Beim Bürokratieabbau kommt Deutschland nur schleppend voran. Jetzt nimmt die Ampel einen neuen Anlauf. Doch Experten zweifeln am Erfolg. Was tun?
Bundesjustizminister
"Wir werden mehr hinbekommen als Vorgängerregierungen", verspricht Buschmann. Doch auch er weiß: "Es muss noch mehr kommen".
Bürokratieabbau: Regierung bekommt Unterstützung
Bürokratieabbau: Ein sperriges Wort, das schon viele Regierungen beschäftigt hat. Ausweis- und Dokumentationspflichten, langwierige Genehmigungs- und Planungsverfahren – das sind nur einige der Klassiker. Ein Wust aus Vorschriften, Gesetzen, Verordnungen, dem scheinbar nicht beizukommen ist. Dabei gibt es in Deutschland seit 2006 den Normenkontrollrat, ein unabhängiges Gremium, das die Bundesregierung beim Bürokratieabbau berät.
Warum geht es trotzdem nur schleppend voran?
Klaus-Heiner Röhl kennt die Antwort. Er ist Forscher am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und sagt: Es kommen zwei Dinge zusammen. Zum einen der politische Gestaltungswille, der zu immer neuen Gesetzen führt. Und zum anderen die Tendenz von Verwaltungen, sich selbst auszudehnen, also immer mehr Verwaltung zu schaffen. Von einem "unguten Gemenge" spricht Röhl im Telefonat mit unserer Redaktion.
Bürokratie verschlimmert die Wohnungsnot
Dass diese Sichtweise nicht aus der Luft gegriffen ist, lässt sich beim Wohnungsbau beobachten, ein Thema, das besonders dringend ist. In Deutschland fehlen bis zu 700.000 Wohnungen, Tendenz steigend. Vor allem preiswerter Wohnraum ist Mangelware. Es müsste also mehr, schneller und einfacher gebaut werden. Nur: Das ist in Deutschland gar nicht so einfach.
Die Bauwirtschaft klagt darüber, dass es allein 16 Länder-Bauverordnungen gibt. Wenn für jedes Bundesland aber andere Regelungen gelten, treibt das die Kosten. Und verschärft somit die Wohnungsnot. Auch an anderer Stelle sorgen aufwendige Regeln für Ärger in der Wirtschaft.
Pläne der Regierung: Forscher sieht viel "klein-klein"
IW-Ökonom Röhl findet es richtig, dass die Regierung das Thema Bürokratieabbau angeht. Oder es zumindest versucht. An den großen, durchschlagenden Erfolg wie Justizminister Buschmann glaubt er aber nicht. Von den anvisierten 2,3 Milliarden Euro Erleichterung entfalle das meiste auf die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege, die von zehn auf acht Jahre verkürzt werden soll. Das sei gut, aber: "Der Rest ist klein-klein", sagt Röhl.
Ein Problem in Deutschland aus Sicht des Forschers: Berlin. Auf Bundesebene gebe es riesige Ministerien. Und ein Silodenken. "Jedes Ministerium macht sein Ding und schaut nicht, was die anderen machen", so Röhl.
Damit unterläuft die Regierung mitunter ihre eigenen Ziele beim Bürokratieabbau. Beispiel Kindergrundsicherung: Der Normenkontrollrat schreibt in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf, die der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt, dass sich Bedürftige "künftig an bis zu fünf Stellen" wenden müssten, um Leistungen zu beziehen. Dabei sollte doch alles einfacher werden.
Warum Bürokratie auch Vorteile hat
Nun ist es nicht so, dass Bürokratie immer schlecht ist. Sie sorgt auch dafür, dass Standards eingehalten werden, etwa beim Umweltschutz. Oder dass Verbraucher Unternehmen nicht als schutzlose Konsumenten ausgeliefert sind oder Arbeitnehmer sich alles gefallen lassen müssen. "Man kann alles gut begründen", sagt IW-Experte Röhl.
Es bleibt die Frage nach der Balance.
Beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hält man etwa die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn für überzogen. Der Grundgedanke dabei war, dass der Mindestlohn nicht durch unbezahlte Überstunden umgangen werden sollte. Ökonom Röhl meint, dass das nicht nötig ist. Dafür ist der Arbeitsmarkt zu gut. "Die Leute würden einfach den Job wechseln", sagt er.
Unzweifelhaft ist, dass die Kosten, die mit staatlichen Regelungen verbunden sind, in den letzten Jahren immer weiter gestiegen sind. Das hat auch der Normenkontrollrat festgestellt.
Bürokratieabbau: Woran sich Deutschland orientieren kann
Der komplexe Staatsaufbau aus Bund, Ländern und Kommunen macht es schwer, das Dickicht an Vorschriften zu lichten. Hinzu kommt die Regulierungsebene EU. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, Dinge anders, einfacher zu machen. Röhl verweist auf Österreich – ein Land, das ähnlich aufgebaut ist wie Deutschland, wo Bund und Länder aber besser kooperierten. Dort sei es, um ein Beispiel zu nennen, seit vielen Jahren schon möglich, ein Unternehmen online zu gründen.
Auch die skandinavischen Länder und die Niederlande seien "erheblich bürokratieärmer aufgestellt", wie Röhl es ausdrückt.
Am Beispiel Wohnungsbau zeigt sich, wie eine Lösung für Deutschland aussehen könnte. So wäre es denkbar, dass sich Bund und Länder auf eine Bauverordnung einigen. Oder die Länder in den Wettbewerb um die beste, günstigste Lösung treten. Und die dann als Benchmark für alle dient. Das wäre auch in anderen Bereichen möglich. Doch beides passiert nicht – weder Kooperation noch Wettbewerb. "Wir leben also gewissermaßen in der schlechtesten aller Welten", sagt Ökonom Röhl. Der deutschen Bürokratie-Welt.
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