwerden, die eingegangen seien. Es habe keine schwerwiegenden Verstöße gegeben.
Die Wahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für Kremlchef Putin und seine Politik. Viele Menschen in Russland sind Umfragen zufolge unzufrieden mit der Lage wegen sinkender Löhne und massiv steigender Preise. Die Kremlpartei Geeintes Russland war im Vorfeld dafür verantwortlich gemacht worden. Ihre Umfragewerte hatten unter 30 Prozent gelegen.
Stimmzettel päckchenweise in die Urnen gestopft
Unabhängige Beobachter der Organisation Golos hatten Tausende Verstöße landesweit aufgelistet - meist mit Foto- und Videoaufnahmen. Der Golos-Experte Andrej Busin nannte das Ausmaß "bedeutend" - besonders in Putins Heimatstadt St. Petersburg. Dort kämpften die Menschen regelrecht um ihre Stimmen, wie auf Videos zu sehen war. Vielfach wurden Wahlurnen vollgestopft mit packenweise vorausgefüllten Stimmzetteln. Es gab zudem Berichte über Wählerzwang etwa unter Staatsbediensteten sowie über Mehrfachstimmabgaben.
Die zentrale Wahlkommission kündigte an, die Beschwerden zu prüfen. Bis Sonntagabend wurden mehr als 8.500 Stimmzettel annulliert, hieß es. Wahlleiterin Ella Pamfilowa meinte, es seien bisher zwölf Fälle bestätigt, bei denen Stimmzettel packenweise in die Urnen gestopft wurden. Auch die Kommunisten, die angesichts der verbreiteten Unzufriedenheit mit der Politik des Kremls auf einen Stimmzuwachs hoffen, beklagten vielfach Verstöße. Sie kündigten Proteste an.
Golos-Beobachter Busin, meinte, dass die Wahlleitung kleine Zugeständnisse mache, aber die Abstimmung nicht grundsätzlich in Frage stellen werde. Wahlleitung wie die Gerichte und alle Entscheidungsebenen unterlägen der Kontrolle des Kremls, sagte er.
Opposition um Nawalny hatte zur Protestwahl aufgerufen
Unabhängige Beobachter und Oppositionelle befürchteten, dass sich die Kremlpartei mit massenhaftem Betrug einen neuen Sieg sichert. Die von der Wahl ausgeschlossene Opposition um Nawalny hatte zur Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen. "Geeintes Russland will uns diese Wahlen stehlen und uns danach weiterer fünf Jahre berauben", sagte Sprecherin Kira Jarmysch. Deshalb sollten die Russen für Kandidaten anderer Partei stimmen.
Zum Ärger der Kremlgegner hatten die Internetriesen Google, Youtube, Apple sowie der Nachrichtenkanal Telegram Empfehlungen des Nawalny-Teams für "schlaues Abstimmen" gelöscht. Dabei wurden konkrete Namen genannt, für die Wähler stimmen sollten. Die von den Behörden verbotenen Inhalte waren aber weiter über Twitter abrufbar. Das Nawalny-Team wehrte sich gegen Kritik, dass dadurch etwa für kommunistische Bewerber geworben werde.
Es sei im Moment - angesichts des Ausschlusses der Opposition - die einzige Chance, das Machtmonopol von Geeintes Russland zu brechen, sagte Nawalnys Mitarbeiter Leonid Wolkow. "Wir werden auf jeden Fall in einem Russland leben, in dem man für gute Kandidaten mit unterschiedlichen Programmen abstimmen kann", sagte er.
Corona als Begründung für Einschränkung der Wahlbeobachtung
In der Hauptstadt Moskau waren an den Wahltagen verstärkt Polizisten im Einsatz. Rund um den Roten Platz am Kreml standen Absperrgitter bereit - offenbar für den Fall von Protesten.
Gewählt wurden auch neue Regional- und Stadtparlamente. Bei den insgesamt mehr als 4.400 Wahlen wurden mehr als 31.000 Mandate neu vergeben. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) waren diesmal nicht vertreten, weil sie mit den Bedingungen und der geringen Zahl zugelassener Experten nicht einverstanden waren. In dem Riesenreich gilt eine Wahlbeobachtung als besonders personalaufwendig.
Russland hatte die Einschränkungen für die westlichen Beobachter mit der Corona-Pandemie begründet. Wegen der Gefahr durch das Virus wurde die Abstimmung auf drei Tage angesetzt, damit Wähler die soziale Distanz und die Hygieneregeln einhalten können. Kritiker werfen den Behörden vor, Manipulationen zu erleichtern, weil Wahlurnen etwa nachts kaum zu kontrollieren seien. (best/dpa)
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