Sehr knapp fiel das Ergebnis aus - und schreckte Politik und Wirtschaft auf. Die Schweizer stimmen für eine Begrenzung der Zuwanderung in ihr Land. Warum fiel das Ergebnis so aus? Dürfen wir bald nicht mehr in der Schweiz arbeiten? Unser Portal klärt die wichtigsten Fragen.
Warum hatte die Initiative Erfolg?
Das Ergebnis war für viele eine Überraschung. Medien, Wirtschaft und politische Vertreter warnten die Schweizer Bürger vor dem Votum eindringlich: Ein "Ja" könne negative Folgen für das Land haben. Der Wirtschaftsdachverband "economiesuisse" hat deswegen angekündigt, die Gründe für die Zustimmung genau zu analysieren.
So viel ist allerdings klar: Aktuell liegt der Ausländeranteil in der Schweiz bei 23,3 Prozent, in Deutschland sind es nur 8,2 Prozent. Viele Schweizer fühlen sich durch die starke Zuwanderung in den vergangenen Jahren von der erhöhten Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bedroht. Auch die "Zubetonierung" der Landschaft durch neue Immobilien und Stau auf den Straßen waren Argumente in der Kampagne der Befürworter.
Andererseits zeigte sich: Je niedriger der Ausländeranteil in der Region war, desto höher war die Zustimmung zur Initiative. Ausnahmen sind nur die Kantone Tessin und Schaffhausen.
Ab wann gilt der Masseneinwanderungs-Stopp?
Die Schweizer Regierung hat nach dem Entscheid drei Jahre Zeit, die Initiative umzusetzen. Obwohl die Schweiz der Europäischen Union nicht angehört, hat sie mit den bilateralen Verträgen dieselben Rechte und Pflichten wie EU-Staaten. Dazu gehört auch die Personenfreizügigkeit, die jedem EU-Bürger die freie Wahl über Wohn- und Arbeitsort innerhalb der Staatengemeinschaft zusichert. Daher muss die Schweiz innerhalb der nächsten drei Jahre neue Verträge mit der EU verhandeln oder sie kündigen.
Die konservative Partei SVP, die die Initiative ins Rollen gebracht hat, will die Zahl von Ausländern in der Schweiz künftig durch Kontingente begrenzen. Neben dem Schaden für Wirtschaft und Wohlstand fürchten viele Gegner ein Übermaß an Bürokratie, die eine solche Regelung erfordert und beispielsweise gut ausgebildete Fachkräfte von der Einwanderung abschrecken könnte.
Was bedeutet das Votum für die Wirtschaft?
Die Schweizer Wirtschaft kooperiert eng mit den EU-Ländern: 58 Prozent der Exporte gehen in den EU-Raum, so die Angaben der Eidgenössischen Zollverwaltung. Bei den Importen sind es sogar 76 Prozent, die aus der EU kommen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner. Dabei profitieren die Eidgenossen auch vom freien Warenverkehr, die das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU festlegt. Ebenso sind viele Teile der Industrie von ausländischen Fachkräften abhängig.
Die Europäische Union sieht aber durch das Votum die errungene Freizügigkeit bedroht. Auch wenn sie den wichtigen Partner nicht verlieren will: Großen Verhandlungsspielraum mit der Schweiz hat die EU nicht, um nicht einen Präzedenzfall von Ausnahmen und Privilegien zu schaffen. Mit der sogenannten "Guillotine-Klausel" sind die bilateralen Verträge miteinander verbunden, das heißt die Schweiz kann nicht einzelne Teile davon aufkündigen.
Welche Folgen hat das Votum für den Tourismus?
Die reisefreudigen Deutschen sind mit Abstand die wichtigste Zielgruppe für den Tourismus in der Alpenrepublik. 4,6 Millionen Übernachtungen von deutschen Gästen zählte das Schweizer Bundesamt für Statistik im Jahr 2012 - mehr als die nachfolgenden Briten, US-Amerikaner und Franzosen zusammen. Mit Werbekampagnen wollte die bedeutende, aber nach der Eurokrise schwächelnde Branche eigentlich noch mehr Urlauber aus dem Nachbarland anlocken.
Bereits im April 2012 annullierten viele Deutsche ihren Schweiz-Urlaub, nachdem die SVP-Nationalrätin Natalie Rickli in einer Fernsehsendung sagte, es gebe zu viele Einwanderer aus Deutschland. Kein Wunder, dass der Schweizer Tourismusverband deswegen die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in einer Stellungnahme bedauert: "Es ist zu befürchten, dass das Image der Schweiz – gerade als Tourismusland – leiden wird", heißt es dort.
Welche Folgen hat der Schweizer Entscheid für Europa?
Vor allem rechtspopulistische Bewegungen in Europa fühlen sich durch das Schweizer Votum bestärkt. Der niederländische Skandal-Politiker Geert Wilders twitterte: "Was die Schweizer können, das können wir auch. Immigration stoppen und raus aus der EU! Quoten für die Migranten. Phantastisch!" Seine französische Schwester im Geiste, Marine Le Pen, äußerte sich beim Radiosender Europe 1 ähnlich: "Ich wünschte, wir würden den Schweizern folgen."
Auch im traditionell europaskeptischen Großbritannien gibt es eine breite Stimmung gegen Einwanderung, gerade aus Ländern wie Rumänien oder Bulgarien. In Deutschland sehen sich Strömungen wie die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) von dem eidgenössischen Votum bestätigt. "Unabhängig vom Inhalt des Schweizer Referendums ist auch in Deutschland ein Zuwanderungsrecht zu schaffen, das auf Qualifikation und Integrationsfähigkeit der Zuwanderer abstellt und eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wirksam unterbindet", forderte AfD-Chef Bernd Lucke.
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