Das mutmaßlich islamistische Attentat in Solingen hat die Debatte um Flucht, Migration und Asyl erneut losgetreten. CDU-Chef Friedrich Merz hat die Chance, sich selbst als Macher zu präsentieren, nicht verstreichen lassen und Olaf Scholz einen Vorschlag zur Zusammenarbeit unterbreitet – doch der Kanzler hat das Angebot abgelehnt.

Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Rebecca Sawicki und Marie-Christine Sandler dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das individuelle Recht auf Asyl wird unter Olaf Scholz (SPD) nicht angetastet. Das hat der Bundeskanzler noch einmal klargemacht. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hatte ihm eine gemeinsame Neuausrichtung der Migrationspolitik vorgeschlagen – notfalls auch an den Koalitionspartnern Grüne und FDP vorbei.

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Innerhalb der Koalition sorgt Merz' Vorstoß für Entrüstung. Gemeinsame Sache des Kanzlers mit der Opposition hinter dem Rücken seiner Regierung käme einem Koalitionsbruch gleich. Das Attentat von Solingen und die Debatte um Flucht und Asyl beschäftigen aktuell dennoch das ganze Land. Sollte Scholz also doch auf den Vorschlag des Oppositionsführers eingehen und gemeinsame Sache machen?

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Pro: Kanzler muss Merz' ausgestreckte Hand ergreifen

Von Rebecca Sawicki

Olaf Scholz (SPD) sollte sich in der aktuellen Situation nicht generell gegen die Pläne von CDU-Chef Friedrich Merz stellen. Klar, ein Bundeskanzler kann nicht einfach gemeinsame Sache mit dem Oppositionschef machen und den Rest seiner Koalition vor den Kopf stoßen. Das soll er auch nicht.

SPD und Grüne sind von Merz Plänen wenig angetan. Auch der Kanzler erteilt dem konkreten Vorschlag eine Absage. Völlig zurecht: Das individuelle Recht auf Asyl darf nicht abgeschafft, Menschen aus Syrien und Afghanistan nicht aus Prinzip abgewiesen werden. Das ist aus humanitären wie auch aus rechtlichen Gründen (Stichwort Genfer Flüchtlingskonvention) wohl kaum möglich. Diese Staaten als sichere Länder zu verstehen, gleicht blankem Hohn.

Kanzler und Ampel müssen den Vorstoß von Merz dennoch nutzen: Er öffnet einen Korridor der politischen Debatte. Natürlich muss über Migration gesprochen werden. Natürlich muss auch über straffällige Schutzsuchende gesprochen werden. In einer offenen gemeinsamen Diskussion der Ampel mit der größten Oppositionspartei besteht zumindest die Hoffnung, dass diese Debatte nicht in populistischen Parolen endet – und so wieder einmal vor allem der AfD in die Finger spielt.

Letztlich handelt es sich auch um ein Versagen des deutschen Umgangs mit Asyl. Wir brauchen sichere Möglichkeiten zur Flucht, adäquate Unterbringungen, engmaschige und frühzeitige Integrationsarbeit und Perspektiven für die Zukunft dieser Menschen. So bekämen traumatisierte Menschen schnelle Hilfe und jene, die im Verdacht stehen, eine Straftat begehen zu können, würden womöglich früher auffallen – oder gar nicht erst in eine solche Lage geraten. Die aktuelle Handhabe wird jenen, die zu uns kommen, um Schutz zu suchen, nicht gerecht.

Merz hat recht: Nicht kritisch darüber zu sprechen und das Thema Asyl der AfD zu überlassen, ist keine Lösung. Wenn Ampel und Union eine Allianz schmieden und dabei Humanität in den Mittelpunkt rücken, wäre das ein guter erster Schritt. Für Lösungen, die am Ende sowohl den Schutzsuchenden als auch der Bevölkerung in Deutschland gerecht werden, braucht es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Das geht nur gemeinsam. Scholz muss Merz' ausgestreckte Hand ergreifen.

Kontra: Scholz darf sich nicht auf Merz' Deal einlassen

Von Marie-Christine Sandler

Friedrich Merz dürfe am Dienstag zufrieden zu Bett gegangen sein. Er hat die Gunst der Stunde nach dem islamistischen Attentat von Solingen genutzt. Sein Vorstoß zu einer Zusammenarbeit zwischen Union und SPD in Sachen Migration beherrschte von morgens bis abends die Schlagzeilen. Er hat Olaf Scholz kompletten Kontrollverlust attestiert ("Dem Kanzler entgleitet das eigene Land") und sich als denjenigen präsentiert, der Deutschland aus dem migrationspolitischen Schlamassel heraushelfen kann, in das die Regierung Merkel das Land in enger Zusammenarbeit mit der Ampel hineinmanövriert hat.

Während Scholz sich nach dem Treffen nicht öffentlich äußerte, legte Merz ausführlich seine scharfen Vorschläge dar. Schweige-Scholz gegen Merz, den Macher – überflüssig zu erwähnen, wer sich den Punkt geholt hat.

Würde sich der Kanzler auf Merz' Deal einlassen und an seinen Koalitionspartner vorbei gemeinsame Sache mit der Opposition machen, wäre das Match vollends entschieden. Denn die Grünen würden sich eine solche Demütigung sicher nicht einfach gefallen lassen. Es wäre das Ende der Ampel-Koalition und das Ende von Scholz' Kanzlerschaft.

Anstatt sich mit Merz herumzuschlagen, der zur Lösung des Migrationsproblems im Zweifel sogar das Individualrecht auf Asyl aus dem Grundgesetz streichen will, sollte Scholz zur Abwechslung mal tun, wofür er bezahlt wird: führen. Bemühungen von SPD-Innenministerin Faeser, insbesondere Straftäter aus Afghanistan und Syrien in Zusammenarbeit mit deren Nachbarländern abzuschieben, torpediert bislang das Grünen-geführte Außenministerium. Beim Messerverbot stellt sich die FDP quer. Und der Kanzler? Lässt sie gewähren.

Das muss sich ändern. Denn in mindestens einem Punkt hat Merz uneingeschränkt recht: Untätigkeit und Schweigen sind die beste Wahlwerbung für die AfD. Wie können wir Schutzbedürftigen human und Gewaltbereiten mit Härte begegnen? Wie mit der Unterbringung überforderte Kommunen unterstützen? Was wollen wir uns Einwanderung kosten lassen? Diese Fragen sollte das Land neu diskutieren und beantworten – gerne auch mit der Union. Merz' Aufforderung zum Koalitionsbruch muss man deswegen noch lange nicht nachkommen.

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