Das Bürgergeld ist umstritten. Immer wieder wird die Arbeitslosenhilfe zum Politikum, die Union etwa fordert seit der Einführung mehr Biss.
Es sollte die Sozialreform des Jahrzehnts werden – und die SPD endgültig von den ungeliebten Hartz-Gesetzen Anfang der 00er-Jahre reinwaschen. Doch auch das Bürgergeld bleibt umstritten.
"Ich finde den Namen Bürgergeld nach wie vor großartig. Was die Stigmatisierung angeht, hat sich aber nichts verändert", sagt Janina Lütt. Sie ist Armutsaktivistin, erhebt ihre Stimme auf Social Media und in den Medien, um auf die Situation Armutsbetroffener aufmerksam zu machen. Lütt war früher im Hartz-IV-Bezug, hat in Minijobs gearbeitet und versucht, sich durchzuschlagen. Bis es nicht mehr ging, weil ihre Psyche nicht mitgemacht hat. Lütt ist chronisch krank und deswegen arbeitsunfähig.
Neben Erwerbsminderungsrente bekommt sie die Grundsicherung, so wie 1,2 Millionen Menschen in Deutschland – am Ende hat Lütt im Monat so viel Geld zur Verfügung wie Bürgergeld-Empfangende. Der Unterschied: Menschen in der Grundsicherung kommen nicht in den Bürgergeld-Statistiken vor und es wird kein Fokus auf Qualifikation und Vermittlung gesetzt. Lütt setzt sich dennoch für alle Armutsbetroffenen ein.
Die Union als Oppositionspartei kritisiert das Bürgergeld seit der Einführung scharf. Mittlerweile haben die Christdemokraten ein eigenes Konzept zur Reform des Sozialstaates vorgelegt. Der Plan: Sollten CDU und CSU wieder die Regierung führen, soll das Bürgergeld abgeschafft werden. Die Erhöhung im Jahr 2024 sorgte ebenfalls für viel Diskussion.
Armutsbetroffene: Bürgergelderhöhung hat Stress verringert
Dabei hat die Erhöhung für Betroffene wie Lütt einen großen Unterschied gemacht. Vorher, sagt Lütt, habe das Geld wegen der Inflation nicht gereicht. Sie hätte damals mittels Amazon-Wunschlisten online um Sachspenden gebeten. Essen, Shampoo – und Bücher. "Das ist mein größter Luxus."
Aber: Geschenke können von der Grundsicherung abgezogen werden.
Auch Lütt wurde angeschwärzt. Offenbar hatte jemand die Wunschliste in ihrem X-Profil gefunden und dem Amt gemeldet. Doch sie hatte Glück, ihre Sachbearbeiterin war verständnisvoll – und nahm ihr das Versprechen ab, keine Wunschlisten mehr zu nutzen, sobald die Bürgergeld-Erhöhung umgesetzt ist. "Seit der Erhöhung der Sätze geht es mir besser. Ich habe weniger Stress und kann den Kühlschrank länger füllen", sagt Lütt.
Insgesamt erhalten in Deutschland etwa 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Das klingt viel, bedeutet aber nicht, dass 5,5 Millionen Menschen eigentlich arbeitsfähig wären und sich auf staatlichen Leistungen ausruhen – wie es teilweise suggeriert wird.
Wie sich die Gruppe der Bürgergeld-Bezieher zusammensetzt
Davon sind 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Etwa 20 Prozent der verbleibenden vier Millionen Bürgergeld-Beziehenden, also rund 800.000 Menschen, waren im vergangenen Jahr laut Sozialministerium sogenannte Aufstocker. Sie arbeiten also, der Lohn reicht aber nicht zum Leben. Weitere 40 Prozent stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil sie gerade in einer Weiterbildungsmaßnahme sind oder Angehörige pflegen.
Grundsätzlich steckt in der Gruppe der Bürgergeld-Beziehenden ein großes Fachkräftepotenzial, sagt Enzo Weber. Um dieses Potenzial zu nutzen, brauche es aber die richtigen Regeln und ausreichend Unterstützung von Seiten der Jobcenter.
Die Wirkung von Sanktionen
Weber leitet den Forschungsbereich "Prognosen und gesamtgesellschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Auch mit dem Bürgergeld hat er sich schon beschäftigt, kürzlich hat er eine Studie dazu herausgegeben.
Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt er: "Die Forschungsergebnisse zeigen: Sanktionen führen zu mehr Jobaufnahmen. Wenn sie verhängt werden bei den jeweiligen Personen. Aber auch im Vorhinein. Menschen passen ihr Verhalten an, bevor sie sanktioniert werden – eben auch, um nicht sanktioniert zu werden."
Mittlerweile hat die Ampel das Bürgergeld-Gesetz nachgeschärft: Bis zu zwei Monaten können ihnen die Jobcenter das Geld kürzen, etwa wenn sie ohne Angabe wichtiger Gründe nicht zu Terminen erscheinen.
Aus Sicht von Enzo Weber ist das sinnvoll. Aber: Sanktionen könnten Menschen auch in schlechtere Jobs mit wenig Perspektiven drücken. "Das kann dazu führen, dass Menschen das Vertrauen verlieren und sich irgendwann abwenden von der Jobsuche." Die aktuelle Debatte sei ein Wettlauf, wer die härteste Totalsanktion vorschlägt – auch das sei nicht günstig. Der Experte empfiehlt stattdessen, auf mildere Sanktionen über einen längeren Zeitraum zu setzen.
Wirtschaftswissenschaftler fordert nachhaltige Qualifizierung
Die Idee des Bürgergeldes war es, einen Fokus auf Qualifikation und nachhaltige Entwicklung zu setzen, statt möglichst schnell möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen. Weber fordert deshalb, dass diese Ziele nun auch umgesetzt werden müssten. Dafür brauche es Kapazitäten, in den einzelnen Fällen intensiv und verbindlich zusammenzuarbeiten. Wichtig sei auch, dass sich Arbeit für Bürgergeld-Beziehende finanziell lohnt.
Bislang sei es oft so, dass Sozialleistungen stark verringert würden, wenn man seine Arbeitszeit ausweitet. Könnten die Menschen mehr behalten, würde das einen Anreiz darstellen. Auch eine finanzielle Anschubhilfe im ersten Jahr könne helfen.
Es brauche aber auch eine Verbindlichkeit für Qualifizierungsmaßnahmen, wie es sie für Jobaufnahmen gibt. "Es wäre auch sinnvoll, Job und Qualifizierung stärker zu verbinden", sagt er. Die Erwerbslosen könnten dann bereits in Jobs vermittelt werden und parallel gemeinsam mit dem neuen Arbeitgeber in die Qualifizierung starten. Dafür brauchen die Jobcenter aber ausreichend Personal – und das kostet.
Immer wieder gibt es Vorschläge, am Bürgergeld zu sparen. Seit die Ampel in Haushaltsnöte geraten ist, trägt auch die FDP zur Sozial-Spar-Debatte bei. So forderte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, die geplante Erhöhung auszusetzen.
Dass von Seiten der Politik immer wieder versucht werde an Armutsbetroffenen zu sparen, ist für Aktivistin Lütt unerklärlich. Sie sagt: "Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Es darf nicht Schutzsuchende gegen Rentner gegen Erwerbslose gegen Kranke heißen."
Die Bürgergeldreform hätte die Chance gehabt, vieles zu verbessern, meint sie. Doch die Diskussionen, die bereits im Vorfeld aufgebrochen sind, hätten es Armutsbetroffenen schwer gemacht, sich von dem Stigma zu lösen. "Im Zweifel heißt es immer noch drauf auf die Bürgergeld- und Grundsicherungsempfänger."
Wie sich das Bürgergeld auf die Lohnarbeit auswirkt
Prinzipiell gilt: Arbeit lohnt sich. Das ergeben verschiedene Berechnungen, etwa die des Politikwissenschaftlers Eric Seils. Seils forscht am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Laut der Berechnung hätten Alleinstehende, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, pro Monat ein um 532 Euro höheres Nettoeinkommen als alleinstehende Bürgergeld-Beziehende.
Auch bei anderen Haushaltskonstellationen gehen Arbeitende mit einem Plus gegenüber Bürgergeld-Beziehenden aus der Rechnung heraus.
Was sich nicht bewahrheitet hat: Die Sorge der CDU, dass immer mehr Menschen ihren Job kündigen, um stattdessen Bürgergeld zu beziehen. "Die Neuzugänge ins Bürgergeld aus einer Beschäftigung liegen so niedrig wie noch nie", sagt IAB-Experte Weber.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Armutsaktivistin Janina Lütt
- Gespräch mit Arbeitsmarktforscher Enzo Weber
- Merkblatt des Sozialverbands zur Grundsicherung
- Faktencheck Bürgergeld des Arbeits- und Sozialministeriums
- Tagesschau.de: „Debatte über Bürgergeld nimmt Fahrt auf“
- Studie zur Arbeitsmarktentwicklung von Enzo Weber
- Berechnungen des WSI zum Lohnabstand
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