Jahrelang war Uli Grötsch selbst Polizist. Nun soll der SPD-Politiker als Bundespolizeibeauftragter Polizistinnen und Polizisten auf die Finger schauen – und gleichzeitig auch Ansprechpartner für sie sein. Ein Gespräch darüber, ob diese Doppelrolle sinnvoll ist und ob die Polizei durch den Bundespolizeibeauftragten transparenter wird.
Politik ist nicht nur ein kompliziertes, sondern oft auch ein sehr träges Geschäft. Denn selbst wenn das Ziel klar ist: Bis es erreicht ist, dauert es meist doch länger, als es den meisten Menschen lieb wäre. Der SPD-Politiker Uli Grötsch weiß das – und hat es auch am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Bereits seit Anfang 2023 war Grötsch als erster Bundespolizeibeauftragter Deutschlands im Gespräch. Doch es sollte bis März 2024 dauern, bis der Ex-Polizist tatsächlich in das Amt starten konnte. Nun soll er für das Parlament die Polizeien des Bundes, – also die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei des Bundestages – überwachen und gleichzeitig Bürgerrechte stärken.
Große Aufgaben. Doch während des Interviews zeigt sich Grötsch selbstsicher, etwas bewirken zu können.
Herr Grötsch, wozu braucht es einen Polizeibeauftragten des Bundes?
Uli Grötsch: Ich bin dafür da, strukturelle Fehlentwicklungen bei den Polizeien des Bundes zu erkennen und daran mitzuwirken, dass sie behoben werden. Außerdem bin ich eine Ansprechstelle für Polizeibeschäftigte und Bürgerinnen und Bürger diesbezüglich. Also für Fehlentwicklungen innerhalb der Bundespolizeien, aber auch Fehlverhalten durch Polizeibeschäftigte gegenüber Bürgern.
Der Posten wurde neu geschaffen und Sie sind erst seit einigen Wochen im Amt. Welche Herausforderungen stehen Ihnen aktuell bevor?
Wir befinden uns noch in der Aufbauphase. Wir stellen die Struktur des Amtes und wie wir an den damit verknüpften Themen künftig arbeiten gerade erst her. Aber die größte Herausforderung der nächsten fünf Jahre ist es vor allem, Vertrauen zu gewinnen. Vertrauen in meine Person und meine Arbeitsweise gegenüber den Polizeien und der Bevölkerung. Die Leute müssen darauf vertrauen können, dass es sinnvoll ist, sich an mich zu wenden.
Schon jetzt wird nur ein Bruchteil der Beschwerden gegen Polizistinnen und Polizisten tatsächlich eingereicht. Gerade besonders häufig betroffene Communitys wie etwa Migranten geben nur selten Beschwerden ab. Werden Sie aktiv auf die Suche nach Betroffenen gehen?
Ja. Auch das hat mit Vertrauen zu tun. Diese Communitys müssen mich kennen, damit sie sich an mich wenden. Ein Gesetz allein reicht da nicht. Deswegen versuche ich schon jetzt, mich mit ihnen zu vernetzen und treffe mich mit Vertretern.
Werden wir mal konkret: Jemand meldet sich bei Ihnen, weil er sich von der Polizei unrechtmäßig behandelt fühlt. Was tun Sie dann?
Konkret prüfen wir zwei Dinge: Fühlt sich die Person von einer Polizei des Bundes unrechtmäßig behandelt und liegt der Zeitpunkt des möglichen Fehlverhaltens nicht länger als sechs Monate in der Vergangenheit? Wenn beides zutrifft, eröffnen wir ein Verfahren. Dabei sammeln wir etwa Informationen von dem Betroffenen und weisen ihn auf seine Rechte hin. Ich kann zum Beispiel Anonymität zusichern. Außerdem fahren wir zu den betreffenden Dienststellen und führen Befragungen durch.
Und wenn sich die Beschuldigung als glaubwürdig herausstellt?
Wenn nach meiner Einschätzung eine strafrechtlich relevante Handlung wie Körperverletzung oder Nötigung im Raum steht, weise ich die betroffene Person darauf hin. Sollte er oder sie sich dazu entscheiden, eine Anzeige zu stellen, ist der Fall nicht nur eine Sache für den Polizeibeauftragten, sondern auch für die Staatsanwaltschaft und womöglich für Disziplinarbehörden.
Selbst wenn Betroffene Polizisten anzeigen, sagen Forscher: Diese laufen in den allermeisten Fällen ins Leere. Zudem hat die Polizei im Strafverfahren eine bessere Position, weil sie mit allen relevanten Institutionen zusammenarbeitet. Können Sie Betroffenen hier aktiv Hilfestellung geben?
Nein, durch ein Strafverfahren begleiten kann ich nicht. Das ist Sache von Rechtsanwälten. Meine Aufgabe ist herauszufinden: Ist der Sachverhalt so, wie von dem Betroffenen geschildert, abgelaufen? Wenn ja, wie konnte es dazu kommen und was muss passieren, damit so etwas nicht mehr passiert? Das sind die Fragen, die ich gemeinsam mit der Wissenschaft beantworten möchte – und auch werde.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPoIG) befürchtet, Ihr Amt könnte eine Art Paralleljustiz aufbauen. Denn als politischer Beamter haben Sie auch Ermittlungskompetenzen. Was sagen Sie dazu?
Meine Ermittlungen sind Teil eines politischen Verfahrens, an dessen Ende die Klärung des Sachverhalts und eine politische Bewertung steht. Aber meine Einschätzung ist völlig getrennt von Straf- oder auch Disziplinarverfahren. Wenn ich etwa zu dem Schluss komme, die Polizei hätte eine strafbare Handlung vollzogen, aber eine Staatsanwaltschaft sieht das anders, dann hat meine Einschätzung keine strafrechtlichen Konsequenzen. Es gibt also keine parallele Justiz.
Sie sind auch Ansprechpartner der Polizei. Braucht es wirklich ein weiteres politisches Ohr für Polizeibelange? Das gibt es doch in jedem Bundesland – man nennt es Innenminister.
Ja, das braucht es. Natürlich vertreten die Behördenleitungen die Interessen der Beamtinnen und Beamten gegenüber dem Parlament. Aber ich stehe außerhalb des Dienstweges und außerhalb der behördlichen Strukturen. Das unterscheidet mich von den Ansprechpartnern, die es jetzt schon gibt. Und die Erfahrung aus den Bundesländern und aus anderen Ländern in Europa zeigt: Polizeibeauftragte oder vergleichbare Institutionen haben sich bewährt.
Sie wollen Ihr Amt auch nicht "konfrontativ" angehen. Ist das der richtige Ansatz für eine unabhängige Kontrolle der Polizei?
Ich glaube, dass man Probleme und Defizite bei der Polizei nur kooperativ lösen kann. Ich höre auch aus den Gewerkschaften und der Polizei selbst, dass es viel Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit gibt.
Mit Verlaub: Die Polizei nett zu bitten, Fehler aufzuarbeiten, hat bislang nicht besonders gut funktioniert.
Es geht auch nicht darum, "bitte, bitte" zu sagen. Deswegen sage ich auch: Mein kooperativer Ansatz gilt nur, solange ich damit etwas bewirken kann. Wenn ich merke, dass ich gegen Mauern renne, werde ich auch von meinen Befugnissen Gebrauch machen. Der Bundestag hat mir etwa das Recht, Dienststellen jederzeit betreten zu dürfen, und eine Auskunftspflicht der Polizei eingeräumt.
Die Polizei wehrt sich seit Jahren vehement, sich von Außenstehenden systematisch in die Karten schauen zu lassen. Glauben Sie, dass Sie diesen Widerstand tatsächlich aufbrechen können?
Ich sehe mich als Lobbyist für die Beschäftigten bei den Polizeien – im besten Sinne. Das Parlament und ich als Polizeibeauftragter sind nicht der Feind der Polizei – ganz im Gegenteil! Diese Mentalität zu vermitteln, darum geht es mir. Dass man einander anerkennt und zusammen an den Problemen arbeitet. Mir ist dahingehend auch eine enge Vernetzung mit der Wissenschaft wichtig. Es gibt viele Forscher, wie etwa Tobias Singelnstein, Hartmut Aden, Jonas Botta und andere, die seit vielen Jahren an diesem Thema arbeiten. Deren Expertise will ich in meine Arbeit einfließen lassen.
Auch aufgrund von mangelnden Studien diskutieren wir in Deutschland, wenn Fehlverhalten der Polizei publik wird, immer wieder: Sind das jetzt Einzelfälle oder systematische Missstände. Wissen wir nach Ihrer Amtszeit endlich mit Sicherheit, was denn nun stimmt?
Ja. Für die Polizei des Bundes, für dich ich zuständig bin, werde ich diese Frage definitiv beantworten.
Über den Gesprächspartner:
- Uli Grötsch wurde 1975 in Weiden in der Oberpfalz geboren. Nach seinem Schulabschluss ging er 1992 zur Polizei, wo er unter anderem für die Bereitschafts- als auch die Grenzpolizei im Einsatz war. Zudem ist Grötsch Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Seit 1994 ist er Mitglied der SPD, ab 2013 saß er für die Partei im Bundestag. Am 15. März 2024 wurde er zum Bundespolizeibeauftragten ernannt und legte für das Amt sein Bundestagsmandat nieder.
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