Die Grünen sind zum Prügelknaben der Nation geworden. Zuletzt kämpfte die Partei sogar mit sich selbst. Vor der Bundestagswahl will man nun in den Angriffsmodus umschalten, sagt Katharina Schulze. Doch wie soll das gelingen?
Seit 2023 gibt es für die Grünen nur einen Weg: nach unten. Eine Wahlschlappe reiht sich an die andere. Das bekam auch
Nicht mal ein Jahr vor der Bundestagswahl suchen die Grünen jetzt nach einer Strategie, um sich aus der Misere herauszuarbeiten. Dazu gehört laut Schulze auch, sich künftig von der Konkurrenz nicht mehr alles gefallen zu lassen – und trotzdem kompromissfähig zu bleiben.
Frau Schulze, die bayerischen Grünen haben sich auf ihrem Parteitag mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 demonstrativ Zuversicht verordnet. Gibt es dazu aktuell Anlass?
Um es mit einer Sportanalogie zu sagen: Wenn Trainer und Mannschaft den Kopf in den Sand stecken, dann wird man das Derby nie gewinnen. Wir haben zuletzt den Kopf hängen lassen. Aber mit Blick auf die Bundestagswahl gilt es, jetzt zuversichtlich nach vorne zu gehen.
Wenn Sie sagen, die Partei hätte den Kopf hängen lassen: Woran machen Sie das fest?
An den Rückmeldungen der Mitglieder. In den Wahlkämpfen wurde teils massiv verbal auf uns eingeprügelt. Viele brauchten deshalb Zeit, um einmal durchzuschnaufen. Kopf in den Sand war gestern – mit der Veränderung an der Parteispitze ist jetzt Aufbruchstimmung aufgekommen.
Ihre Partei versucht, den Rücktritt von
Dass unser Bundesvorstand Verantwortung übernimmt in Zeiten, in denen immer weniger Politiker Verantwortung übernehmen, wenn es nicht gut läuft, dafür habe ich höchsten Respekt. Für die CSU ging es unter
Trotzdem wirkt es, als würde der Trainer rausgeworfen, weil die Mannschaft schlecht spielt. Derweil steht
Ich bin froh, dass Robert Habeck unser Wirtschaftsminister ist. Dank ihm sanken die Energiepreise nach dem Überfall Russlands wieder. Die jüngste Prognose des Internationalen Währungsfonds zeigt zudem, dass die konjunkturellen Probleme auch aus strukturellen Krisen in Deutschland herrühren. Dass wir etwa bei der Modernisierung, der Entbürokratisierung und der Digitalisierung massiv hinterherhinken, hat nicht Robert Habeck zu verantworten – sondern die Vorgängerregierungen. Er arbeitet daran, den Problemberg abzutragen. Dazu kommt, dass Herr Lindner an der Schuldenbremse festhält, als gäbe es kein Morgen – und damit wichtige Zukunftsinvestitionen blockiert.
Ein echter Neustart sieht aber trotzdem anders aus, oder?
Wir organisieren doch gerade als Partei den Neustart. Ich freue mich sehr, dass sich auf dem Parteitag im November Felix Banaszak und Franziska Brantner als neue Vorsitzende bewerben. Beide halte ich für sehr fähig. Mit Blick auf die Bundestagswahl müssen wir prägnanter und angriffslustiger werden.
Was meinen Sie mit angriffslustiger?
Wir hatten als Partei lange die Haltung: Wenn die Mitbewerber in den Populismus abdriften, fangen wir das über inhaltliche Diskussionen auf, nach dem Motto: Mei, den Quatsch wird doch eh niemand ernst nehmen, wir konzentrieren uns auf unsere Themen. Aber Inhalte werden momentan leider nicht so stark wahrgenommen, wie wenn etwa die CSU neue Aufreger über uns wortwörtlich erfindet, wie das vermeintliche Haustierverbot beispielsweise. Sie sollte sich also klar werden, ob sie unter Markus Söder zu den deutschen Trump-Republikanern werden will – oder ob sie anständige Konservative sind. Wir werden uns das künftig nicht mehr gefallen lassen und klar Stopp zu solchen Angriffen sagen.
Bei den Grünen gab es zuletzt auch intern Zwist. Der Vorstand der Grünen Bundesjugend und der in Bayern ist aus Protest aus der Partei ausgetreten. Man könne den aktuellen Kurs nicht mehr mittragen, hieß es. Opfern die Grünen grade ihren Idealismus, um mitzuregieren?
Was die Grüne Jugend angeht: Da gab es jetzt ein reinigendes Gewitter. Der Großteil der Mitglieder hat sich den Rücktritten nicht angeschlossen. Natürlich kann eine Jugendorganisation die Mutterpartei anstacheln. Sie sollte aber auch mit ihr zusammen um Wählerstimmen kämpfen. Ein harter, inhaltlicher Austausch ist gut. Aber ohne eine Mehrheit kannst du gar nichts gestalten – und musst mit der Politik zurechtkommen, die dann andere für dich machen.
Bei der Migrationspolitik trägt Ihre Partei in der Ampel Maßnahmen mit, die früher höchstens Horst Seehofer goutiert hätte. Daran stört man sich nicht nur in der Jugendorganisation.
Über das Thema Migration haben wir auch auf unserem bayerischen Parteitag debattiert. Mit der klaren Haltung, dass wir zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) stehen. Wir setzen uns schon seit Jahrzehnten dafür ein, dass die Verteilung der Migrantinnen und Migranten in der EU gerechter werden muss. Wir sehen aber auch, dass viele Kommunen überlastet sind und dringend Unterstützung brauchen. Geflüchtete, die hier sind, müssen schneller arbeiten dürfen. Aber wenn Menschen hier nach der Prüfung kein Asyl bekommen oder islamistische Straftäter sind – dann müssen sie gehen. Mit dieser Positionierung schlafe ich nachts sehr gut.
Selbst beim Klimaschutz hieß es aus Ihrer Partei zuletzt, man hätte zu schnell zu viel gewollt – obwohl die Grünen auch da zahlreiche Kröten schlucken mussten. Klingt nach Resignation.
Von wegen! Vom Heizungsgesetz haben wir Grüne zwar Blessuren davongetragen, aber trotzdem ist es ein massiver Schritt für den Klimaschutz. Wir haben auch dafür gesorgt, dass mehr Geld in Schienen als in die Straßen gesteckt wird und den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt. Wenn die zwei anderen Regierungspartner keinerlei Ambitionen in dem Bereich haben, kann sich das sehen lassen. Wir haben im Bund 14,7 und nicht 100 Prozent. Es gilt, Kompromisse zu schließen.
Kompromissfähigkeit in allen Ehren, aber man sieht ja, dass die Grünen davon nicht profitieren. Jetzt will die Partei noch stärker in die Mitte rücken. Droht da nicht der Verlust der Identität?
Wir sind schon längst eine Partei der Mitte für die Breite der Gesellschaft. Sie können die heutigen Grünen doch nicht mit denen von vor 30 Jahren vergleichen. Uns jetzt vorzuwerfen, weil wir die Probleme da draußen lösen wollen, würden wir unsere Positionen verraten, ist schon ein bisschen wohlfeil. Das Schlimmere wäre doch, wenn wir uns einbetonieren und uns nicht weiterentwickeln. Unser Wertefundament – Demokratie verteidigen, Klima schützen, soziale Fragen anpacken – bleibt dabei doch stabil.
Sie werfen der Union vor, die Grünen mit falschen Fakten anzugreifen. Wenn ihre Partei aus der Defensive herauskommen will – müssten sie dann nicht sagen: Mit dieser Union wollen wir nicht zusammenarbeiten?
Es ist strategisch unklug, wenn man andere demokratische Parteien von vorn hinein ausschließt. Was hat es der Union gebracht? Im Osten hat sie mit dem BSW jetzt einen ungewollten Partner, mit direktem Draht nach Russland. Dazu erstarken seit Jahren die Rechtsextremen. In so schwierigen Zeiten müssen Demokratinnen und Demokraten immer gesprächsbereit sein und schauen, wie man gemeinsam das Beste für das Land erreicht.
Zur Gesprächspartnerin:
- Katharina Schulze ist seit 2017 Fraktionsvorsitzende Grünen im Bayerischen Landtag. Seit 2013 vertritt sie den Stimmkreis München-Milbertshofen im Parlament, seit 2018 ist sie direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises. Im Landtagswahlkampf 2023 war sie Spitzenkandidatin der Grünen und hat mit ihnen 14,4 Prozent der Stimmen geholt. Ihre Kernkompetenz sieht sie in der Innenpolitik. Zudem ist Schulze stellvertretende Vorsitzende der G 10-Kommission sowie Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium.
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