In Russland beherrscht ein mächtiger Propaganda-Apparat die Medien. Wie nie zuvor verändert der Kreml die öffentliche Meinung, sei es über die Annexion der Krim oder den militärischen Einsatz in Syrien. Wie das Gebilde funktioniert, was es mit den Troll-Fabriken auf sich hat und wie Putin im eigenem Land immer weiter an Ansehen gewinnt, erklärt Russlandexperte Uwe Halbach im Interview.
Herr Halbach, Russlands Propaganda-Maschinerie läuft auf Hochtouren. Nicht erst seit dem Eingreifen in Syrien und der Ukraine. Dennoch hat man den Eindruck, es hat sich etwas geändert…
Uwe Halbach: Sie ist in letzter Zeit sehr viel dichter geworden. So dicht, dass besonders Vertreter der Intelligenzija (anm. d. Red.: gegenüber der Regierung kritisch eingestellte Intellektuelle) behaupten, dass es selbst in spätsowjetischer Zeit keine so dichte und wirksame Propaganda gegeben habe. Sie schwappt vor allem über die Fernsehkanäle und verändert in kurzer Zeit Meinungsbilder wie an der Militärintervention in Syrien deutlich wurde. Noch vor dem 30. September war eine Mehrheit der Bevölkerung gegenüber einer größeren militärischen Intervention skeptisch. Danach, als selbst die Wetterberichte Militäraktionen in Syrien thematisierten, kehrte sich dieses Meinungsbild völlig um. Ein Großteil der Befragten unterstützte nun diesen Einsatz.
Wie kann Russland so eine Propaganda-Maschinerie am Laufen halten?
Es sind vor ein paar Jahren neue Medieninstitutionen gegründet worden. Vor allem Russia Today, die kremlgeleitete Propaganda auch ins Ausland ausstrahlt und das Russland-Image im Ausland gestaltet. Die Medienlandschaft in Russland hat sich ganz deutlich hin zu einem staatskonformen Journalismus verändert. Ganz besonders zu sehen ist das im Bereich der Funkmedien und beim Fernsehen. Aus dem Fernsehen wird 90 Prozent der politischen Meinungsbildung bezogen. Auch bei den Printmedien nehmen nur noch wenige Zeitungen wie Novaja Gazeta Gegenpositionen ein.
Wie wird Propaganda gegen Kritiker eingesetzt?
Das neue Mediengesetz in Russland soll freie Meinungsäußerung verhindern. Da gibt es eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen. Wer sich dennoch kritisch äußert, hat mit Restriktionen zu rechnen. Vor allem Kritik an der russischen Außenpolitik wird bestraft. In den Medien werden Kritiker als Nationalverräter abgestempelt. Und das wird meist von der Bevölkerung als Meinung so übernommen.
Wie oft wird Propaganda eingesetzt?
Die täglichen Nachrichten haben alle eine gewisse propagandistische Färbung, vor allem die meisten politischen Nachrichten. Eine aus Dagestan stammende Schriftstellerin schilderte die Situation in einem in Deutschland erschienen Sammelband "Euromaidan" aus der Sicht der wenigen kritischen Stimmen. Sie sagt, dass es in sowjetischer Zeit eine solche Propagandawirkung kaum gegeben hat. In spätsowjetischer Zeit nach Stalin, in der Zeit von Breschnew, ist die Propaganda an den Menschen mehr oder weniger abgeprallt. Man hat das als Ritus hingenommen und nichts dagegen gesagt. Während die Propaganda, die im Moment entfaltet wird, immer mehr Menschen mitnimmt.
Woran liegt das?
Das ist schwer zu erklären. Viele sehen einen Grund darin, dass Russland vom Westen nicht ernst genug genommen wird. Man habe nicht wahrgenommen, wie der Machtverlust, der mit dem Zerfall der Sowjetunion einhergegangen ist, auf die Menschen gewirkt hat. Putin sagte einmal, der Zerfall der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Und man hat, glaube ich, im Westen diesen Effekt unterschätzt. Insofern kommt die Politik der Wiederherstellung russischer Macht auf der Weltbühne in der Bevölkerung an. Dafür steht Putin. Zu Russland muss man wieder "Sie" sagen. Russland hat das Recht, auf Augenhöhe mit anderen Großmächten zu stehen. Russland kämpft für eine multipolare Welt, in der nicht eine amerikanische Supermacht den Ton angibt, sondern in der Russland mitredet.
Kann man denn diesbezüglich von einem russischen Trauma sprechen?
Ja, Trauma im Sinne von Verlust von Größe, von Macht, von Ansehen. Und jeder, der sich dazu bereit erklärt, das wieder herzustellen, kommt eben an.
Was hat sich inhaltlich verändert?
Es hat mal eine Zeit gegeben, in der Russland versucht hat, seine Selbstdarstellung nach Europa zu tragen – das heißt sich als Teil Europas darzustellen, europäische Softpower zu entwickeln im Sinne von "wir sind Teil Europas, des Großraums Europas". In letzter Zeit hat sich die Propaganda eher in Richtung Absetzung geändert. Russland ist das Land, in dem die eigene Zivilisation, die Souveränität, geheiligt wird. Indem man sich gegen Einwirkungen von außen zur Wehr setzt, während der Westen als moralisch dekadent dargestellt wird. Und Westen meint in erster Linie zwar die USA, aber es wird zunehmend auch Europa mit einbezogen.
Ist diese Entwicklung nicht gefährlich?
In Russland regt sich zu wenig Widerstand gegen dieses autistische Verhalten, gegen dieses Isolieren vom Westen. Man muss allerdings auch sagen, dass Russland daraus schon auch einen gewissen Einfluss gewinnen kann gegenüber Ländern, die das auch tun. Russland trifft auf ein ganz anderes Verständnis in Indien oder China und einigen anderen asiatischen Ländern als in Europa. Mit der Kritik an westlicher Außenpolitik, an Normentransfer, trifft Russland durchaus in bestimmten Teilen der Welt auf Verständnis.
Wie wird das Engagement in Syrien in den russischen Medien dargestellt?
Da sich die russische Meinung hauptsächlich über das Fernsehen bildet, erfolgt die Berichterstattung hauptsächlich über TV-Kanäle. Es gibt permanente Erfolgsmeldungen. Berichtet wird etwa über die enorme Zielgenauigkeit oder wie erwähnt das gute Wetter. Über zivile Opfer wird dagegen nicht berichtet.
Das steht konträr zu internationalen Berichten…
Dass das Vorgehen in Aleppo eine riesige Flüchtlingswelle ausgelöst hat und es offenbar zivile Opfer gab, kommt in Russland nicht an.
Hat die russische Propaganda eine neue Qualität entwickelt? Ich denke an ein Video von vergangener Woche, das wie der Trailer eines Videogames inszeniert wurde…
Natürlich ist dieses Propaganda-Feld, das sich in Russland in den letzten Jahren entfaltet hat, deutlich verstärkt worden. Es bedient sich modernster Mittel. Es ist durchaus ein Feld, das sich neuester Technik bedient und keineswegs rückständig ist.
Wie wichtig ist für die russische Propaganda das Internet?
Es gibt eine sehr starke Internetpräsenz im außenpolitischen Sinne. Es gibt die sogenannten Troll-Fabriken, die russische Meinung nach außen streuen, die sich ganz gezielt in soziale Medien einschalten und Meinungen im Sinne des Kremls kundgeben. Es wird schon sehr stark Netzarbeit betrieben.
Wie begründet Russland seinen Einsatz in Syrien?
Das, was die russische Propaganda ausweist, ist diese starke Fokussierung auf den Kampf gegen den Islamischen Staat, der als der größte Terrorismusgenerator weltweit herausgestellt wird. Und Putin hat vor dem Einsatz in Syrien die Welt dazu aufgerufen, gemeinsam gegen diese Herausforderung zu kämpfen. Die tatsächlichen Luftschläge haben sich dann aber nur zum geringsten Teil gegen diese Terrormiliz gerichtet, sondern gegen Rebellengruppen, die gegen Assad kämpfen. Die offensichtliche Begründung, man müsse gegen den IS kämpfen, hat doch einen sehr instrumentellen Charakter angenommen.
Putin hat das Treffen mit Bashar al-Assad im Kreml vor kurzem sehr deutlich zelebriert. Wie werden der syrische Diktator und die Beziehungen Russlands zu den USA in den Medien dargestellt?
Im Moment wird die amerikanische Position im Mittleren Osten in Frage gestellt. Besonders wird auf das fatale Eingreifen der USA im Mittleren Osten, im Irak, eingegangen und verstärkt auf die Fehlschläge westlicher Politik hingewiesen. Man führt die westlichen Akteure in ihrer Hilflosigkeit in Syrien quasi vor. Dadurch wird auch noch einmal der anti-amerikanische Effekt in der russischen Meinung verstärkt. Nach dem 30. September (Anm. d. Red.: offizieller Start der Intervention gegen den IS in Syrien) hat sich neuesten Umfragen zufolge nochmal das gegen die USA gerichtete Meinungsbild verstärkt, quasi nach dem Motto "wir zeigen es denen" in Syrien.
Was Assad betrifft, gibt es unterschiedliche Interpretationen – auch unter russischen Analysten. Viele weisen darauf hin, dass Putin nicht persönlich auf den Diktator fixiert sei; dass zwischen beiden kein sonderliches Sympathieverhältnis vorherrscht. Aber was der russische Präsident unablässig betont, ist eine Art Fixierung auf das Machtmonopol. Das heißt, er erachtet amtierende Regierungen als legitim, ob sie demokratisch sind oder nicht. Dies anzufechten ist in seinen Augen nicht legitim. Die Proteste gegen die legitimen Regierungen – wie etwa in der Ukraine auf dem Maidan – wird in russischen Medien als von westlichen Geheimdiensten gesteuert dargestellt. Auch die Proteste gegen Assad. Man unterstellt also westlichen Akteuren, jedes Regime, das ihnen nicht passt, durch Demokratieprojektion ausschalten zu wollen. Dagegen stellt sich Russland und wird auf diese Weise dann auch zu einer Anlehnungsmacht für angefochtene autoritäre Regime.
Bedeutet das zugleich, Putin unterstützt Diktatoren wie Assad, weil er selbst um seine Macht fürchtet?
Ja, sicherlich hat das auch einen Bezug auf seine eigene Machtposition. Das Verhältnis zum Westen hat sich bei Putin verändert insbesondere seit 2004, seit der orangen Revolution in der Ukraine. Es gab im postsowjetischen Raum eine Reihe von sogenannten Farbrevolutionen. Gegen irreguläre Machtwechsel hat Putin eine ausgesprochene Aversion entwickelt.
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